
In ungewöhnlichen Bearbeitungen für Orgel waren dann Preludes von Frederic Chopin zu hören. Zunächst interpretierte Kapitula seine eigene Bearbeitung des Preludes in e-Moll op. 28 Nr. 4, wo die engen Intervalle die schwankende Melodie gleichsam auffingen. Das harmonische Schwanken akzentuierte der Organist immer wieder mit starker Intensität. Auch beim Prelude in A-Dur op. 28 Nr. 7 überraschte Przemyslaw Kapitula wiederum mit einer eigenen Bearbeitung, wo der Mazurka-Rhythmus in reizvoller Weise hervorblitzte. Kapitula vermied hier störende Rubati.
Und in einer fast strahlkräftigen Bearbeitung von Franz Liszt erklang zuletzt das Prelude in E-Dur op. 28 Nr. 9, wo sich das majestätische Marschmotiv rasch durchsetzte. Es kam zu einer kraftvollen dynamischen Schlusssteigerung. Sehr subtil und dynamisch differenziert musizierte Kapitula anschließend die Suonata Sol maggiore von Felice Moretti - Padre Davide da Bergamo, wobei die Motive in ihrer suggestiven Feingliedrigkeit voll erfasst wurden.
"Le Coucou" von Claude Daquin überzeugte ebenfalls mit graziösem chromatischen Feinschliff und fließender spieltechnischer Leichtigkeit. Diese Vogelruf-Imitation fesselte dabei auch aufgrund einer geheimnisvollen Ironie. Das Finale als Improvizazione aus der IX. Orgelsymphonie op. 45 Nr. 9 von Feliks Nowowiejski, der von Max Bruch beeinflusst wurde, beeindruckte in der ausgefeilten Wiedergabe durch Przemyslaw Kapitula aufgrund der klug akzentuierten und gewaltigen dynamischen Steigerung, die das harmonische Geschehen fast explodieren ließ.
In feine rhythmische und motivische Gefilde entführten die fünf Tänze aus dem 16. Jahrhundert von Johannes von Lublin. Zuletzt begeisterte Kapitulas ausgezeichnete Wiedergabe der Suite Gothique op. 25 von Leon Boellmann, die Charles-Marie Widor beeinflusste. Die motorische Bewegung der abschließenden Toccata erinnerte ganz entfernt an dessen fünfte Orgelsinfonie. Die Picardische Terz in Dur besaß überwältigende Strahlkraft und großen Klangzauber. Und die antiphonale Choralmelodie des ersten Satzes (Introduction-Choral) in c-Moll konnte sich aufgrund der sensiblen Behandlung des Schwellwerks bestens entfalten. Beim zweiten Satz Menuett gothique wirkte der C-Dur-Übergang geradezu sphärenhaft. Und beim dritten Satz Priere a Notre-Dame schien der Komponist die riesige Kathedrale musikalisch betrachten zu wollen. So ausdrucksstark interpretierte der Organist hier jedenfalls das harmonische Gebilde.
Damit endete der Bietigheimer Orgelherbst, bei dem unter anderem auch Bezirkskantor Jürgen Benkö auftrat. Kapitula setzt die Musik- und Orgeltradition des Warschauer Domes fort.