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Theater Chemnitz: "Wolken.Heim" von Elfriede Jelinek

Premiere 1. Oktober 2010, 19.30Uhr, Schauspielhaus/ Hinterbühne

„Wir sind bei uns zuhaus“ ist der leitmotivische Satz in Elfriede Jelineks Textcollage, die 1988 im Rahmen des Zyklus „Wir Deutschen“ als Auftragswerk am Schauspiel Bonn uraufgeführt wurde und durch die deutsche Wiedervereinigung 1989 nachträglich einen ungeheuren Aktualitätsbezug erhielt.

Die Autorin vereint darin Texte und Gedanken von Autoren aus mehreren Jahrhunderten deutscher Geistesgeschichte – Hölderlin, Hegel, Heidegger, Fichte, Kleist, Briefe der RAF.

Formal weist „Wolken.Heim“ keinerlei Merkmale eines Theatertextes auf. Die einzige Gliederung des Textes sind 24 Abschnitte. Die Autorin verzichtet gänzlich auf Regieanweisungen und die dialogische Form traditioneller Theatertexte.

Zentrales Thema ist der Nationalismus - und wie sich nationale Identität durch Ausschluss und Vernichtung des Fremden konstituiert. Statt Figuren spricht ein „Wir“, das sich manisch die unterschiedlichsten Texte einverleibt, ein Stimmengewirr, das beschwörend und soghaft keinen anderen Bezugspunkt außer sich selbst kennt und in Wiederholungen kaum mehr als um sich selbst kreist. Das Motiv der Untoten, das Jelineks in ihrem Text evoziert, verweist auf das Weiterleben nationalistischen und faschistischen Gedankenguts. Ein Identitäts- und Heimatmonolog in hochartifizieller Versprosa.

Zur Inszenierung

Dieter Boyer, am Chemnitzer Schauspiel Spezialist für Texte, die auf die klassische Rollen- und Figurenaufteilung verzichten, wird „Wolken.Heim“ inszenieren – als einen Abend, der den Rahmen der klassischen Theateraufführung verlässt. Auf der Hinterbühne des Schauspielhauses hat er dafür zusammen mit seinem Ausstatter Ralph Zeger eine begehbare Installation geschaffen, die verschiedene Spielorte schafft und somit den Zuschauern die Wahl lässt, was sie sehen möchten. Der monolithische Text Jelineks wird dafür in seine Einzelteile aufgesprengt, setzt sich jedoch in der szenischen Anordnung der Spielsituationen sukzessive wieder zusammen. Jelinek spannt die Bezüge ihres Textes über den Bogen von zwei Jahrhunderten bis hinein in die Zeiten der RAF; die Chemnitzer Inszenierung zieht den Kreis noch größer und thematisiert auch die ideologischen Implikationen eines DDR-Sozialismus. Was sich vor den Augen der Zuschauer realisiertm ist ein Jahrmarkt deutscher Geschichte.

Regie: Dieter Boyer

Bühne und Kostüme: Ralph Zeger

Sounds und Arrangements: Bernhard Fleischmann

Es spielen:

Ulrike Euen, Caroline Junghanns, Claudia Kraus, Annett Sawallisch, Katharina Schlothauer*, Susanne Stein; Bernd-Michael Baier, Nikolaus Barton , Bernhard Conrad , Timo Hastenpflug*,

Gordon Kämmerer*, Tilo Krügel, Urs Rechn, Jan Sabo*

* Studenten des Schauspielstudios der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy” Leipzig in Chemnitz

Das künstlerische Team

Der Regisseur Dieter Boyer arbeitete von 1988 - 1997 als Schauspieler, war von 1990 - 1993 als Journalist für den ORF und die „Neue Zeit“ tätig, assistierte an der "Escuela de Arte Dramatico" Valladolid in Spanien und baute ab 1997 das Theater im Bahnhof in Graz auf, als Schauspieler und Regisseur. 1999 ging er dann als Regieassistent u. a. für Claus Peymann und Martin Kušej an das Burgtheater Wien. Seit 2001 ist Dieter Boyer freischaffender Regisseur. Seitdem inszeniert er an zahlreichen Theatern wie u. a. am Burgtheater Wien, am Altonaer Theater Hamburg, am Schauspielhaus Graz, am Staatstheater Mainz und am Staastheater Mannheim. Er ist Mentor zahlreicher junger Autoren, darunter bekannte Namen wie Ewald Palmetshofer, Jörg Albrecht, Gerhild Steinbuch oder Johannes Schrettle. Am Schauspiel Chemnitz brachte er bisher zwei Auftragswerke der Autorin Ulrike Syha zur Uraufführung und zeichnete 2010 als Kurator und künstlerischer Leiter für das Theaterfest „CHEMNITZ – schönste Blume des Ostens!“ verantwortlich.

Der Bühnen- und Kostümbildner Ralph Zeger, geboren 1971 in Augsburg, studierte nach einer Ausbildung zum Theatermaler in Stuttgart Bühnen- und Kostümbild bei Jürgen Rose. Anschließend war er als Assistent am Staatstheater Stuttgart, Burgtheater Wien und den Salzburger Festspielen und ist seit 2001 freischaffend als Bühnen- und Kostümbildner tätig. Er realisierte eigene Arbeiten u. a. an den Staatstheatern in Stuttgart, Karlsruhe und Mainz, am Burgtheater Wien, am Volkstheater und am Schauspielhaus in Wien, an den Schauspielhäusern in Köln, Basel, Graz und Hamburg und am Theater Oberhausen, außerdem an der koreanischen Nationaloper in Seoul und am Aalto Theater Essen (für das Bühnenbild der dortige Produktion AAufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ bekam er in der Zeitschrift Opernwelt eine Nominierung zum Bühnenbildner des Jahres).

Der Musiker Bernhard Fleischmann, 1975 geboren, gehört zu den derzeit gefragtesten Indietronic-Musikern und -Komponisten. 1991 hatte er erste Konzerte mit verschiedenen Gitarren-Bands, darunter „Sore!“ und „Speed Is Essential“. Ab 1998 beschäftigte sich Fleischmann näher mit elektronischer Musik und richtete sich ein eigenes Studio ein, in dem er seine ersten Kompositionen einspielte. Sein Debütalbum „Pop Loops For Breakfast“ erschien 1999. Es folgten erste Konzerte in Österreich und Deutschland. 2000 wurde Fleischmann in den USA bekannt, als er bei dem Label Fuzzy Box das Album „A Choir Of Empty Beds“ veröffentlichen und im November 2000 zwei Konzerte in New York geben konnte. 2001 gründete Fleischmann zusammen mit Herbert Weixelbaum das Musikprojekt DUO505 und brachte 2003 mit „Welcome Tourist“ sein erstes Doppelalbum heraus, für das Fleischmann in der Kategorie Bestes Album den erstmals vergebenen französischen „qwartz electronic music award“ erhielt. Für zwei Filme des österreichischen Filmemachers Jörg Kalts, „Richtung Zukunft durch die Nacht“ (Sonderpreis der Jury beim Max Ophüls Preis 2002) und „Crash Test Dummies“ (Uraufführung auf der Berlinale 2005) komponierte er die Filmmusik. Bernhard Fleischmann lebt als freischaffender Musiker in Wien.

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