Und weil Kürmann der Meinung ist, dass sich der Mensch frei entfalten kann und die tatsächlich gelebte Biografie nur eine unter vielen möglichen ist, erscheint ihm diese Herausforderung als eine leichte. Also ruft er verschiedene Lebenssituationen auf, deren Verlauf er ändern möchte. Wider Erwarten gerät er in Bedrängnis. Verhaftet im alten Leben, kann er weder loslassen noch sich wirklich auf etwas Neues einlassen. Am Ende ist es seine Frau Antoinette, die für eine wirkliche Überraschung sorgt.
Der Schweizer Dramatiker und Romancier Max Frisch (1911-1991) vertraut einmal mehr der Kraft des Theaters, kleinen und großen (Lebens-)Lügen auf die Spur zu kommen. Die ironischen Brechungen seiner Versuchsanordnung offenbaren ein schmerzhaftes, manchmal aber auch lustvolles Denken und Fühlen des Protagonisten zwischen Macht und Ohnmacht, zwischen Freiheit und Befangenheit. Eine wie auch immer geartete „Biografie“, vielmehr die getroffenen Entscheidungen und das gelebte Leben haben sich in Seele und Körper und damit ins Gefühlsleben eingeschrieben. Die Erzählung darüber, genannt Biografie, bestimmt zudem das Selbstbild. Frischs Protagonist Kürmann ringt denn auch mit sich, zaudert und schwankt. Er kann sich zu der von ihm formulierten Freiheit zu einer alternativen Biografie kaum entschließen. Und wenn er es doch tut, dann ohne innere Konsequenz. Er erscheint als ein Mensch, der noch zu seiner inneren Wahrheit und damit Selbsterkenntnis und Handlungsfähigkeit durchdringen muss. Auf dem Weg dahin entdeckt er eine Liebe, die er vergessen zu haben glaubt. Das ist traurig und zugleich schön.
Damit ist man auch beim Politischen des Stücks. Kürmanns Entscheidung, (endlich) der umstrittenen Partei beizutreten, erscheint zunächst als mutiger, unkonventioneller Akt. Allerdings folgen keine weiteren Handlungen im Sinne dieser Entscheidung. Es zwingt sich der Verdacht auf, dass Kürmann diesen Schritt vor allem ging, um sich selbst Handlungsfähigkeit und Mut zu beweisen. In dem Moment, da sich Kürmann scheinbar nichtopportun verhält, erweist er sich als Opportunist gegenüber den Provokationen der Spielleiter und damit seines Umfeldes. Ihm fehlt letztlich eine tiefere, handlungsleitende Haltung, die für sich steht, weil er so wenig von sich weiß.
Wie fahrlässig ist das? Wie belastbar? Es ist ein Leichtes, das Gute und Richtige zu postulieren, es ist wohlfeil, solange es sich nicht in konsequenten Handlungen niederschlägt. So gesehen liegt Selbsterkenntnis in der politischen Verantwortung eines jeden Demokraten, will man nicht seine tatsächlichen Interessen verraten bzw. empfänglich sein für (tages-)aktuelle Stimmungen oder Ideologien.
Regie: Kathrin Brune
Bühne und Kostüme: Pia Wessels
Es spielen: Magda Decker, Andreas Manz-Kozár, Christian Ruth, Andrea Zwicky
Weitere Termine
07.02.2020 Freitag 19:30 Uhr
Schauspielhaus - Große Bühne
16.02.2020 Sonntag 18:00 Uhr
Schauspielhaus - Große Bühne
05.03.2020 Donnerstag 19:30 Uhr
Schauspielhaus - Große Bühne
14.03.2020 Samstag 19:30 Uhr
Schauspielhaus - Große Bühne
24.03.2020 Dienstag 19:30 Uhr
Schauspielhaus - Große Bühne
05.04.2020 Sonntag 15:00 Uhr
Schauspielhaus - Große Bühne
Das Bild zeigt Max Frisch