Denn das erste Bild zeigt einen Klosterschlafsaal am Abend. Die Nonnen löschen das Licht. Zwischen Wachen und Schlafen treten dabei Ur-Erzählungen vom Frausein in den Mittelpunkt. Der Kaiser heiratet in diesem Werk die Tochter des Geisterkönigs, aber auf diesem Paar lastet ein Fluch. Er kann mit der Frau ohne Schatten keine Kinder bekommen. Wenn die Kaiserin aber nicht schwanger wird, muss der Kaiser versteinern. Doch die Amme weiß Rat: Sie hat die Idee, der Gattin des armen Färbers Barak Fruchtbarkeit und Schatten zu rauben. Die Kaiserin besitzt jedoch die Größe, ihr Lebensglück nicht auf dem Unglück anderer Menschen aufzubauen. Gerade deswegen wirft sie dann doch noch einen Schatten, der versteinerte Kaiser kehrt lebendig zurück und die Paare fallen sich in die Arme.
Im dritten Akt steigert sich nochmals die visuelle Eindringlichkeit dieser zuweilen mit Bildmaterial fast ausufernden Inszenierung. Ein Teil spielt dort in einem unterirdischen Gewölbe. Dann erscheint der Fluss des Lebens und man sieht geheimnisvolle Schiffe, die fast von unsichtbarer Hand gezogen werden. Fantastische und bizarre Passagen spielen auch beim Bühnenbild von Paul Zoller und beim Kostümbild von Katharina Schlipf eine große Rolle. Einmal erscheint in riesenhafter Gestalt sogar die Mutter Gottes, an deren Brüsten das Mädchen trinkt. Es sind keine minimalistischen Bilder, die Lydia Steier als Regisseurin hier entwirft, sondern immer riesenhafte Assoziationen.
Dabei haben nicht alle szenischen Bilder die gleiche Qualität. Die Videopassagen von Momme Hinrichs versetzen den Zuschauer zudem in eine vergangene Welt. Ein riesiger Sternenhimmel unterstreicht den Klangzauber. Außerdem spielen hier revuehafte Passagen eine Rolle, der Kaiser erscheint stellenweise als verrückter Conferencier, der zuletzt tatsächlich zu Stein wird, als Statue auseinanderbricht, um dann doch wieder lebendig zu werden. Auf der anderen Seite wirken die Entertainment-Effekte manchmal zu stark aufgesetzt. Die große Aufgangstreppe symbolisiert dabei durchaus die majestätischen Effekte, die jedoch den Selbstzweifeln der Protagonisten breiten Raum lassen.
Hinzu kommen alptraumhafte Sequenzen mit in Glaskästen gefangenen Kindern, die insbesondere das junge Mädchen quälen. So gibt es für die Liebespaare letztendlich eine große seelische Befreiung, für das Mädchen aber nicht. Es wirft immer heftiger mit Erde um sich, als ob ein Grab ausgehoben werden soll. Das große Verdienst von Lydia Steier ist es jedoch, Symbolik und Motive dieses vielschichtigen Werkes plastisch zu verdeutlichen. Die wandlungsfähige Geister- und erdgebundene Menschenwelt kann so plausibel werden. Und natürlich schwingt immer wieder die überschwängliche "Rosenkavalier"-Musik mit. Das liegt aber auch an dem ausgezeichneten Dirigat von Kirill Petrenko, der die thematischen Verbindungslinien mit den Berliner Philharmonikern offenlegt. Auch die Trennung der Orchesterklänge kommt hier facettenreich zum Vorschein: Zum einen kammermusikalisch wie bei "Ariadne auf Naxos", zum anderen massiv mit Holzbläsern und Schlagzeug besetzt. Kirill Petrenko akzentuiert die wuchtigen Schläge mit nie nachlassender Intensität. Glasharmonika und chinesische Gongs ergänzen diese gewaltigen Klangflächen, die manchmal filmartig wirken.
Die Motive für den Falken, die Schwertszene im zweiten Akt und die Ankunft des Kahns im Reich der Herrscher stechen hervor. Und auch die großen Charaktergestalten des Färbers, der Färberin und der Amme erreichen große Bühnenpräsenz. Michaela Schuster lotet die vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten als Amme voll aus, Wolfgang Koch als Barak und Miina-Liisa Värelä gewinnen ihren Partien ein bewegendes Profil ab. Und Clay Hilley als Kaiser und Elza van den Heever als Kaiserin zeigen viele dynamische Feinheiten und Nuancen. In weiteren Rollen überzeugen Peter Hoare als der Bucklige, Nathan Berg als Einarmiger, Johannes Weisser als Einäugiger (Brüder des Färbers), Bogdan Baciu als Geisterbote, Agnieszka Adamczak als Dienerin und Hüter der Schwelle des Tempels/Stimme des Falken sowie Dorottya Lang und Serafina Starke als Dienerinnen (um aus dem großen Ensemble nur einige zu nennen).
Hinzu kommt der hervorragende Chor des Nationalen Musikforums Wroclaw und der Cantus Juvenum Karlsruhe sowie Susanne Kahl (Falke), Emmanuelle Rizzo (Gazelle) und Philip Eichhorn (Jüngling). Herausragend ist zudem Vivien Hartert als junges Mädchen. Richard Strauss selbst meinte über die Partitur der "Frau ohne Schatten", dass sie aufgrund der Kriegsereignisse etwas nervös und aufwühlend geraten sei. Kirill Petrenko verleugnet die schroffen Blöcke des Werkes nicht, aber es gelingt ihm auch, harmonisch Gegensätzliches zu vereinen.
Ovationen, "Bravo"-Rufe, großer Jubel.