Im deutschsprachigen Raum war bisher – in verschiedenen Übersetzungen – nur die Originalfassung der Ziegfeld-Uraufführungsproduktion gespielt worden, die dramaturgisch nicht unproblematisch ist. Bei der Sichtung der beiden anderen Fassungen ergab sich, dass die vom renommierten Regisseur Harold Prince 1993/94 erarbeitete Version, die zunächst in Toronto und dann lange in New York und London lief, sowohl musikalisch als auch dramaturgisch überzeugen konnte. Eine Übersetzung der Dialoge wurde in Auftrag gegeben. Auf eine Übertragung der Gesangstexte wurde – erstmals seit Gründung der Musicalsparte – verzichtet, da man Klassikern wie „Ol’ Man River“ und „Can’t Help Lovin’ Dat Man“ auf Deutsch kaum gerecht werden kann und der Große Saal des Musiktheaters ja zum Glück über die mehrsprachige Bildschirmtitelanlage verfügt.
1993 war die Zeit reif gewesen für eine Neuinterpretation von Show Boat. Das Musical von 1927 war fast siebzig Jahre alt, und die sozialen Gegebenheiten der 1990er Jahre machten es unmöglich, die umstrittene Rassenfrage weiter zu ignorieren. Die Idee, die Produktion für das heutige Publikum zu überarbeiten, kam von dem kanadischen Film- und Theaterproduzenten Garth Drabinsky. Der Gedanke an sich war allerdings nicht neu. Von Beginn an war es gang und gäbe, Musik und Text immer wieder zu verändern. Schon die Uraufführung am Broadway unterschied sich stark von den Voraufführungen, auch die erste Tournee war wieder anders. In der Filmversion von 1929 wurde die Liebesgeschichte zwischen Schwarz und Weiß gestrichen, 1940 ließ eine weitere Produktion alle schwarzen Charaktere weg und Julie war nicht mehr gemischter, sondern weißer Herkunft. Im Film von 1951 wurde völlig auf den schwarzen Chor verzichtet.
Drabinsky ging das Stück ganz anders an: Statt es mit Samthandschuhen anzufassen, sprach er das
Tabuthema Rassendiskriminierung in den USA direkt an. Regie sollte der für Evita, Phantom der Oper, Sweeney Todd und viele andere Uraufführungen bekannte Harold Prince führen. Prince recherchierte, durchforschte Archive und verglich die vielen verschiedenen Produktionen seit der Uraufführung 1927 miteinander. Er versah Show Boat mit seinem ganz persönlichen Prince-Touch. Im Vorwort zu seiner Fassung schrieb er:
„Show Boat ist nicht einfach irgendein amerikanisches Musical. Es ist das erste große moderne Musical Play und das erste, das die Musical Comedy mit einer ernsthaften Thematik kombiniert. Früher waren die Produktionen stark von einer noch nicht ausgereiften Bühnentechnik eingeschränkt. Heute kann eine Szene bei offenem Vorhang flüssig in die nächste übergehen, ohne das Bühnengeschehen zu unterbrechen. In unserer Version können wir in so genannten Montagen Entwicklungen über mehrere Jahre zusammenzufassen. Vor unserer Premiere 1993 in Toronto war ein Teil der städtischen Black Community wegen des angeblich enthaltenen Rassismus’ negativ gegenüber der Produktion eingestellt. Ich strich jegliche unbeabsichtigt stereotype Darstellung und veränderte Dialoge, die zu sehr nach Onkel Tom klangen. Ich wollte allerdings auch keine Geschichtsklitterung betreiben. Dass es in den USA während der Zeit, in der das Musical spielt, Folter, Zwangsarbeit und Inhaftierungen von
Afroamerikanern gab, ist eine unumstößliche Tatsache.“
Die mutige und sensible Bearbeitung des Klassikers durch Harold Prince erwies sich als sensationeller Erfolg. Am Broadway erlebte das Revival fast 1000 Aufführungen, mehr als die Uraufführung, und erhielt fast alle Theaterpreise. Vor einem Tabu jedoch schreckte auch Harold Prince zurück. Anders als in Edna Ferbers wegweisendem Roman präsentiert die Musicalfassung ein überraschendes und ziemlich
unglaubwürdiges Happy End für das seit 27 Jahren getrennte Liebespaar. Außerdem erlebt Käpt’n Andy diesen frohen Moment im Musical noch mit, während er im Roman schon seit Langem tot ist und die Leitung der Truppe von seiner Frau Parthy übernommen wurde. Das im Uraufführungsjahr spielende Finale wurde vielfach kritisiert, vor allem wegen der psychologisch zweifelhaften Wiedervereinigung des Liebespaars.
Matthias Davids lässt das Stück in Linz bittersüß enden – wie genau, wird noch nicht verraten.
Nach dem Roman von Edna Ferber
Deutschsprachige Erstaufführung der Harold-Prince-Version von 1993/1994
Deutsche Dialogfassung: Roman Hinze
Gesangstexte in englischer Sprache, mit Über- und Bildschirmtiteln (dt./engl.)
MUSIKALISCHE LEITUNG Kai Tietje / Daniel Spaw
INSZENIERUNG Matthias Davids
CHOREOGRAFIE Simon Eichenberger
BÜHNENBILD / VIDEODESIGN Mathias Fischer-Dieskau
KOSTÜME Judith Peter
LICHTDESIGN Michael Grundner
DRAMATURGIE Arne Beeker
KÄPT’N ANDY HAWKS Reinwald Kranner* / Alen Hodzovic**
PARTHY HAWKS, seine Frau Kristin Hölck
MAGNOLIA HAWKS, seine Tochter Lisa Antoni* / Barbara Obermeier**
GAYLORD RAVENAL, ein Glücksspieler Christian Alexander Müller
QUEENIE, Köchin Adi Wolf
JOE, ihr Mann Zelotes Edmund Toliver
JULIE LA VERNE, Schauspielerin Daniela Dett
STEVE BAKER, ihr Mann und Bühnenpartner Peter-Andreas Landerl
ELLIE MAY CHIPLEY, Komödiantin Ariana Schirasi-Fard
FRANK SCHULTZ, ihr Mann Rob Pelzer
PETE / JIB, ein Hinterwäldler / JAKE Oliver Liebl* / Konstantin Zander**
SHERIFF VALLON / JIM GREENE Erich Josef Langwiesner
WINDY Franz Binder / Jonathan Whiteley
JEB, ein Hinterwäldler Jochen Bohnen
MRS. O’BRIEN / DAME AM UFER Cheryl Lichter
DREI HAFENARBEITER Richard McCowen, Craig Lemont Walters. Julius Williams
DREI GALS Anastasia Bain, Terja Diava, Conchita Zandbergen
LOTTIE Gabriele Salzbacher
DOTTIE Ulrike Weixelbaumer
KIM, Magnolias Tochter Mireia González Fernández / Anna Štĕrbová
JUNGE KIM, Magnolias Tochter Angelika Matscheko / Emelie Trahan
Chor, Ballett und Statisterie des Landestheaters Linz
Mitglieder des Kinderchors des Landestheaters Linz
Bruckner Orchester Linz