3. - 5. Juni 2010 im Maxim Gorki Theater Berlin, Gorki Studio und Collegium Hungaricum Berlin
Fragmentierung und ambivalente Gemeinschaften stehen für die unmittelbare Erfahrung von Globalisierungsfolgen, die wir bislang vor allem jenseits der europäischen Grenzen verorteten. Am Beispiel einer Kleinstadt unweit der Metropolen Hamburg und Berlin ging das Kooperationsprojekt ÜBER LEBEN IM UMBRUCH über einen Zeitraum von drei Jahren den Überlebenskonstellationen nach dem Ende der Wohlfahrtsgesellschaft in Deutschland nach. Gemeinsam untersuchten dabei Sozialwissenschaftler und Theaterautoren Fragen nach der Dynamik von Niedergang und Wiederaufrichtung, nach sozialem und Überlebenskapital, nach Integration und Exklusion. Denn deutlich wird (nicht nur im brandenburgischen Wittenberge): Die Spannungen wachsen – zwischen denen, die bleiben müssen, und denen, die wiederkommen dürfen; zwischen den Anführern und der Gefolgschaft; zwischen denen, die in der Vergangenheit ihre Zukunft sehen, und denen, die weder Vergangenheit noch Zukunft sehen.
Das Forum ÜBER LEBEN IM UMBRUCH am MGT Berlin zieht öffentlich Bilanz der wissenschaftlichen Forschungen und künstlerischen Recherchen in Wittenberge und schlägt den Bogen hinaus in die Welt. In einer Verbindung aus Konferenz und Theaterspektakel testen Kunst und Wissenschaft die Bilder und Begriffe, um den sozialen Wandel in Europa zu veranschaulichen. Für drei Tage im Juni laden wir zu einer öffentlichen Diskussion über die Zukunft unserer Gesellschaft ein. Mit den Uraufführungsinszenierungen IM RÜCKEN DIE STADT, WE ARE BLOOD, DIE ÜBERFLÜSSIGEN und FIEBER, mit dem ARCHIV DES UMBRUCHS, mit Vorträgen, wissenschaftlichen Workshops, Gesprächsrunden, Dokumentarfilmen und Installationen.
Gesamtleitung ÜBER LEBEN IM UMBRUCH am MGT Berlin: Andrea Koschwitz (Chefdramaturgin), Ausstattung: Natascha von Steiger,
Mitarbeit: Maja Thiesen (KBB) und Katrin Müller (Fellow der A. Toepfer Stiftung)
Gefördert von der Initiative „Geisteswissenschaften im gesellschaftlichen Dialog“ des BMBF
Programm
Donnerstag, 03.06.2010
18:00 Uhr Maxim Gorki Theater, Eintritt frei
ÜBUNGEN IM ÜBERLEBEN. ÜBER DIE KUNST DAVONZUKOMMEN Eröffnungsvortrag von Prof. Dr. Heinz Bude (Hamburg/Kassel)
Heinz Bude, Prof. Dr. Phil. – Soziologe, *1954 in Wuppertal, Leiter des Arbeitsbereichs „Die Gesellschaft der Bundesrepublik“ am Hamburger
Institut für Sozialforschung, Professor für Makrosoziologie am FB 05 Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel, Forschungsschwerpunkte: Generations-, Exklusions- und Unternehmerforschung. Ausgewählte Veröffentlichungen: „Die Klasse der Überflüssigen“, in: Transit (2009), 37, S. 87-94; „Die Spaltung der Gesellschaft“, in: Zukunft der Arbeit in Europa. Chancen und Risiken neuer Beschäftigungsverhältnisse, hg. v. Helmut König u. a., Bielefeld 2009, S. 167-182; Die Ausgeschlossenen. Das Ende vom Traum einer gerechten Gesellschaft, München 2008; Die ironische Nation. Soziologie als Zeitdiagnose, Hamburg 1999.
19:30 Uhr, Maxim Gorki Theater
HEAVEN (zu tristan) with English surtitles
Fritz Kater
Liebestod in Wolfen: Simone liebt Anders. Doch wie einst Tristan seine Heimat Cornwall, verlässt der Architekturstudent Anders Wolfen die Stadt der gemeinsamen Kindheit. Er bricht auf nach Amerika. Simone bleibt in der ostdeutschen Provinz zurück. Helga liebt ihren Mann, den Psychiater Königsforst, und das schon seit mehr als zwanzig Jahren. Doch auch sie werden Wolfen verlassen. Seit die Filmfabrik geschlossen wurde, gibt es für die Laborantin keine Arbeit mehr. Gerade noch haben sie gespielt, "sterne am himmel des anderen“ zu sein. Jetzt wird ihr Neubaublock abgerissen. Zurück bleiben die Reste und die Raben. "erleben wir uns als in die welt geschleudert oder als teil eines ganzen?“ Wie Marietta Blau, die einst dank der Entwicklung einer speziellen Filmemulsion die sternenförmig auseinander fliegenden Teilchen einer Kernzertrümmerung sichtbar machte, beschreibt Fritz Kater mit "Heaven" die Zertrümmerung einer Lebenslandschaft und zeigt deren Folgen. Kater führt seine Figuren vom Paradies durch das Fegefeuer in die gegenwärtige Hölle des deutschen Ostens.
Es spielen: Anika Baumann, Susanne Böwe, Fritzi Haberlandt, Yvon Jansen; Ronald Kukulies, Peter Kurth, Max Simonischek,
Regie: Armin Petras, Bühne und Kostüme: Patricia Talacko, Musik: Ingo Günther, Video: Niklas Ritter.
20:00 Uhr, Gorki Studio, Eintritt frei
DIE STIMME DER STADT Statement von Julia Gabler
Mit wessen Stimme spricht die Stadt? Wer kommt zu Wort und wer bleibt stumm? Ist die Stimme einer schrumpfenden Stadt voller Klage über die schmerzenden Wunden, voller Angst, vor dem was kommen mag, voller Hoffnung oder Trotz? Zum Auftakt der Premiere von Juliane Kanns Stück FIEBER, das im Rahmen von ÜBER LEBEN IM UMBRUCH entstand und eine therapiebedürftige Stadt zur Protagonistin hat, wird die Soziologin Julia Gabler in einem kurzen Statement den Stimmen einer Stadt das Wort erteilen.
Julia Gabler – Soziologin, freie Autorin, im Auftrag des Forschungsverbundes „‘Social Capital‘ im Umbruch europäischer Gesellschaften“
initiierte und koordinierte sie den Dialog zwischen Vertretern und Akteuren zweier Städte im Umbruch: dem brandenburgischen Wittenberge und
dem pfälzischen Pirmasens.
Premiere/Uraufführung um 20.15 Uhr, Gorki Studio
FIEBER
Juliane Kann
Diese Stadt in der Prärie hat Fieber. Von allen guten Ärzten verlassen beschließt sie, sich selbst zu therapieren. Denn "Menschen bilden eine Stadt bildet Menschen bilden eine Stadt": Es liegt an Ramon und Mimi, an Sabine und Jan, an Robert und Ricarda wohin die Fieberkurve der Stadt führt. Es liegt an der Stadt, ob die Menschen, die sie bilden, gehen oder bleiben. Im Innern der Stadt gerät etwas in Bewegung. Bewegung erzeugt Reibung, erzeugt Wärme, wo Fieber ist, wird gelebt. Die Stadt geht den Verletzungen nach und begegnet Krankheitsgeschichten, die Lebens- und Liebesgeschichten sind. Die Autorin Juliane Kann verarbeitet in ihrem Text Ergebnisse der wissenschaftlichen Feldforschung und verbindet dieses Material mit frei erfundenen Geschichten und den Bildern eigener Erfahrung; Juliane Kann stammt selbst aus der Region, Wittenberge ist für sie ein Stück verloren gegangener Heimat.
Es spielen: Sina Kießling, Anne Müller, Ruth Reinecke; Wilhelm Eilers, Johann Jürgens, Raphael Käding
Regie: Anna Bergmann, Bühne: Natascha von Steiger, Kostüme: Claudia Gonzàlez Espíndola, Musik: Heiko Schnurpel
Auch am Freitag, 04.06.2010 um 17.00 Uhr, Gorki Studio
22:30 Uhr, Maxim Gorki Theater, Eintritt frei
ÜBERLEBENSLANDSCHAFTEN Podiumsgespräch mit Armin Petras, Andreas Willisch, u.a.
Armin Petras, Intendant des MGT Berlin und Regisseur der Stücke HEAVEN (zu tristan) und WE ARE BLOOD von Fritz Kater, und Andreas Willisch, Leiter des Thünen-Instituts Bollewick und Koordinator des Forschungsverbundes „‘Social Capital‘ im Umbruch europäischer Gesellschaften“ geben Auskunft über die Interaktion von Wissenschaft und Theater im Kooperationsprojekt ÜBER LEBEN IM UMBRUCH und den darin unternommenen Versuch, auf der Bühne und im sozialwissenschaftlichen Diskurs zwei komplementäre, einander kommentierende Beschreibungen einer gesellschaftlichen Umbruchsituation zu erarbeiten.
Freitag, 04. 06. 2010
09:30 – 12:30 Uhr, Collegium Hungaricum Berlin
KONFERENZ: ÜBERLEBEN UND UMBRUCH
In einer Zeit experimenteller Unübersichtlichkeit tritt an die Stelle erwartbaren Wohlstands die Unsicherheit alltäglichen Überlebens. Was ist so relevant, dass es unter keinen Umständen untergehen darf? Wie sieht das Soziale einer Überlebensgesellschaft aus? Was sind die Ressourcen des Überlebens? Wer findet welchen Weg durch die Zeit? Die Konferenz ÜBERLEBEN UND UMBRUCH schlägt die Brücke zu den Umbrüchen in der Welt, richtet den Blick zurück nach Wittenberge und thematisiert „Überleben“ als einen Schlüsselbegriff.
I) Umbruch in der Welt – Internationale Befunde
Dr. Rainer Land (Bollewick): Evolution und Umbruch des Teilhabekapitalismus, Prof. Philipp Oswalt (Dessau): Ordinary Cities im Epochenumbruch, Prof. Ulf Matthiesen (Berlin): Stadtidentitäten und Wissensmilieus, Prof. Dr. Franz Schultheis (St. Gallen): Survivor Sickness – Pierre Bourdieus Diagnosen aus einem soziologischen Laboratorium, Moderation: Prof. Dr. Heinz Bude (Hamburg/Kassel)
13:30 – 16:30 Uhr, Collegium Hungaricum Berlin
KONFERENZ: ÜBERLEBEN UND UMBRUCH
II) Überleben und Umbruch in Wittenberge
Dr. Michael Thomas/Dr. Rudolf Woderich (Berlin): Ambivalente Überlebensgemeinschaften, Anna Eckert/Andreas Willisch (Bollewick):
Alltagsstrategien des Überlebens, Dr. Ina Dietzsch/Dominik Scholl (Berlin): Vertrauen ins Überleben, Inga Haese (Berlin): Charisma ist
überlebensnotwendig, Susanne Lantermann/André Schönewolf (Leipzig/Kassel): Überleben der Familie
Weitere Informationen und Anmeldung zur wissenschaftlichen Konferenz bis 26. Mai 2010 unter: ueberleben@thuenen-institut.de
16:45 Uhr, Gorki Studio, Eintritt frei
SORGE UND SORGFALT Statement von Anna Eckert
In Lebenssituationen, die von Langzeiterwerbslosigkeit und der Perpetuierung prekärer Beschäftigungsverhältnisse geprägt sind, werden Alltagsbewältigung und Sorge um sich zu einer besonderen Herausforderung, die dem Einzelnen ein enormes Maß an Sorgfalt und Planung abverlangt. Optimierungsstrategien mit Ursprung in einer Arbeitswelt, der man nicht mehr anzugehören scheint, werden dabei den persönlichen Anforderungen entsprechend umgedeutet und in die Sphäre des Privaten integriert.
Als Auftakt zur zweiten Vorstellung der Uraufführung von Juliane Kanns Stück FIEBER, das im Rahmen von ÜBER LEBEN IM UMBRUCH entstand, wird die Sozialwissenschaftlerin Anna Eckert in einem kurzen Statement eine ausgewählte Frage, These oder Beobachtung aus dem Kontext ihrer Feldforschung in Wittenberge vorstellen. Anna Eckert – Europäische Ethnologin, *1979 in Schwäbisch Gmünd, Studium der Deutschen Sprache und Literatur und der Europäischen Ethnologie in Marburg und Kopenhagen. 2006 Magisterarbeit über Schrumpfung und Armut im Leipziger Osten. Seit August 2007 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Thünen-Institut Bollewick im Projekt „Strategien alltäglicher Überlebenssicherung“ im Rahmen des Forschungsverbundes „‘Social Capital‘ im Umbruch europäischer Gesellschaften – Communities, Familien, Generationen“.
Im Anschluss zeigen wir FIEBER von Juliane Kann
18:00 Uhr, Maxim Gorki Theater, Eintritt frei
DIE KREATIVITÄT DES ALLTAGS. AUF DER BÜHNE Vortrag von Prof. Dr. Hans-Georg Soeffner (Konstanz)
Hans-Georg Soeffner, Prof. Dr. phil. – Soziologe, *1939 in Essen, Professor für Soziologie an der Universität Konstanz, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Forschungsschwerpunkte: Soziologische Theorie, Wissens-, Kultur-, Medien- und Religionssoziologie, Theorie und Methodologie wissenssoziologischer Hermeneutik. Ausgewählte Veröffentlichungen: „Integration und soziale Welten“, [sowie drei
weitere Aufsätze] zus. mit Dariuš Zifonun, in: Sighard Neckel, Hans-Georg Soeffner (Hg.), Mittendrin im Abseits. Ethnische Gruppenbeziehungen
im lokalen Kontex, Wiesbaden 2008, S. 115-131; Zeitbilder. Versuche über Glück, Lebensstil, Gewalt und Schuld. Frankfurt a.M. (u.a.) 2005;
„Gewalt als Faszinosum“, in: Wilhelm Heitmeyer, Hans-Georg Soeffner (Hg.), Gewalt. Entwicklungen, Strukturen, Analyseprobleme, Frankfurt
a.M. 2004, S. 62-85; Gesellschaft ohne Baldachin. Über die Labilität von Ordnungskonstruktionen, Weilerswist 2000.
19.30 Uhr, Maxim Gorki Theater
WE ARE BLOOD
Fritz Kater
Sommer 1985: Zwei Männer und zwei Frauen in einer idyllischen Landschaft. Der stellvertretende Minister macht Tim ein verlockendes Angebot, was für ihn zwei bis drei Jahre Arbeit auf einer fernen Baustelle bedeutet. Doch was wird aus seiner schwangeren Freundin Yves und deren Wunsch Journalistik zu studieren? Und was aus Susan, die zwar mit dem Minister liiert ist, aber davon träumt, als Architektin Häuser zu entwerfen? Zwei Jahrzehnte später in derselben Gegend: Yves pflegt in einem Krankenhaus den krebskranken Justin und den bei einem Unfall schwer verletzten Beni. Justins Vater scheitert daran, seine Frau zurückzuerobern und versucht Yves für sich zu gewinnen. Der Chefarzt Zwerenz erklärt zwar jedes neurologische Phänomen, beantwortet aber nicht Justins Fragen nach dem Leben. Und Benis erfolgreiche
Schwester Lisa kehrt nach Hause zurück, um für ihren Bruder da zu sein, kann sich aber nicht zwischen Tom und Rafael entscheiden, die nicht nur hier Konkurrenten sind: Bauingenieur Tom plant im „am schnellsten wachsenden Regionalzentrum nördlich von Berlin“ ein gigantisches Feriendorf für Kranichtouristen. Nach dem Autobahnbau muss es in der Gegend weiter vorangehen. Rafael kämpft mit allen Mitteln gegen den Ausverkauf dieser einzigartigen Biosphärenlandschaft. Der Aderlass von Mensch und Natur in seiner Heimat muss gestoppt werden. Denn längst schlägt die Natur zurück: ÜberLeben in Nordbrandenburg.
Nach „Heaven (zu tristan)“ untersucht Fritz Kater in seinem neuen Theaterstück die realen Zukunftschancen einer Region und stellt die fatale Alternativsetzung zwischen Bewahrung der Landschaft und ihrer ökonomischen Nutzbarkeit in Frage. Der zur angeblichen Rettung einer Region nötige Eingriff in das ökologische System gleicht dem chirurgischen Eingriff in das System des menschlichen Körpers und fordert Subsidiarität
und Widerstand heraus. Dabei begibt sich Fritz Kater mit seiner Figur des Neurologen Zwerenz in den Bereich der Ursachenforschung, fokussiert seine dramatische Erzählung im Rahmen einer öffentlichen Anhörung und lässt die Interessenskonflikte zwischen Investoren und Naturschützern in direkter Konfrontation unversöhnlich aufeinanderprallen.
Es spielen: Hilke Altefrohne, Julischka Eichel, Regine Zimmermann; Matti Krause, Christian Kuchenbuch, Peter Kurth, Andreas Leupold, Carlo
Ljubek, Max Simonischek
Regie: Armin Petras, Bühne und Kostüme: Susanne Schuboth
23:00 Uhr, Maxim Gorki Theater, Eintritt frei
Im Anschluss an die Vorstellung WE ARE BLOOD am 4. Juni 2010 laden wir Sie herzlich zum Gespräch ein. Beteiligte der Produktion und Fachleute verschiedener Wissensbereiche geben Auskunft zu Entstehung von Stück und Inszenierung und ihrem thematischen Kontext.
Mit: Jakob Augstein (Der Freitag), Dr. Christian Damm (Biologe, Projektleiter des Naturschutzgroßprojektes Lenzener Elbtalaue), Dr. Matthias Reinhold (Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Facharzt für Kinder - und Jugendpsychiatrie, Traumatherapeut für Kinder und Jugendliche, Familientherapeut und Ausbilder am Institut für Systemische Impulse Berlin sowie an der Berliner Akademie für Psychotherapie)
und Andrea Koschwitz (Chefdramaturgin).
21:00 Uhr, Gorki Studio, Eintritt frei
FAMILIENGESCHICHTEN Statement von André Schönewolf
Zum Auftakt der Präsentation des ARCHIV DES UMBRUCHS, das die Agentur Kriwomasow gemeinsam mit Wissenschaftlern des Forschungsverbundes „‘Social Capital‘ im Umbruch europäischer Gesellschaften“ entwickelt hat, wird der Soziologe André Schönewolf in einem kurzen Statement eine ausgewählte Frage, These oder Beobachtung aus dem Kontext seiner Feldforschung in Wittenberge vorstellen.
André Schönewolf, M. A. – Soziologe, * geb. 1982 in Kassel, Studium der Erziehungswissenschaften, Psychologie und Soziologie an der
Universität Kassel. Thema der Magisterarbeit bei Prof. Olaf-Axel Burow und Dr. Jörg Dürrschmidt: "Partizipation in der Arena der Zukunft – Die
Zukunftswerkstatt als Instrument zur (Re-)Politisierung und Demokratisierung gesellschaftlicher Strukturen".
21:30 Uhr, Gorki Studio
IN DER NACHT KAMEN MIR IMMER DIE IDEEN GEFLOGEN... ARCHIV DES UMBRUCHS. Eine dokumentarische Recherche
Seit Januar 2009 arbeiten Anja Mayer und Andreas Kebelmann (Agentur Kriwomasow) in Wittenberge an einem ARCHIV DES UMBRUCHS zur
vorsorglichen Aufbewahrung historisch gewordener Erfahrungen und Kulturtechniken. Den Bestand dieses Archivs bilden Erzählungen Wittenberger Bürger zu charakteristischen Bereichen der Alltags- und Arbeitspraxis in der ehemaligen Industriestadt: Nähen, Kleingarten, Eisenbahn und Hafen. In Kooperation mit dem Forschungsverbund „’Social Capital’ im Umbruch europäischer Gesellschaften“ und Wittenberger Bildungs- und Sozialeinrichtungen wurden Projekte entwickelt, die an altes, scheinbar nutzlos gewordenen Wissen mit neuen Fragen anknüpfen. Das ARCHIV DES UMBRUCHS erschließt Techniken wie Nähen und Kleingartenbewirtschaftung oder Orte wie den Elbhafen in ihrer biografischen Bedeutung und fragt nach ihrer einstigen und künftigen sozialen Funktion.
Samstag, 05.06.2010
12:00 – 15:00 Uhr, Collegium Hungaricum Berlin
KONFERENZ: ÜBERLEBEN UND UMBRUCH
III) Überleben als Schlüsselbegriff
René Aguigah (Berlin): Wirklichkeitswelten, Dr. Falko Schmieder (Berlin): Die Zeit des Überlebens, Christine Wahl (Berlin): Über Leben Im Theater. Zur Herausforderung „soziale Realität“ auf die Bühne zu bringen. Moderation: Dr. Thomas Medicus (Berlin)
Weitere Informationen und Anmeldung zur wissenschaftlichen Konferenz bis 26. Mai 2010 unter: ueberleben@thuenen-institut.de
15:00 Uhr, Gorki Studio, Eintritt frei
MONOLOGE Statement von Susanne Lantermann
Vor der Aufführung von Philipp Löhles Stück DIE ÜBERFLÜSSIGEN, das im Rahmen von ÜBER LEBEN IM UMBRUCH entstand, wird die Sozialwissenschaftlerin Susanne Lantermann in einem kurzen Statement eine ausgewählte Frage, These oder Beobachtung aus dem Kontext
ihrer Feldforschung in Wittenberge vorstellen.
Susanne Lantermann, M.A. – Soziologin, * 1980 in Kassel, Studium der Kulturwissenschaften, Psychologie und Soziologie in Leipzig und
Lille. Magisterarbeitsthema: "Gedächtnisbiographie einer Generation. Konstruktion von Erinnerung am Beispiel von Vertretern der ´68er".
15:30 Uhr, Gorki Studio
DIE ÜBERFLÜSSIGEN
Philipp Löhle
Das große Spiel unserer Gesellschaft: Gewinner und Verlierer teilen sich das Spielfeld. Aber dann gibt es eben noch den Rand des Spielfelds und das, was dahinter liegt. Eine graue, unbestimmte Masse von Spielern, die erst gar nicht ins Spiel gekommen sind, die in einer Nische ein unbeachtetes Dasein fristen, ausgeschlossen sind. Wie die Bewohner von Lükke, die keinerlei Versuch unternehmen, am Spiel teilzunehmen. Als Eddie nach Lükke zurückkehrt, um seine Eltern zu beerdigen, erkennt er, vom Stadtleben gehetzt, das Potential des Nichts in dem verfallenen und vergessenen Lükke. Eddie unternimmt alles, um einen Umbruch herbeizuführen. Doch die Bewohner weigern sich. Sie wollen keine Touristen. Resignation, Bequemlichkeit oder Stolz? Eddie kämpft bis zur Verzweiflung.
Die Überflüssigen werden zahlreicher und sie wissen um ihre Überflüssigkeit: Denn wer am Spielfeldrand steht, darf zwar nicht mitspielen, kann
dafür aber jederzeit vom Spielfeld davonlaufen.
Philipp Löhle ist in dieser Spielzeit Hausautor am MGT Berlin. In der Verarbeitung der Forschungsergebnisse entschied er sich für ein Genre
zwischen Farce und tragischer Komödie.
Es spielen: Ninja Stangenberg, Sabine Waibel; Horst Kotterba, Robert Kuchenbuch, Gunnar Teuber
Regie: Dominic Friedel, Bühne: Natascha von Steiger, Kostüme: Karoline Bierner
17:30 Uhr, Brinkmannzimmer
REPORTAGEN AUS WITTENBERGE Hörinstallation
Eine Frau, die täglich um viertel nach vier Uhr morgens das Haus verlässt, um eine Handvoll Tageszeitungen zu ihren Lesern zu bringen. Ein junger Mann, den seine bloße Anwesenheit in der Stadt zum Fremdkörper macht. Ein Brummifahrer, dem auf seinen Touren von Deutschland nach Polen und zurück die Fahrerkabine das Wohnzimmer und das Foto am Rückspiegel die Familie ersetzen. Ein findiger Kleinunternehmer mit einem ungewöhnlichen Dienstleistungsportfolio. Ein rumänischer „Wurstkönig“, der sich eine ganze Stadt kaufen will. – Sie alle sind Protagonisten eines bis in alle Bereiche des zwischenmenschlichen Zusammenlebens hineinwirkenden gesellschaftlichen Umbruchs.
Mehrere Monate bis anderthalb Jahre haben die Sozialwissenschaftler des Forschungsverbundes „‘Social Capital‘ im Umbruch europäischer Gesellschaften“ im brandenburgischen Wittenberge gelebt und gearbeitet. Sie haben dort nicht nur empirische Daten und Befunde erhoben, sondern in der täglichen Begegnung mit der Stadt und ihren Bewohnern ganz direkte Alltagserfahrungen gemacht, die mit der Sprache des sozialwissenschaftlichen Diskurses kaum zu erfassen sind. Zur Beschreibung dieser subjektiven Eindrücke haben sie daher das Medium der Reportage gewählt. Während des Theaterspektakels ÜBER LEBEN IM UMBRUCH wird eine Auswahl dieser Texte –gesprochen von Schauspielerinnen und Schauspielern des Gorki-Ensembles – in einer Hörinstallation im Brinkmann-Zimmer des MGT Berlin präsentiert.
Sprecher: Hilke Altefrohne, Julischka Eichel, Regine Zimmermann; Michael Klammer, Peter Kurth, Andreas Leupold, Max Simonischek.
19:30 Uhr, Maxim Gorki Theater
DER BESUCH DER ALTEN DAME
Friedrich Dürrenmatt
Güllen ist hoch verschuldet. Die Fabriken, die das Städtchen einmal reich gemacht haben, sind seit langem geschlossen. Nun klammern sich seine Bewohner verzweifelt an die letzte große Hoffnung: den Besuch von Claire Zachanassian, die in ihrer Jugend selbst in Güllen lebte und durch das Erbe ihres ersten Mannes, eines armenischen Ölscheichs, zur Milliardärin avanciert ist.
Ihre Jugendliebe Alfred Ill soll die alte Dame bei ihrem Besuch begleiten, unterhalten und in Spendierlaune bringen. Daran, dass der junge Ill seine „Kläri“, als diese von ihm schwanger wurde, verlassen und sie durch eine Falschaussage der gesellschaftlichen Ächtung ausgesetzt hatte, scheint sich
niemand mehr zu erinnern. Nur Claire Zachanassian selbst hat die Schmach nicht vergessen. Sie knüpft an die Aussicht einer Millionenspende die Forderung nach der Hinrichtung von Alfred und reißt damit die Güllener in den Konflikt zwischen moralischen Ansprüchen und finanziellen Verlockungen. Friedrich Dürrenmatts Parabel ist ein dramatischer Laborversuch über die Haltbarkeit moralischer Grundsätze. Das Leben des Einzelnen steht der Ökonomie der Gruppe gegenüber. In diesem Spannungsfeld vergeht Zeit, passiert Geschichte, wird Politik realisiert.
Es spielen: Christine Hoppe (Clara, eine schöne Frau), Andreas Leupold (Alfred III, früher ein Dandy), Sabine Waibel (Frau III, Kauffrau), Stefko
Hanushevsky (Sohn, Cineast), Anne Müller (Das Mädchen), Wolfgang Michalek (Bürgermeister, ein eloquenter Mann), Matthias Reichwald (Der
Polizist), Gunnar Teuber (Journalist, früher Dichter), Berit Jentzsch (Leopard, eine junge Frau mit einer Krankheit)
Regie: Armin Petras, Bühne: Olaf Altmann, Kostüme: Katja Strohschneider, Musik: Thomas Kürstner, Sebastian Vogel, Video: Niklas Ritter
21:00 Uhr, Gorki Studio, Eintritt frei
DIE STADTMACHER Statement von Inga Haese
Als Auftakt zur Aufführung vom Thomas Freyers Stück IM RÜCKEN DIE STADT, das im Rahmen von ÜBER LEBEN IM UMBRUCH entstand, wird
die Soziologin Inga Haese in einem kurzen Statement eine ausgewählte Frage, These oder Beobachtung aus dem Kontext ihrer Feldforschung
in Wittenberge vorstellen.
Inga Haese – Soziologin, * 1980 in Kassel, arbeitet am Hamburger Institut für Sozialforschung zu Charisma in Umbruchsgesellschaften. Studium der Sozialwissenschaften und Gender Studies an der Humboldt-Universität zu Berlin. Für ihre Abschlussarbeit forschte sie zu den Anpassungsstrategien von Soldatinnen im israelischen Militär, zuletzt erschien der Artikel "Metropolregionen: Zwischen Wachstum, Wahn und Wissenschaft" im online-Magazin e-politik.
21:30 Uhr, Gorki Studio
IM RÜCKEN DIE STADT
Thomas Freyer
„ich glaub nicht, dass es dort keine perspektive mehr geben soll. es gibt doch die geschichten der alten, der jungen, die dort leben. und die haben doch wünsche und irgendwo ein glück. und das ist auch nicht nur ein aushalten von lebenszeit. das ist doch eine suche. und da will ich mich reinschreiben.” Welche Lebenspläne existieren an den Orten, wo es keine Arbeit und keine Zukunft mehr zu geben scheint? Wittenberge, Bochum, Chemnitz. Wer redet von den Leerstellen und Verlusten und wer lehnt sich dagegen auf? Wie bewegen sich die Generationen aus- und zueinander und welche Möglichkeiten gibt es für den Einzelnen, für die Familie oder eine kleine Gemeinschaft, die Ökonomie des eigenen Lebens neu zu erfinden? Thomas Freyer hat sich mit der ihm eigenen Sprache an den Beobachtungen einer Überlebenslandschaft beteiligt. Sein Stück erzählt von unterschiedlichen Vorstellungen über den Wert von Arbeit und Freiheit, über das Ausharren und Aushalten sowie über die Sehnsucht nach einem Ausstieg.
Es spielen: Britta Hammelstein (Ina), Ruth Reinecke (Ingrid), Jörg Kleemann (Daniel), Leon Ullrich (Heiko), Wilhelm Eilers (Nachbarn), Ulrich
Anschütz (Nachbarn), Hans-Jochen Wagner (Nachbarn)
Regie: Nora Schlocker, Bühne: Natascha von Steiger, Kostüme: Marie Roth, Musik: Jörg-Martin Wagner
Ab 21:00 Uhr Ausklang mit Grill, Musik und Tanz im und um das Maxim Gorki Theater