All dies weiß die kürzlich entlassene Krankenschwester Alice Moody, als Annabel in ihrem verfallenen Elternhaus eintrifft. Sie zeigt dann der Erbin einen handschriftlichen Brief, in dem ihr Vater schildet, dass er wegen Miriams Pflegemethoden um sein Leben fürchtet. Später kommt heraus, dass dieser Brief gefälscht ist. Und von jetzt an steigert sich auch die dramaturgische Spannung des Stücks ganz erheblich: "Ich erzähle dir eine gruselige Gespenstergeschichte..."
Für 100.000 Pfund wäre Alice bereit, die Angelenheit auf sich beruhen zu lassen. Sonst würde sie zur Polizei gehen. Annabel nimmt aber auch immer wieder seltsame und gespenstische Geräusche in dem eigenartigen Haus wahr, die vom verwitterten Tennisplatz auf dem Anwesen kommen. Diese unheimlichen Vorgänge häufen sich und versetzen Annabel und Miriam in Angst und Schrecken. Zwischendurch erscheint auch immer wieder eine schwarz gekleidete und vermummte Person, die Geige spielt. Es handelt sich offensichtlich um die Krankenschwester Alice Moody.
Dieser an Alfred Hitchcock erinnernde Psycho-Thriller von Alan Ayckbourn hat es in sich. Der britische Autor wurde im Jahre 1997 von der Queen zum Ritter geschlagen. Die drei exzellenten Darstellerinnen Gerit Kling als Annabel Chester, Mackie Heilmann als deren jüngere Schwester Miriam Chester sowie Astrid Rashed als Krankenschwester Alice Moody schaffen in kürzester Zeit atemlose Spannung in diesem Gruselkabinett. Die marode Elektrik spielt den Schwestern hier immer wieder üble Streiche, die voller schwarzem Humor und Sarkasmus inszeniert werden. Annabel kann nicht verhindern, dass die Situation völlig entgleist. Denn die Krankenschwester Alice Moody wird von Miriam kurzerhand in einen Brunnen geworfen. Die verängstigten Schwestern bilden sich aber zunehmend ein, dass die vermeintlich tote Krankenschwester immer noch lebt. Die titelgebende "Falsche Schlange" soll hier entlarvt werden, was gründlich misslingt. Denn Annabel stirbt aufgrund der grausigen Erscheinung der aus dem Brunnen aufsteigenden Krankenschwester Alice Moody an einem Herzinfarkt, während sich herausstellt, dass sich Miriam Chester mit der Krankenschwester verbündet hat. Der Sturz in den Brunnen war also eine Scheininszenierung, um Annabel zu täuschen.
Doch auch diese Beziehung ist trügerisch, denn Alice Moody stirbt infolge eines Attentats vor dem Haus. Zuletzt befindet sich die triumphierend tanzende Miriam allein im Haus, bis sie von der Stimme des toten Vaters verfolgt wird. So endet auch sie in Wahnsinn und Tod, was dieser Gruselschocker im einfallsreich-rustikalen Bühnenbild von Michael Zwatrzko und den Kostümen von Marc Munsky plastisch verdeutlicht. Obwohl die Handlung gelegentlich fast in Klamauk abdriftet, werden die einzelnen Szenen recht glaubwürdig geschildert.
Das Stück wirft ebenfalls die Frage nach der Schuld der Opfer auf. Annabel hat die Ansicht, dass wir nur diejenigen, die wir lieben, wirklich verletzen. So ist es möglicherweise unsere Schuld, wenn uns jemand verletzt. Der Mangel an zwischenmenschlicher Kommunikation ist ebenfalls Kritikpunkt und Thema zugleich, wobei dies bei einigen Passagen auch noch klarer zum Ausdruck kommen könnte. "Falsche Schlange" ist von Alan Aychbourns Liebe zum Film inspiriert - insbesondere von dem französischen Film "Les Diabolique" ("Die Teuflischen", Regie: Henri-Georges Clouzot) aus dem Jahre 1955. So gibt es in der Inszenierung von Gerit Kling durchaus filmartige Sequenzen. Ayckbourn selbst hat die Lichteffekte so konzipiert, dass die Handlung von einer hellen Atmosphäre in die Dunkelheit gleitet. Darauf geht auch Gerit Kling ein. "Falsche Schlange" feierte am 5. Juni 2002 Uraufführung in Ayckbourns Stammhaus, dem Stephen Joseph Theatre in Scarborough und erhielt in Großbritannien positive Kritiken. Auch in Bietigheim kam das Stück beim Publikum gut an.