„Episodes“ gilt als eines der bedeutendsten Ballette des 20. Jahrhunderts, und als eines der für die Entwicklung des Tanzes zukunftsweisendsten Werke des Neoklassikers Balanchine. Schläpfers 2009 mit dem Theaterpreis DER FAUST prämierte Choreographie auf die beiden Sinfonien „Fogli“ und „Ricordanze“ des Münchener Komponisten Wilhelm Killmayer überrascht durch ihre eigentümlich spannungsgeladene Zeitlosigkeit und lässt seine Zuschauer eine Art verlangsamtes Schauen und Lauschen erleben. Spannenden Schlusspunkt des Programms bildet die Uraufführung „Sorrowful Songs“ von Nils Christe. Christe, zuletzt mit seinen temporeichen „Fearful Symmetries“ zu Gast an der Deutschen Oper am Rhein, choreographiert zum 2. und 3. Satz aus Henryk Mikołaj Góreckis Sinfonie Nr. 3 – jener „Sinfonie der Klagelieder“, die es mit ihrer expressiven Ausdruckskraft in den 1990er Jahren in die Popcharts schaffte.
George Balanchine: Episodes
Durch Igor Strawinsky lernte George Balanchine die Musik Anton Weberns kennen und konnte sich
fortan ihrer Faszinationskraft nicht mehr entziehen: „Seine Musik füllt die Luft wie Moleküle; sie ist für
die Atmosphäre komponiert“, äußerte er sich emphatisch, und: „Als ich sie zum ersten Mal hörte, erschien sie mir wie Mozart und Strawinsky – Musik, zu der man tanzen kann, da sie dem Geist die Freiheit lässt, den Tanz zu sehen."
Balanchines Faszination nahm im Fall Anton Weberns geradezu enzyklopädische Züge an, schwebte ihm
doch eine Vertanzung des gesamten Werkes für Orchester des Wiener Komponisten vor. Zusammen mit
seinem Impresario Lincoln Kirstein lud er für dieses Vorhaben Martha Graham ein und schuf mit ihr
einen zweiteiligen Abend. Als „Episode I“ entwarf die Pionierin des Modern Dance für ihre Company und Sallie Wilson aus Balanchines New York City Ballet ein Stück über den Tod Maria Stuarts. Den zweiten Teil übernahm Balanchine mit seiner Company und integrierte Paul Taylor aus der Graham-Truppe für eine Solo-Variation. Der Verbund der beiden so unterschiedlichen Arbeiten sollte jedoch nicht lange halten. Bereits ein Jahr nach der Uraufführung am 14. Mai 1959 im New Yorker City Center of Music and Drama begann Balanchine seinen Teil unter dem Titel „Episodes“ losgelöst von Martha Grahams Choreographie und ohne die Taylor-Variation zu zeigen.
Entstanden ist ein Stück, das den Raum mit Mikro-Schritten erfüllt. Jede Bewegung erscheint wie in ihre
kleinsten Bestandteile zerlegt und verliert doch nie ihr Eingebundensein in ein großes Ganzes. Zu einem
wichtigen Partner wird Balanchine dabei, neben Weberns Musik, die Stille – in der Musik wie in der Bewegung: „So eng sind in den ‚Episodes‘ Musik und Choreographie verzahnt“, schreibt Horst Koegler,
„dass einem überhaupt erst bei mehrmaligem Sehen aufzugehen beginnt, wie oft Balanchine hier ganz
bewusst auch in die musikalischen Pausen ‚hineinchoreographiert‘.“
In der Einstudierung von Patricia Neary setzt das Ballett am Rhein mit „Episodes“ seine Auseinandersetzung mit George Balanchine fort und präsentiert nicht nur eines der bedeutendsten Ballette des 20. Jahrhunderts, sondern auch eines der für die Entwicklung des Tanzes zukunftsweisendsten Werke des Neoklassikers. Martin Schläpfer ist es gelungen, für die Neueinstudierung mit dem Ballett am Rhein auch die Taylor-Variation in die Choreographie zurückzuholen. Peter Frame, für den Taylor 1986 das Solo rekonstruierte, ist für die Einstudierung verantwortlich.
Choreographie George Balanchine © The George Balanchine Trust
Musikalische Leitung Christoph Altstaedt
Musik Sinfonie op. 21 für Kammerensemble, Fünf Stücke op. 10, Konzert op. 24 für neun Instrumente
und Variationen op. 30 von Anton Webern sowie Fuga (2. Ricercata) a 6 voci aus „Das Musikalische Opfer“ BWV 1079/5 von Johann Sebastian Bach für Orchester bearbeitet von Anton Webern
Licht Franz-Xaver Schaffer
Einstudierung Patricia Neary, Peter Frame
Orchester Duisburger Philharmoniker
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Martin Schläpfer: Sinfonien
„Ich gehe durch die tonkargen spätherbstlichen Wälder, und ich höre meinen Schritt, und ich höre mein
Herz schlagen; ich höre die Geräusche der langsam sich ergebenden Natur und den Widerhall eines Vogelschreis in meiner Erinnerung. Immer tiefer gerate ich in das Innere, wo Erschrecken und Ruhe sich nahe sind, wo die Furcht stillhält“ (Wilhelm Killmayer). Vier Tänzerpaare: die Männer mit nacktem Oberkörper über knöchellangen, schweren Faltenröcken, die Frauen auf Spitze, in alpenländisch geblümten Kleidern und mit bäuerlichen Zopffrisuren. Aus einer extremen Ruhe wachsen ihre Körper über sich hinaus, treiben sich selbst an die äußersten Punkte ihrer Kraft. Nie verloren geht dabei die Bindung an den Boden. Ein Tänzer stößt dazu. Wie ein einsamer Prinz wandelt er staunend durch einen Wald von verzauberten Wesen. Symmetrien beginnen aufzubrechen, Bewegungen zusammenzufallen.
Auf die beiden Sinfonien „Fogli“ und „Ricordanze“ des 1927 in München geborenen Komponisten Wilhelm Killmayer schuf Martin Schläpfer eines seiner wundersamsten Ballette. Im Zustand einer eigentümlich spannungsgeladenen Zeitlosigkeit eröffnet das Stück für den Zuschauer das Erlebnis eines verlangsamten Schauens und Lauschens, in dem die geringste Abweichung zum Ereignis wird. Die poröse Struktur von Killmayers Partituren, in denen jeder einzelne Ton als ein „Wesen“ mit eigener Farbe und eigenem Klima erscheint, schafft eine Klangfläche, auf welcher der Tanz die Musik und umgekehrt – die Musik den Tanz – zu suchen beginnt, um sogleich auch wieder gegeneinander auszubrechen. „Das Geschehen hat etwas Magisches und zugleich etwas Kostbares, weil jede Geste besonderes Gewicht erhält“, schrieb Wolfgang Sandner in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über die 2009 mit dem Theaterpreis DER FAUST ausgezeichnete.
Choreographie Martin Schläpfer
Musikalische Leitung Christoph Altstaedt
Musik Sinfonia I („Fogli“) und Sinfonia II („Ricordanze“) von Wilhelm Killmayer
Bühne Thomas Zieglerm
Kostüme Catherine Voeffray
Licht Franz-Xaver Schaffer
Orchester Duisburger Philharmoniker
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Nils Christe: Sorrowful Songs (Uraufführung)
Im Opernhaus Düsseldorf waren zuletzt seine „Fearful Symmetries“ im Ballettabend b.11 zu erleben – ein temporeiches Großstadt-Stück, das einem choreographischen Feuerwerk gleich die Tänzerinnen und
Tänzer des Balletts am Rhein wie unter Starkstrom setzte. Im Auftrag Martin Schläpfers hat Nils Christe
nun für das Ballett am Rhein ein neues Stück kreiert. Musikalische Basis ist ihm hierfür der 2. und 3. Satz aus der 1976 entstandenen Sinfonie Nr. 3 von Henry Mikołaj Górecki – jener „Sinfonie der Klagelieder“, die es mit ihrer expressiven Ausdruckskraft in den 1990er Jahren in die Popcharts schaffte. Górecki legte die einzelnen Sätze als Klagegesänge an und verwendete u.a. ein Gebet, das an der Wand einer Zelle im Keller des Gestapo-Hauptquartiers in Zakopane entdeckt wurde, sowie ein oberschlesisches Volkslied aus der Zeit der polnischen Aufstände, in dem eine Mutter um ihren toten Sohn trauert. Nils Christe schwebt mit seinem neuen Ballett allerdings kein Stück über die Schrecken des Krieges vor, sondern – so der Choreograph – „im intensiven Ausloten der Musik ein Tanzen, das Melancholie und Traurigkeit ebenso auszudrücken vermag wie Hoffnung“.
Seit seiner gefeierten Uraufführung „Before Nightfall“ 1985 mit dem Ballett der Pariser Oper zählt Nils
Christe zu den wichtigsten Choreographen seiner Generation. Er war Tänzer im Nederlands Dans Theater, erhielt dort die Möglichkeit, auch zu choreographieren, und leitete von 1986 bis 1993 als künstlerischer Direktor das Scapino Ballet in Rotterdam. Nach dem Pariser Erfolg führten ihn seine eigenen Kreationen schon bald weit über die Grenzen seiner niederländischen Heimat hinaus in alle Welt zu Compagnien wie dem Ballett der Wiener Staatsoper, dem Königlich Dänischen und Königlich Schwedischen Ballett, Finnischen Nationalballett, Basler und Zürcher Ballett, zum Ballett der Deutschen Oper Berlin, Ballett der Komischen Oper Berlin, Bayerischen Staatsballett, ballettmainz, Washington Ballet, den Grand Ballets Canadiens, dem Queensland Ballet, Singapore Dance Theatre, Het Nationale Ballet Amsterdam und zu Introdans. Von besonderer Bedeutung ist für Nils Christe die Zusammenarbeit mit seiner Frau Annegien Sneep, die ihm nicht nur seit 1981 assistiert und weltweit für die Wiedereinstudierung seiner Choreographien verantwortlich zeichnet, sondern für seine Ballette meist auch die Kostüme entwirft.
Choreographie Nils Christe
Musikalische Leitung Christoph Altstaedt
Musik 2. und 3. Satz aus der Sinfonie Nr. 3 op. 36 für Sopran und Orchester („Sinfonie der Klagelieder“)
von Henryk Mikołaj Górecki
Mezzosopran Annika Kaschenz
Bühne Thomas Rupert
Choreographische Assistenz und Kostüme Annegien Sneep
Licht Franz-Xaver Schaffer
Orchester Duisburger Philharmoniker
Vorstellungen im Opernhaus Düsseldorf:
Fr 17.01. 19.30 Uhr | So 19.01. 18.30 Uhr | Do 23.01. 19.30 Uhr | So 26.01. 18.30 Uhr
Fr 31.01. 19.30 Uhr | Sa 01.02. 19.30 Uhr | So 16.02. 15.00 Uhr | Mi 26.02. 19.30 Uhr
Karten und weitere Informationen sind erhältlich in den Opernshops Düsseldorf und Duisburg,
unter Tel. 0211.89 25 211 // 0203.940 77 77, sowie über www.ballettamrhein.de.