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WENN DIE MASKEN FALLEN -- Premiere "Drei Mal Leben" von Yasmina Reza im Schauspielhaus STUTTGART

am 8.3.2025

In Regie und Bühne von Andreas Kriegenburg (Kostüme: Andrea Schraad) ging diese Komödie von Yasmina Reza flott und temperamentvoll über die Bühne. Da wurden dann drei witzige Versionen desselben Abends gezeigt. Bürgerliche Arbeits- und Liebesbeziehungen erschienen in neuem Licht. Und die Statisterie verwandelte die Bühne im Nu zu erfrischender Chanson-Musik.

 

 

 

Copyright: Toni Suter

Therese Dörr als gewiefte Anwältin Sonja und Gabor Biedermann als Astrophysiker Henri versuchten immer wieder krampfthaft, ihr im Hintergrund plärrendes Kind Arnaud zu beruhigen: "Er verlangt einen Keks". Die pädagogische Auseinandersetzung geriet so rasch aus den Fugen. Man stellte fest, dass dieses Kind eine "richtige Nervensäge" war. Den krassen Gegensatz zu diesem recht verrückten Paar bildeten Marco Massafra als Hubert Finidori sowie die wunderbar wandlungsfähige Celina Rongen als Ines Finidori. "Quelle catastrophe" ließ dann nicht lange auf sich warten. Der leere Kühlschrank drückte doch aufs Gemüt. Hubert hatte immensen Appetit auf das Fingerfood.

Der Abend geriet plötzlich völlig außer Kontrolle, als Hubert die Bombe platzen ließ und Henri vor vollendete Tatsachen stellte. Henris Artikel wurde nämlich bereits von einem mexikanischen Forscher veröffentlicht. Fassungslos fragte Hubert: "Ist das intergalaktische Plasma vielphasig?" Karriereplanung und andere Katastrophen sorgten jetzt für eine überaus hitzige, typisch "französische" Atmosphäre. Stellenweise fühlte man sich auch immer wieder an Molieres klassische Komödien erinnert. "Was wäre das Universum ohne uns? Ein Ort des Trübsinns, der Düsternis, ohne ein Gramm Poesie?" fragte Ines hintersinnig.  Und Hubert entgegnete schlagfertig: "Unseren Freunden ist das wurscht." Doch Sonja gab ihm sofort Widerpart: "Ihren Freunden ist das nicht wurscht, Hubert, ihre Freunde - das Wort ist vielleicht übertrieben - ihre Freunde ermessen die Distanz. Sie verneigen sich..."

So ergab sich an diesem Abend immer wieder verblüffende Situationskomik. Manche Szenen wirkten auch übertrieben - wenn etwa die betrunkenen Protagonisten ständig in irgendwelche Gruben fielen oder ausrutschten. Doch das Problem der Selbstdemontage dieser Personen wurde ausgezeichnet herausgearbeitet. Sie verloren ihre Masken - und die wahren Gesichter kamen plötzlich grell und unbarmherzig zum Vorschein. Hier lachte Sonja sogar gegen ihren Willen. Da versuchte sich dann auch Hubert Finidori der Anwältin Sonja vergeblich anzunähern.  Für eine Liebesbeziehung reichte es nicht.

"Das Theater besteht eher aus Ungesagtem als aus Worten", sagte die 1959 in Paris geborene Yasmina Reza. Und gerade das Ungesagte und Geheimnisvolle bestand bei dieser Inszenierung zwischen den Protagonisten, die eigentlich nicht richtig schlau aus ihrem Gegenüber wurden. Da blieben viele Fragen offen - fast so wie beim "Literarischen Quartett". Nur ging es hier in erster Linie immer wieder um Astrophysik, um Sir Isaac Newton, das Universum, Simulationen und Turbulenzen. Die Sprache führte tatsächlich zu komischen Effekten und bemerkenswerten Ungereimtheiten. Und die schräge Bühne verriet viel von der Gemütslage der Hauptpersonen. Die Statisterie war mit Jochen Bender, Michael Brodbeck, Anette Kanzler, Daniela Krol-Zenkowitz, Christian Schmittner, Andreas Wenzel und Deborah Yates sehr gut besetzt. Im Hintergrund agierte Flinn Naunheim mit plärrender Kinderstimme. Fiktion und Realität fanden so immer wieder zusammen. Diese Charakterstudien zwischen Appetithäppchen, Eleganz und Wortwitz konnten sich rhetorisch so recht überzeugend entfalten. Zuletzt gab es viel Applaus und "Bravo"-Rufe.
 

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