
Dabei stach die besondere Energie des polyphonen Denkens immer wieder neu hervor. Die Kraft der selbständigen melodischen Linie sowie die Nebeneinanderstellung gleichmäßiger Klangebenen gewannen bei dieser konzentrierten Interpretation eine immer größere Intensität und Leuchtkraft.
Eindrucksvoll gestaltet wurde bei diesem Konzert auch die Kantate "Jesus nahm zu sich die Zwölfe" BWV 22 von Johann Sebastian Bach, wo die vielschichtige Harmonik und der leidenschaftlich bewegte Vortrag herausragten. Dynamische Kontraste beschworen aber auch die Gesangssolisten Elvira Bill (Alt), Michael Mogl (Tenor) und Dominik Wörner (Bass). Der Zauber barocker Terrassendynamik entwickelte sich dabei wie von selbst, Stimmenkreuzungen und Klangschattierungen blühten auf und machten das transparente Tongemälde immer deutlicher sichtbar. Fließende rhythmische Übergänge gaben dem Ganzen eine geradezu unendliche Bewegung, umrahmt von der einfühlsam gestalteten Kantabilität der Gesangssolisten. Insbesondere der Schlusschoral "Ertöt uns durch dein Güte" lotete die Tiefe dieser Musik in bemerkenswerter Weise aus. Auch Cantus-firmus-Momente blieben spürbar.
Wunderbar eindringlich kam ebenso die doppelchörige Motette "Singet dem Herrn ein neues Lied" BWV 225 von Johann Sebastian Bach zu Gehör, wo der Thomanerchor Leipzig die Zuhörer mit gesanglicher Ebenmäßigkeit und Klarheit beeindruckte. Der vierstimmige Choralsatz konnte sich gut entfalten - und auch das gesungene Präludium besaß große formale Kraft.
Zuletzt interpretierte der immer wieder sehr gut aufeinander abgestimmte Thomanerchor Leipzig unter Andreas Reize die Kantate "Die Himmel erzählen die Ehre Gottes" BWV 76 von Johann Sebastian Bach. Hier gewannen die Gesangssolisten Christina Roterberg (Sopran), Elvira Bill (Alt), Michael Mogl (Tenor) und Dominik Wörner (Bass) aufgrund der gut akzentuierten Feinheiten des ornamentalen Spiels ausserordentliches Format. Insbesondere der besondere Fluss der Melodie strahlte auf. Nach der zweiteiligen Einleitung des Chores mit der Solotrompete folgte eine geradezu elektrisierende Fugen-Entwicklung. Christina Roterberg überzeugte bei der Sopran-Arie "Hört, ihr Völker, Gottes Stimme" mit starker gesanglicher Ausdruckskraft.
Als Zugabe interpretierte der Thomanerchor Leipzig noch sehr ergreifend "Die Himmel rühmen die Ehre Gottes" von Heinrich Schütz. Begeisterter Schlussapplaus.