Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
URAUFFÜHRUNG: KUDLICH IN AMERIKA, oder who owns history - ein carbondemokratischer spaghettiwestern von Thomas Köck - Schauspielhaus WienURAUFFÜHRUNG: KUDLICH IN AMERIKA, oder who owns history - ein...URAUFFÜHRUNG: KUDLICH IN...

URAUFFÜHRUNG: KUDLICH IN AMERIKA, oder who owns history - ein carbondemokratischer spaghettiwestern von Thomas Köck - Schauspielhaus Wien

Premiere am 11. Jänner 2020, 20:00, Schauspielhaus

Als jüngster Abgeordneter des Parlaments stellte Hans Kudlich im österreichischen Reichstag 1848 den Antrag zur Abschaffung der Leibeigenschaft und ging damit in die Geschichte ein. Gleichzeitig entstand im Zuge dieser Bauernbefreiung die Raiffeisen-Bank. Für die Bauern folgte eine Abhängigkeit auf die andere: nunmehr die von den Kreditgebern. In "Kudlich - eine anachronistische Puppenschlacht" (Uraufführung Schauspielhaus Wien 2016), dem ersten Teil von Thomas Köcks "Kronlandsaga", ging es um die Frage nach der Ambivalenz der Freiheit, nach der problematischen Dialektik des Liberalismus.

 

Mit seinem jüngsten Stück entwirft Köck eine Fortsetzung und verlagert die Geschichte von Kudlich nach Amerika. Aufgrund seiner Teilnahme am Wiener Oktoberaufstand zum Tode verurteilt, floh Hans Kudlich tatsächlich in den 1850er Jahren in die USA. In Köcks Fiktion landet er dort unverhofft hundert Jahre später zwischen Hollywood-Stars am Set eines bekannten Westernfilms in der texanischen Wüste. Er entdeckt, wie einst James Dean auf der Leinwand, mehr durch Zufall denn durch eigenes Zutun eine Ölquelle. Durch die Linse des Western-Filmgenres wirft Thomas Köck einen eigenwilligen Blick auf die USA des ausgehenden 19. Jahrhunderts: Die Zeit, in der sich mit der profitorientierten, ungehemmten Erschließung von Land und Rohstoffen die Idee von Freiheit, Wachstum und Individualismus als US-amerikanische Grundwerte herausbilden. Der im Westernfilm mythisierte Prozess der Landnahme und Expansion gen Westen mündet im Einsetzen einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung, deren Antrieb die Verheißung ist, dass jede/r es nach oben schaffen kann. Thomas Köck nimmt dies zur Folie für das Nachdenken über den Treibstoff des klassischen Kapitalismus, der wie kein anderer Fortschritt und Bedrohung verkörpert, die Kriege des 20. Jahrhunderts befeuert und die Welt an den Rand des ökologischen Kollaps geführt hat: das Öl.

„schön wärs wär die geschichte immer so eindeutig wie sie sich später dann gern darstellt“ denkt Kudlich einmal laut. Köcks humorvolles Spiel mit historischen Fakten und filmkulturellen Zitaten vermittelt gerade die Unmöglichkeit ebensolch eindeutiger Darstellung und leuchtet aus, wie gefestigte Narrative durch erfinderisches Erzählen aufgebrochen werden können. Wie lässt sich die Komplexität der Geschichte, die niemals nur etwas Vergangenes ist, heute künstlerisch bedenken? Wer verfügt über ihre Erzählung? Verschiedene Zeitebenen raffiniert miteinander verwebend, knüpft Thomas Köck Verbindungen durch die Jahrhunderte in die Gegenwart, wo die fatalen Langzeitschäden der Ausbeutung der Erde durch den Menschen unleugbar ins Sichtfeld gerückt sind. Wo Klimabewegungen die Veränderung des kapitalistischen Gesellschaftssystems einfordern, während in der Weltpolitik rechtspopulistische Politiker*innen und Gruppierungen an Regierungsmacht gewinnen.

Thomas Köck ist der erste Dramatiker, der zweimal in Serie den Mülheimer Dramatikerpreis, die wichtigste Auszeichnung für deutschsprachige Theaterautor*innen, gewonnen hat. Dem Schauspielhaus ist er seit 2015 eng verbunden, seit mit "Strotter" erstmals ein Stück von ihm in Österreich uraufgeführt wurde. Es folgten "Kudlich" (2016) und "Die Zukunft reicht uns nicht (Klagt, Kinder, klagt!)" (2017), das er im Regieduett mit der Regisseurin Elsa-Sophie Jach zum ersten Mal selbst inszenierte. Das Stück wurde 2018 für den Nestroypreis in der Kategorie „beste Regie“ nominiert und zu den Autorentheatertagen am Deutschen Theater Berlin eingeladen. Am Thalia Theater entstand mit „dritte republik“ (2018) ihre zweite Zusammenarbeit, die 2019 eine Einladung zum Festival Radikal jung erhielt. Mitten im amerikanischen Wahlkampf kommt nun die dritte gemeinsame Inszenierung von Elsa-Sophie Jach und Thomas Köck auf die Bühne, erstmals mit musikalischer Unterstützung von Andreas Spechtl, der unter anderem Sänger, Songwriter und Gitarrist der Gruppe Ja, Panik ist.

Produktionsteam

Besetzung:
Simon Bauer, Vera von Gunten, Jesse Inman, Clara Liepsch, Sebastian Schindegger, Til Schindler

Autor: Thomas Köck
Regie: Thomas Köck & Elsa-Sophie Jach
Bühne: Stephan Weber
Kostüme: Giovanna Bolliger
Musik: Andreas Spechtl
Dramaturgie: Lilly Busch
Regieassistenz: Johanna Mitulla

 

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 19 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

FURCHT VOR DER FREIHEIT -- Neue Reihe "Studio goes Politics" im Studiotheater STUTTGART

Die Kabarettistin Stephanie Biesolt eröffnete zusammen mit der Schauspielerin Marion Jeiter diese neue Kabarett-Reihe im Studiotheater. Dabei wurde die AfD aufs Korn genommen. Beim "Angriff auf…

Von: ALEXANDER WALTHER

GESPENSTER UND ATEMLOSE SPANNUNG -- "Falsche Schlange" von Alan Ayckbourn im Kronenzentrum/BIETIGHEIM-BISSINGEN

Eine Prodfuktion von Tournee-Theater Thespiskarren - Theater im Rathaus Essen. - In der subtilen Regie von Gerit Kling bekommt dieser Psycho-Thriller rasch scharfe Kontur. Annabel Chester kehrt nach…

Von: ALEXANDER WALTHER

AUCH DIE BILDENDE KUNST IST PRÄSENT -- Ludwigsburger Schlossfestspiele 2025

Die Festspielzeit 2025 wird am Samstag, 31. Mai 2025 mit dem Konzerthausorchester Berlin unter der Leitung von Joana Mallwitz im Forum am Schlosspark eröffnet. Neben Schuberts "Großer C-Dur-Sinfonie"…

Von: ALEXANDER WALTHER

FEINE SCHWINGUNGEN -- "Wege in die Gegenwart" - Gitarrenmusik des 20. und 21. Jahrhunderts im Kammermusiksaal der Musikhochschule STUTTGART

Gitarren-Musikstudenten der Klasse von Tillmann Reinbeck stellten sich im Kammermusiksaal der Musikhochschule vor. Der Abend begann mit "Quatre pieces breves" aus dem Jahre 1933 von Frank Martin. Das…

Von: ALEXANDER WALTHER

PEITSCHENDE RHYTHMEN -- Symphonieorchester unter Juraj Valcuha im Beethovensaal der Liederhalle STUTTGART

Ein sehr russisches Programm präsentierte das glänzend disponierte SWR Symphonieorchester unter der Leitung des slowakischen Dirigenten Juraj Valcuha diesmal in der Liederhalle. Zunächst erklang die…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑