Eine trügerische Ruhe liegt über der Stadt. Die schmale, tiefe Bühne mit ihren hohen schwarzen Wänden, die sich nach hinten verjüngen, wirkt eng und unbeweglich wie eine Felsschlucht. Raumgreifende, farbenfrohe Hollywoodschaukeln können nicht über diese beklemmende Atmosphäre hinweg täuschen, die die Geschichte bestimmt.
Heavenly (Maike Jüttendonk), Tochter aus so genanntem gutem Hause, steht zwischen zwei Männern, ihrem Freund Dick (Maximilian Scheidt) auf der einen Seite, der lieber jeden einfachen Job annimmt, als im Büro das Leben einer gut situierten Leiche zu führen, und Arthur (Florian Steffens), dem wohlhabenden und wohlerzogenen Sohn des Plantagenbesitzers, den ihre Mutter Esmeralda (Carola von Seckendorff überzeugend als beinah psychotisch verdrehtes Täter-Opfer ihres eigenen Lebens) als Schwiegersohn bevorzugt. Die widerstreitenden Geister der Zwänge und eigenen Sehnsüchte Heavenlys erscheinen im Bild skurril maskierter Figuren kreischend, quietschend und wispernd hinter einem Ventilator. Heavenly, ständig zwischen gehorsamem Ertragen und kraftvoller Aggression oszillierend, ist diese Stimmen so gewöhnt, dass sie sie souverän ignoriert. Da müssen schon größere Stürme losbrechen, um Bewegung in ihre Lage zu bringen. Dankbar nimmt sie sie an. Welcher Teil in ihr wird siegen, wem wird sie ihr Eheversprechen geben? Freiheitsliebe steht gegen Sicherheit, der eigene Geist gegen Anpassung, Unabhängigkeit gegen Zwang. Ein übersichtlicher, moderner Konflikt also.
Diese Klarheit des Settings verdankt das Stück der gesunden Reduktion von Nebenrollen, die Regisseur Frank Behnke erarbeitet und in langwierigen, aber erfolgreichen Diskussionen mit Williams’ Erben und den Herausgebern erstritten hat, erstmalig für dieses Stück in der Übersetzung von von Renate und Wolfgang Wiens.
Als Tennessee Williams „Frühlingsstürme“ schrieb, war er 26 und Student an der Universität in St. Louis, Missouri, in der festen Umklammerung des mittleren Westens der USA. Der Mississippi River, im Stück nur „der Fluss“ genannt, fließt durch die Stadt und mehr als tausend Kilometer nach Süden, um in den Golf von Mexico zu münden und sich von dort „mit allen Ozeanen zu vermengen, die ganze Welt zu umfließen“, wie Dick schwärmt. Er ist das Alter Ego des Flusses, Inbild des freien Naturmenschen. Er reißt sich als Einziger von den gesellschaftlichen Konventionen los, die sich wie Würgeschlangen langsam, aber todsicher und erdrückend um die jungen Menschen winden. Arthur (Florian Steffens belebt brillant die Lücken zwischen Szenen und füllt ihre Längen mit Charme) begehrt zwar Heavenly, sein Dominanzanspruch blitzt aber aus der braven Fassade auf, wenn er sie eigentlich „einmal nur besitzen“ will, oder sich im ersten Suff seines Lebens der grauen Maus Hertha Neilson bemächtigt und zum ersten Mal wirklich etwas fühlt. Lilly Gropper verleiht Hertha den gruseligen Zwiespalt von innerer Stärke und äußerer Verunsicherung.
Die Figuren machen das Stück interessant: Wie Monde kreisen sie umeinander, zeigen in ständiger Drehung ihre hellen und dunklen Seiten. Durch ihre Anziehung und Abstoßung halten sie sich gegenseitig stabil auf ihren Bahnen. Unausweichlich wie in einer antiken Tragödie scheinen die Ereignisse ihrem ewigen Lauf zu folgen. Hier sind bereits die Konstellationen zu erkennen, die Williams in seinen späteren, großen Stücken „Endstation Sehnsucht“ (1947) und „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ (1959) in aller Schärfe zeichnet. Jedoch kommt deren durchgehend pessimistische und morbide Atmosphäre in dieser Inszenierung der „Frühlingsstürme“ nicht zum Vorschein. Die Beklemmungen werden auf unterhaltsame Art immer wieder unterbrochen mit grotesk-heiteren Einschüben, effektvollem Spiel wie einem Kampf in gespielter Slow-Motion und Bildern, die an die bunte, steife Frische der Werbewelt denken lassen.
Die „Frühlingsstürme“ gehören für das Theater Münster zur selbstverschriebenen Erneuerungskur. Der Regisseur und Schauspieldirektor Frank Behnke legte schon vor dem noch jungen Wechsel nach Münster in seinen zehn Spielzeiten am Staatstheater Nürnberg den Fokus vor allem auf Uraufführungen, um das Repertoire auf den deutschsprachigen Bühnen zu vervielfältigen und zu verjüngen. Dass dies selbst mit einem Theaterstück aus dem Jahr 1937 gelingen kann, haben er und die Schauspieler des Theaters Münster eindrücklich bewiesen.
Inszenierung: Frank Behnke
Dramaturgie: Friederike Engel
Bühne und Kostüm: David Hohmann
Premiere 22.2.2013
Weitere Termine und Infos unter www.theater-muenster.com