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Uraufführung: FRÄULEIN HALLO UND DER BAUERNKAISER - CHINAS GESELLSCHAFT VON UNTEN von Liao Yiwu, Theater Münster

Premiere Freitag, 11. April 2014, 19.30 Uhr, Kleines Haus. -----

Die Wagenspuren können allerdings so tief sein, wie sie wollen, eines Tages werden sie unter dem Staub der Zeit verschwinden. -

HUANG ZHIYUANN: Für wen lebt denn jemand wie ich? Im Nu ist man sechzig und im Nu ist man unter der Erde, aber wenn ich genauer darüber nachdenke, in meinem Kopf sind nichts als Kampagnen und Hunger. In den Fünfzigern bin ich mit der Freundschaft zur Sowjetunion nicht mitgekommen, in den Sechzigern nicht mit der Kulturrevolution, in den Siebzigern nicht mit den Rehabilitierungen und schon gar nicht habe ich in den Achtzigern am Glanz der Reform- und Öffnungspolitik partizipiert. In den Neunzigern hatte ich dann endlich das Geld zusammen, um einen Gemischtwarenladen aufzumachen – aber die verdammten Steuern fressen mich auf.

 

Erstmals kommen die Texte des berühmten chinesischen Exil-Autors Liao Yiwu auf eine Bühne: China – ein Land, das rasend schnelle Veränderungen im Aufstieg zur globalisierten Weltmacht durchmacht. China – ein Land, das in Tradition und Mythos verhaftet ist und in einer schuldhaften politischen Kultur der Unterdrückung. Liao Yiwu entwirft über ebenso einfühlsame, wie absurde Gespräche mit den Unangepassten und Vergessenen ein aufregendes und berührendes Gesellschaftspanorama seiner Heimat: Der alternde Manager einer öffentlichen Toilette, ein Totenrufer aus einem alten Märchen-China, das hippe Girlie, das an den „neuen Menschen“ glaubt, zwei traumatisierte Opfer der Bodenre-form, ein Ausbrecherkönig, ein Konterrevolutionär, die Eltern eines Opfers vom Platz des Himmlischen Friedens und ein Fräulein mit Dreifachservice …

 

Das sind nur einige der zutiefst verwirrten und verlorenen Gestalten, die im Strudel von Aufbruch und Wandel, ange-sichts der Anforderungen eines neuen Raubtierkapitalismus mit Phantasie, Witz und Kampfgeist versuchen, ihr Leben neu zu organisieren. Yiwus Gesprächspartner werden auf der Bühne zu Figuren eines China-Panoramas, das uns in eine fremde, höchst kom-plexe Welt und Zeitgeschichte führt und unsere Vorstellungen und Bilder vom Riesen Chi-na durcheinander wirbelt. Überdies werfen die Erzählungen und Lebensberichte ganz existentielle Fragen an unsere globalisierte Welt auf: Wie wird Geschichte gemacht und welche Rolle spielt der einzelne kleine Mensch darin? Wie gehen wir als Gemeinschaften mit Erinnerungen, mit Trauer und schuldhaften Verstrickungen um? Was wissen wir vom Anderen?

 

Liao Yiwu setzt sich in all seinen Schriften höchst kritisch mit dem jetzigen und vergangenen Regimen Chinas auseinander – wie auch mit dem Westen, der durch Investitionen und Beschwichtigung „gemeinsame Sache mit den Henkern“ mache. Er wurde aufgrund seiner Texte in seiner Heimat verfolgt, inhaftiert und misshandelt, FRÄULEIN HALLO UND DER BAUERNKAISER wurde in China verboten. 2011 gelang dem Autor die Ausreise nach Deutschland, er lebt in Berlin, 2011 wurde ihm der Geschwister-Scholl-Preis verliehen, 2012 der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Mit seinem neuesten Buch DIE DONGDONG-TÄNZERIN UND DER SICHUAN-KOCH werden die „Geschichten aus der chinesischen Wirklichkeit“ fortgeführt.

 

Max Claessen, der für die Spielfassung und Inszenierung verantwortlich zeichnet, studierte Theater- und Medienwissenschaften, Literatur- und Kunstgeschichte in Erlangen. Schon während seines Studiums und seiner Assistenzzeit am Thalia Theater Hamburg begann er zu inszenieren und ist seit 2009 freier Regisseur, unter anderem am Schauspiel Chemnitz, Dramaten Stockholm, Hamburger Schauspielhaus, am Schleswig-Holsteinischen-Landestheater und am DT Göttingen. Seine aktuelle Inszenierung ICH DENKE AN YU am Deutschen Theater Berlin beschäftigt sich ebenfalls mit der jüngeren chinesischen Ge-schichte.

 

Spielfassung von Max Claessen

Idee von Johanna Marx

 

Inszenierung: Max Claessen

Bühne & Kostüme: Mirjam Benkner

Dramaturgie: Kathrin Mädler

 

Mitwirkende: Claudia Frost, Julia Stefanie Möller, Dennis Laubenthal, Gerhard Mohr, Flori-an Steffens, Musiker N.N.

 

Weitere Vorstellungen im April:

Do, 17. April, 19.30 Uhr, Kleines Haus

Mi, 23. April, 19.30 Uhr, Kleines Haus

 

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