Das Gehen ist ein großes Thema in "EXIT ABOVE after the tempest" von Anne Teresa De Keersmaeker und ihrem Team. Diverse Songs vom Blues über Soul und Housemusic, die live vom Gitarristen Carlos Garbin und der Sängerin Meskerem Mees performt werden, greifen dieses Thema auf, wobei der Ausgangspunkt Robert Johnsons "Walking Blues" ist. Assoziationen von amerikanischen Wanderarbeitern, schwarzen Sklaven stellen sich ein, war der Blues doch ursprünglich ihre Musik.
Gehen, Wandern, Marschieren, Trippeln, Hüpfen: es gibt viele Möglichkeiten, sich fortzubewegen, streng vorwärts, mit Seitenschlenkern oder im Kreis, zwischendurch Clubdance und Bodenakrobatik wie im Breakdance. Dann ein Innehalten, die Gesichter zu Grimassen gefroren, starr auf die Zuschauer gerichtet. Schrecken, Anstrengung oder verschlucktes Meerwasser provozieren zum Übergeben. Weggehen. Nicht nur Orte, sondern auch jemanden verlassen, migrieren, freiwillig oder gezwungenermaßen.
Kurze erzählerische Momente lassen die Begegnung von Miranda und Fernando oder von Trinculo und Stefano, Figuren aus William Shakespeares "The Tempest", aufscheinen, die auf einer Insel gestrandet sind.
Mehrfach wird aus Walter Benjamins Betrachtungen zu Paul Klees Zeichnung "Angelus Novus" zitiert, einer Zeichnung, die ursprünglich ihm gehörte:
„Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, daß der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“ Seit dem Verlust der Unschuld und der Vertreibung aus dem Paradies sind Katastrophen Teil des menschlichen Daseins, noch immer ist er den Naturgewalten schutzlos ausgeliefert, immer mehr ist er aber in seiner Maßlosigkeit selbst Verursacher dieser Katastrophen. Auch sein Leben ist bedroht.
Aus der Gruppe der Performenden scheint immer wieder Meskerem Mees auf, die nicht nur als Sängerin, sondern auch als Tänzerin auftritt. Sie singt zart und schlicht, ist in sich ruhend, berührend sanft. Sie bildet den heimlichen Mittelpunkt, ist vielleicht der beobachtende Engel.
Ein letzter Song sagt: Ich werde kaum Spuren hinterlassen.
Einen bleibenden, nachdenklichen Eindruck wird aber sicherlich "EXIT ABOVE after the tempest" hinterlassen, das eine ungewöhnliche Verknüpfung von Shakespears Sturm mit Walter Benjamin und dem amerikanische Blues vornimmt und doch zu einem harmonischen Miteinander findet und auch beim Publikum einhellige stürmische Zustimmung fand.
Choreografie: Anne Teresa De Keersmaeker
entwickelt mit /getanzt von: Abigail Aleksander, Ariadna Navarrete Valverde, Carlos Garbin, Jacob Storer, Jean Pierre Buré, Cintia Sebők, José Paulo dos Santos, Lav Crnčević, Mariana Miranda, Meskerem Mees, Nina Godderis, Rafa Galdino, Solal Mariotte
Musik: Carlos Garbin, Jean-Marie Aerts, Meskerem Mees
Musik performt von: Carlos Garbin, Meskerem Mees
Szenografie: Michel François
Licht: Max Adams
Kostüme: Aouatif Boulaich
Text und Lyrics: Meskerem Mees, Wannes Gyselinck
Dramaturgie: Wannes Gyselinck
Rehearsal Directors: Clinton Stringer; Cynthia Loemij