Illustrate Illyria!
„Ein Spiel um Illusion“ lautet das Motto der neuen Spielzeit im Schauspielhaus – und wie könnte dies besser eröffnet werden als mit Shakespeares Geschlechter- und Identitätsverwirrklassiker „Was ihr wollt“. Nach einem Schiffbruch finden sich die Figuren an den Ufern Illyriens wieder – und hier ist nichts mehr, wie es war, und nichts mehr, wie es scheint. Hier steht Illusion gegen Wirklichkeit, und es beginnt ein fantastischer Reigen an Irrungen, Verwirrungen und komisch-tragischen Verwechslungen: Orsino liebt Olivia und schickt ihr unwissend als Liebesboten die verkleidete Viola, in die sich wiederum Olivia verliebt. Die verkleidete Viola hat aber nur Augen für Orsino, der durch seine Zuneigung zu ihr an seiner sexuellen Ausrichtung zu zweifeln beginnt. Zum Glück gibt es noch Violas Zwillingsbruder, der ein wenig Licht in die Bedürfnisse seiner Mitmenschen zaubern kann ...
Keine der Figuren will eigentlich die Person, welche sich augenscheinlich für sie interessiert. Der Soap-Lifestyle-Traum moderner Liebe scheint für alle reizvoller als die momentan realen Möglichkeiten und Menschen ihrer Umgebung. Mit diesem Ansatz gehen die Studenten Shakespeares großem Klassiker auf die Spur – und erarbeiten ihre eigene Version für 4 Schauspieler und 5 Rollen: „Illustrate Illyria!“.
Das neue Schauspielstudio
Florentine Krafft und Kaspar Locher von der Hochschule der Künste Zürich, Markus Westphal vom Max Reinhardt-Seminar Wien und Anna-Sophie Fritz vom Salzburger Mozarteum sind die vier Schauspielstudenten, die in der Spielzeit 2012/2013 das neue Schauspielstudio in Chemnitz bilden. Die Zusammenarbeit von Schauspiel Chemnitz und diesen drei renommierten Schauspielhochschulen, die in dieser Spielzeit beginnt, ist uns Anlass genug, die traditionelle Studioinszenierung, in der exklusiv die Studenten eine Inszenierung erarbeiten, an den Beginn der Saison zu stellen.
Regie: Yves Hinrichs
Fassung: Janine Henkel
Bühne und Kostüme: Yves Hinrichs / Janine Henkel
mit: Anna-Sophie Fritz, Florentine Krafft, Kaspar Locher und Markus Westphal
*****
Sophokles: Ödipus, Tyrann
nach Hölderlin von Heiner Müller
Die Vorgeschichte: Ödipus ist der Ausgestoßene. In Theben geboren als Sohn des Königspaares Laios und Iokaste, setzten ihn seine Eltern in der Wildnis aus – aufgrund der Vorhersehung, dass Laios einst von seinem Sohn getötet und dieser Laios‘ Gemahlin heiraten wird. Ödipus aber wird gerettet – und wächst ohne Wissen um seine Herkunft bei fremden Eltern in Korinth auf. Als er erwachsen ist, treiben ihn Andeutungen, denen zufolge er nicht der leibliche Sohn seiner Eltern sei, seinerseits zum Orakel, das ihn zum Mörder seines Vaters und Mann seiner eigenen Mutter erklärt. Ödipus flieht, in die Fremde, nach Theben. Er befreit die Stadt von der mörderischen Sphinx, wird König und heiratet die verwitwete Königin Iokaste.
Die Geschichte: In Theben wütet die Pest. Durch eine Befragung des Orakels versucht Ödipus, die Stadt erneut zu retten. Er erfährt von einer Blutschuld, die Theben belastet, und verlangt die rücksichtslose Aufdeckung der mörderischen Tat an seinem Vorgänger, König Laios. Als Souverän auf der Höhe der Macht sucht Ödipus, mit bestem Wissen und Gewissen zu handeln, und muss erfahren, dass er selbst der Täter war und seine Mutter seine Frau geworden ist. Er, der als Sehender blind war, nimmt sich am Ende selbst das Augenlicht.
Von vielen Dichtern bearbeitet, gehört der Ödipus-Mythos zu den bedeutendsten der abendländischen Kultur. Die dramatische Vorlage von Sophokles, die um 425 v. Chr. entstand, erfuhr 1804 eine Übersetzung durch Friedrich Hölderlin. Heiner Müller realisierte daraus in den 1960er Jahren eine eigene Textfassung, für die er jedoch nicht allein als Autor zeichnete, sondern bereits im Titel sowohl den antiken Autor benennt als auch die Übersetzungsleistung Hölderlins, auf der Müllers Stück basiert, ausdrücklich anerkennt.
Zur Inszenierung
Regisseur Dieter Boyer begibt sich zusammen mit den Spielern und seinem Team auf die Suche nach dem, was die großen Begriffe der Antike – Götter, Orakel, Schicksal, Schuld, Wahrheit – heute für uns bedeuten können bzw. an welcher Stelle sie durch etwas anderes ersetzt worden sind. Betrachtet man Ödipus als einen Menschen der Gegenwart, so begleitet man ihn auf Orientierungssuche in einer komplexen Welt, die nur in Fragmenten noch wahrnehmbar ist. Nicht blind ist er vor dem, was offensichtlich ist, sondern unmöglich ist es ihm, das Offensichtliche sehen zu können, wenn es nur in Splittern vor ihm liegt. Welche Rolle spielt ein Seher wie Tiresias im Verlauf der Ereignisse oder ein Schwager wie Kreon, der vorher selbst die Macht inne hatte? Wie ambivalent sind die Ziele, die von den Menschen in Ödipus’ Umgebung verfolgt werden? Wem kommt letztendlich zugute, was als Wahrheit definiert wird? Und welche Tragik birgt Ödipus’ Suche, der die Konsequenzen seines Handelns nicht rückgängig machen kann?
Regieteam
Dieter Boyer inszeniert seit 2008 regelmäßig am Schauspiel Chemnitz und realisierte zahlreiche Uraufführungen, wie u. a. die Auftragswerke der Autorin Ulrike Syha - „Privatleben“ (eingeladen zu den Mülheimer Theatertagen 2009), “Fracht“ und „Radikale“ (eingeladen zu den Autorentheatertagen am Deutschen Theater Berlin 2012) sowie das erste Auftragswerk des renommierten russischen Autors Iwan Wyrypajew für das Schauspiel Chemnitz - „Illusionen“. Mit dem Bühnen- und Kostümbildner Ralph Zeger, der an Theatern u. a. in Wien, Hamburg, Stuttgart, Essen und Seoul (Korea) tätig war, verbindet ihn eine langjährige Zusammenarbeit, die seit 2010 komplettiert wird durch den derzeit international gefragtesten Indietronic-Musiker und -Komponisten Bernhard Fleischmann.
Regie: Dieter Boyer
Bühne und Kostüme: Ralph Zeger
Musik: Bernhard Fleischmann
mit: Tilo Krügel (Ödipus), Susanne Stein (Tiresias / Chor), Ellen Hellwig (Jokaste / Chor), Hartmut Neuber (Kreon / Chor), Caroline Junghanns (Magd / Chor), Karl Sebastian Liebich (Bote / Chor), Constantin Lücke (Priester / Diener / Chor), Damen und Herren der Statisterie