Die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek hat 2011 mit "Winterreise" ihren persönlichsten Text für das Theater vorgelegt. Ausgehend von Franz Schuberts Liederzyklus erschreibt Jelinek eine Welt der einsamen Wanderschaft: „Ich – was immer das bedeuten mag – versuche, mich, in Bezug zu der Zeit zu setzen, in der ich lebe.“ Jelinek wählt dafür Bilder extremer Überformung: Die Gier nach dem Geld zu Zeiten der Finanzkrise, den öffentlichen Umgang mit der Entführten Natascha Kampusch, die Sehnsucht nach Liebe im Internet. Schließlich zieht alles Suchen sich zusammen auf die Figur eines alten Mannes – Jelinek gibt ihrem Vater, dessen Demenzerkrankung sie tief erschütterte, eine Stimme: „Vorhin war noch Morgen, jetzt ist Abend, vorhin war Sommer, jetzt ist Reif als weißer Schein mit übers Haupt gestreut, ich weiß es nicht mehr.“
Inszenierung Alexander Charim
Bühne/Kostüme Ivan Bazak
Dramaturgie Maria Schneider
Mit
Magdalena Helmig
Monika Vivell
Patrick Berg
Thomas Kienast
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Felix Krull begreift schon früh den Betrug als völlig legitimes Mittel, sein Streben nach Höherem in Einklang mit der Wirklichkeit zu bringen, die für ihn als Sohn eines gescheiterten Champagnerproduzenten zunächst nicht rosig aussieht. In seinen Bekenntnissen legt Krull ein Leben voll selbstbewusst genutzter Gelegenheiten vor, das den jungen Mann schließlich sogar unter adligem Decknamen auf Weltreise führt. Thomas Manns Fragment eines ironischen Bildungsromans, entstanden zwischen 1910 und 1954, fragt bis heute danach, wie ernst wir gesellschaftliche Restriktionen wirklich nehmen wollen: Wer kommt mit welchen Mitteln durch, wer lässt sich erwischen – und wie wunderbar lässt es sich noch im Moment der Enttarnung elegant über tiefergehende Beweggründe Rechenschaft ablegen …
Inszenierung Frank Abt
Bühne Michael Köpke
Kostüme Ilka Meier
Musik Rewert Lindeburg
Dramaturgie Stefanie Eue / Marie Senf
Mit Marcus Hering, Alexander Jaschik, Tilman Meyn, Jakob Plutte, Thomas Schneider, Martin Schwartengräber
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"Bombsong" von Thea Dorn
Thea Dorn schrieb den Monolog Bombsong im August 2001 in New York, noch bevor die Anschläge des 11. Septembers 2001 die Welt in Aufruhr erschütterten. Eine junge Frau entschließt sich, zum Äußersten zu gehen. Sie trägt eine Bombe bei sich und plant einen Selbstmordanschlag –
den Anschlag auf ein System, in dem sie keine Möglichkeit der Teilhabe sieht. Eine Dekade nach der Uraufführung untersucht Clemens Braun den Text auf seine Bezüge zu unserer Lebenswirklichkeit: Wer ist die junge Frau, die in einer Welt, in der die Occupy-Bewegung allmählich einschläft und das mediale Echo auf internationale Empörungswellen wieder abebbt, einen Kinderkoffer mit Bombe in die U-Bahn trägt?
Inszenierung Clemens Braun
Bühne/Kostüme Margrit Flagner
Musik esoteric workshop (by Oliver Bock)
Mit Maria Goldmann