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JAGENDE HORN-PASSAGEN -- Neue CD von Helmut Lachenmann "My Melodies" bei Naxos (BR Klassik - musica viva)

März 2024

Ein kompositorischer Umgang mit dem Phänomen Melodie steht im Mittelpunkt der Komposition "My Melodies" für acht Hörner und Orchester des 1935 in Stuttgart geborenen Helmut Lachenmann. Unter der einfühlsamen Leitung von Matthias Hermann musiziert hier das konzentriert spielende Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks mit der Horngruppe. Objekte und Strukturen werden dabei in den einzelnen Sätzen "Tonloser Einsatz nach Stille", "Tonlose Akzente der Hörner" oder "Beginn der Zeitlupenmelodie der Streicher" ganz neu beleuchtet.

 

Copyright: Label Naxos, Cover


Geräusche gehören hier von Anfang an dazu, bestimmen das kompositorische Gerüst und auch die klangliche Veränderung. Die Technik des akustischen Verweigerns abseits gewohnter Hörerfahrungen wird immer wieder auf die Spitze getrieben. Hörner-Passagen jagen wie wild im Staccato dahin, hinterlassen atemlose Spannung. Aber auch die zahlreichen dynamischen Kontraste arbeitet Matthias Hermann mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks minuziös heraus. So kommt es zu einer reizvollen "Polyphonie von Anordnungen" und auch zu einer akustischen Befreiung. Das Hervorbringen von Tönen wirkt natürlich seriell, aber es blitzen immer wieder neue dynamische Spannungen und geheimnisvolle Kontraste auf. Die lineare  Fortschreitung bleibt spürbar.  Strahlenförmige Sequenzen hinterlassen starken Eindruck.

Der Nono-Schüler Lachenmann bemerkt, dass sein Lehrer in seinen frühen Kompositionen "tonale Zellen" als melodisches Objekt kritisiert habe. In dieser Komposition, die in den Jahren 2016 bis 2023 entstanden ist, möchte er dennoch auf seine Weise eine melodische Antwort geben. Bei "My Melodies" für acht Hörner und Orchester nimmt Lachenmann auch Bezug zu seiner Oper "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern", wo es eine Teilprobe mit acht Hörnern gab. Diese hat ihn wohl zu seiner Orchesterkomposition inspiriert. Achtfaches Unisono und tonale Aufspaltung führen ebenso beim Orchesterstück zu immer wieder neuen und spannenden klanglichen Veränderungen und Differenzierungen. Bei den retardierenden Passagen kommt es zu einem Moment des Innehaltens, das dann von elektrisierenden Einschüben unterbrochen wird.

Zu Beginn des Stückes sind Schwebungen zu hören, die sich zu einer Unisono-Streuung entwickeln. Insbesondere die melodische Keimzelle der Hörner wird bei dieser Aufnahme sehr schön herausgearbeitet. Virtuelle Zusammenhänge bestimmen in facettenreicher Weise das strukturelle Geschehen. Die Spielformen werden wiederholt abgewandelt und variiert. Atem-, Luft- und Zischgeräusche verbinden sich zu einem irisierenden Konglomerat verschiedener Klangflächen. Zwischen einzelnen Klangabstufungen entsteht atemberaubende Virtuosität. Bei Lachenmann steht der Klang in faszinierender Weise im Mittelpunkt. Das macht den Reiz dieser CD aus.

Zu hören ist hier ein Konzertmitschnitt vom 23. Juni 2023 in München. Es gibt dazu noch ein Interview von Johann Jahn mit Helmut Lachenmann.  
 

 

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