Gespickt mit phantastischen und surrealen Elementen, war der Stoff darüber hinaus derart witzig erzählt, dass das Werk sich von allem abhob, was man bisher bezogen auf die jüngere Zeitgeschichte gelesen hatte.
Der Urheber dieses Geniestreichs, Michail Bulgakow, konnte von dem Umstand, Weltliteratur verfasst zu haben, nicht mehr profitieren: Bereits 1940 hatten ihn nach Jahren unentwegter Zurücksetzung und Schikane, die er von staatlicher Seite erlitten hatte, im Alter von 48 Jahren seine Lebenskräfte verlassen. Noch kurz vor seinem Tod, von der Krankheit geschwächt, hatte er seiner Ehefrau Jelena die letzte Fassung des Textes diktiert. Man kann sagen, dass es sich um ein »Schicksals-Werk« handelt, denn beim Lesen vermittelt sich der Eindruck, der Verfasser habe nicht zuletzt seine eigene persönliche Situation sowie die Frage seines literarischen Weiterlebens verhandelt.
Die Haupthandlung der Geschichte spielt im Moskau der Gegenwart, sprich: der Stalin-Ära, wo ein als ›Meister‹ bezeichneter, politisch unliebsamer Schriftsteller in der Psychiatrie festsitzt, bis es seiner Geliebten schließlich gelingt, ihn in ein gemeinsames Leben zurückzuholen. Eine zweite Handlungsebene führt – als Roman innerhalb des Romans, verfasst von ebendiesem ›Meister‹ – nach Jerusalem, wo sich gerade die Verurteilung Jesu Christi (hebräisch: Jeschua) durch den römischen Prokurator Pontius Pilatus ereignet.
Zur Kämpferin für die ›gute Sache‹ und eigentlichen Heldin der Geschichte wird Margarita, eine in wohlhabenden Umständen verheiratete Frau, die bislang ein geheimes außereheliches Verhältnis mit dem ›Meister‹ gepflegt hat, und die nun, als es darum geht, ihren Geliebten und sein Werk zu retten, sehr viel Mut an den Tag legt. Nicht nur, dass sie sich dazu bereitfindet, ihr bürgerliches Leben hinter sich zu lassen: Sie scheut auch nicht davor zurück, gemeinsame Sache mit dem Teufel zu machen. Letzterer tritt in Gestalt des Magiers Voland, eines so gewieften wie überzeugungskräftigen Dialektikers, in Erscheinung, der gemeinsam mit seinem ›Team‹ – bestehend aus den skurrilen Gesellen Korowjew und Asasello, der Hexe Gella sowie dem dreisten Kater Behemoth – in der Hauptstadt bereits für mächtigen gesellschaftlichen Aufruhr sorgt. Mit einer Serie von subversiven Aktionen und zauberischen Harlekinaden hält dieses bizarre Trüppchen den gesellschaftlichen Funktionär*innen in ihrer Geldgier, Korruptheit und Eitelkeit den Spiegel vor.
Margarita lässt sich von Volands Gehilfen anwerben: Unter Überwindung des Gesetzes der Schwerkraft schwingt sie sich – als einer der Höhepunkte der Geschichte – zu einem phantastischen Flug über Moskau auf und stellt als Festkönigin beim Satansball ihre Eignung als anarchistische Glücksbringerin unter Beweis. Die Geschichte mündet in erlösender Unendlichkeit: Als Folge von Margaritas mutiger Allianz mit den dunklen Mächten widerfährt nicht nur dem ›Meister‹ höhere Gerechtigkeit, auch das von ihm verbrannte Manuskript seines Romans findet sich wieder. Schlussendlich wird sogar dem elendigen Statthalter Pontius Pilatus postum Frieden zuteil.
Aus Bulgakows Roman bleibt eine Äußerung des Magiers Voland in Erinnerung, die da lautet: »Bücher brennen nicht«. Diese Mut machende Botschaft darf man glauben, denn: Auf lange Sicht lässt sich ein gültiges künstlerisches Werk auch durch Zensur nicht verhindern. Und in besonders glücklichen Fällen findet große Literatur nicht nur ihre Leserschaft, sondern sogar einen Komponisten, der aus ihr große Oper macht – so wie im Falle von »Der Meister und Margarita«, wo York Höller auf ein selbst verfasstes Libretto eine Partitur entwickelt hat, mit der er der Romanvorlage nichts schuldig bleibt. Die überbordende Handlung und die Vielschichtigkeit der ungeheuren Fabel finden bei ihm eine kongeniale Entsprechung in der beeindruckenden Mannigfaltigkeit der Stile und Formen, die er – als ein musikalischer ›Meister‹ – sinnfällig miteinander verbindet. Auf diese Weise ist dem in Köln lebenden Komponisten Höller ein Paradebeispiel für zeitgeschichtlich relevantes Musiktheater gelungen.
Musiktheater in zwei Akten
Libretto vom Komponisten
nach dem gleichnamigen Roman von Michail Bulgakow
Musik von York Höller (* 1944)
Musikalische Leitung André de Ridder
Inszenierung Valentin Schwarz
Bühne Andrea Cozzi
Kostüme Andy Besuch
Licht Andreas Grüter
Dramaturgie Georg Kehren
Der Meister/Jeschua
Nikolay Borchev
Margarita
Adriana Bastidas-Gamboa
Voland, der "schwarze Magier"
Bjarni Thor Kristinsson
Korowjew, sein Gehilfe
Matthias Hoffmann
Asasello
John Heuzenroeder
Behemoth, der Kater
Dalia Schaechter
Gella, die Hexe
Statisterie der Oper Köln
Pontius Pilatus / Dr. Strawinsky, Arzt
Oliver Zwarg
Levi Matthäus / Besdomny, Lyriker
Martin Koch
Berlioz, Chefredakteur / Archibald Archibaldowitsch, Restaurantbesitzer
Lucas Singer
Stjopa, Varietédirektor
Dustin Drosdziok / Ján Rusko
Frau Stjopa / Sofja Pawlowna
Judith Thielsen
Conférencier
Oscar Musinowski
Nastassja, Schriftstellerin
Mine Yücel
Paprichin, Schriftsteller
Artjom Korotkov
Dubratsky, Schriftsteller
Michael Terada
Deninskin, Schriftsteller
David Howes
Abakow, Schriftsteller
Julian Schulzki
Beskudnikow, Schriftsteller
Sung Jun Cho
Sagriwow, Schriftsteller
Guido Sterzl
Orchester
Gürzenich-Orchester Köln
Weitere Vorstellungen 2021.22 im StaatenHaus Saal 1
6./8./12. April 2022 › 19:30 Uhr
10./17. April 2022 [zum letzten Mal in dieser Spielzeit] › 18:00 Uhr