Der Vater James Tyrone opferte sein einst viel versprechendes Talent als Schauspieler dem kommerziellen, schnellen Erfolg. Sein pathologischer Geiz, verwurzelt in einer durch Armut gezeichneten Kindheit, beherrscht ihn bis heute. So will er den an Tuberkulose erkrankten Sohn, nur in ein kostengünstiges staatliches Sanatorium einweisen lassen. Die Mutter, aus gutem Hause und im besten Kloster des Mittelwestens erzogen, ist morphiumsüchtig. Einst hatte sie ideale Vorstellungen von ihrem Leben. Sie wollte Konzertpianistin werden. Doch es kam anders, denn sie heiratete den gut aussehenden Schauspieler James Tyrone. Von da an hieß das Leben: ewiges Reisen in Zügen ohne Salonwagen, übernachten in schäbigen Hotels und schmutzigen Zimmern. Ihr ältester Sohn Jamie, hat für alles nur noch zynische Verachtung übrig und ertränkt seinen Hass und Schmerz in Alkohol. Edmund, der jüngere Sohn, flüchtet sich aus dieser Realität und sucht Zuflucht in der Schriftstellerei und mystischen Naturerlebnissen.
Wie in einer griechischen Tragödie scheint die Familie durch Schicksalsschläge determiniert. Alle Familienmitglieder werden heimgesucht von schmerzlichen Erinnerungen. Bilder der Vergangenheit verfolgen sie wie unbarmherzige Furien. Der Tod des im Kindesalter verstorbenen Sohnes Eugene scheint die Familie unheilvoll aneinander zu fesseln.
Eines langen Tages Reise in die Nacht ist eine Tragödie der Verluste: verlorene Gelegenheiten, verlorener Glaube, verlorene Ideale, und verlorene Hoffnungen tauchen aus dem Nebel der Vergangenheit. Jeder fühlt sich als Opfer. Leidvoll aneinander gebunden sind sie kaum fähig, sich aus dem Geflecht der Abhängigkeiten zu lösen. Die Konflikte verschärfen sich bis zur äußersten Bitterkeit, Feindseligkeit und Verzweiflung. Das Sommerhaus der Tyrones wird zum gespenstischen Totenhaus aus dem es kein Entrinnen mehr gibt.
Das Stück Eines langen Tages Reise in die Nacht schrieb O’ Neill für seine Frau, anlässlich ihres 12. Hochzeitjahres 1940. Es sei mit “Blut und Tränen“ geschrieben, gestand er in einem Brief. Kaum verhüllt, entwirft der Dramatiker ein Bild seiner eigenen Biographie. Aus diesem Grund verlangte O’ Neill, dass das Stück erst nach seinem Tod veröffentlicht wird. Unter Missachtung seiner Verfügung, dass sein Verleger das versiegelte Manuskript erst 25 Jahre nach seinem Tode veröffentlichen dürfe, es aber nie aufgeführt werden solle, erlaubte seine Witwe schon 1955 die Veröffentlichung, der am 10.2.1956 im Königlichen Schauspielhaus in Stockholm die Uraufführung folgte; die deutsche Erstaufführung fand am 25.9. 1956 im Theater am Kurfürsten-damm in West-Berlin statt, sechs Wochen vor der amerikanischen am 7.11.1956 im Helen Hayes Theatre in New York.
Eugene Gladstone O’Neill (1888-1953) gilt als der bedeutendste Dramatiker der Vereinigten Staaten. Nachdem er nach nur einem Jahr Studium von der Universität ausgeschlossen wurde, schlug er sich für die nächsten Jahre in verschiedenen Berufen durch. Als Dockarbeiter, Matrose, Goldsucher, Schauspieler, Reporter durchstreifte er die Welt. Mit seiner Familie lebte O’Neill auf Cape Cod in Massachusetts. In den zwanziger Jahren gewann er dreimal den Pulitzerpreis: 1921 für The Hairy Ape (Der haarige Affe), 1922 für Anna Christie und 1928 für Strange Interlu-de (Seltsames Zwischenspiel).
Als erster amerikanischer Dramatiker wurde er 1936 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.
Inszenierung: Donald Berkenhoff | Ausstattung: Peter Schubert
Mit: Ursula Grossenbacher, Teresa Trauth, Robert Besta, Thomas Gerber, Stefan Viering
Weitere Vorstellungen: 3.4. und 5.4.2007