Henrik Ibsen, am 20.3.1828 in Skien geboren, am 23. Mai 1906 in Kristiania, dem heutigen Oslo gestorben, gilt neben Emile Zola als entscheidender Wegbereiter des deutschen Naturalismus. Wie Zola in der Epik brach Ibsen im Bereich des Dramas mit eingefahrenen Konventionen. Dass er damit bei seinen Zeitgenossen zunächst nicht viel Zustimmung fand, nahm er gelassen. So schrieb er über die Aufnahme der "Gespenster": „Auf den Sturm, der sich gegen Gespenster erhoben hat, war ich vorbereitet. Aber darauf konnte ich keine Rücksicht nehmen, das wäre feig gewesen.“ Ibsen wusste um die zukunftsweisende Kraft seiner Stücke und erkannte, dass für diese Form des Dramas Publikum, Schauspieler und Kritiker erst erzogen werden mussten.
Heute ist Ibsen nach Shakespeare der weltweit meistgespielte Dramatiker, jeden zweiten Tag findet irgendwo auf dem Globus eine Ibsen-Premiere statt.
Dabei schrieb der Norweger gesellschaftskritische und damit naturgemäß zeitgebundene Stücke aus dem damaligen Gegenwartleben. Jedoch weisen seine Dramen durch ihren psychologischen Gehalt und ihr ethisches Anliegen weit über die Entstehungsjahre hinaus und haben bis heute ihre (weltweite) Gültigkeit ebenso behalten wie ihre Themen. So heißt in China Feminismus vielerorts „Noraismus“, abgeleitet von dem Emanzipationsdrama "Nora oder Ein Puppenheim", in dem der Autor die mit dem weiblichen Rollenbild verbundenen Zwänge in der Gesellschaft, die Entmündigung der Frauen schildert.
Ibsen zog als Einzelkämpfer gegen bürgerliche Scheinmoral und die große „Lebenslüge“ ins Feld - Umstände, die er selbst früh zu spüren bekam.
Sein Vater war Spross einer wohlhabenden und angesehenen Norweger Familie und galt als erfolgreicher Kaufmann bis er nach dem Verlust seines Vermögens aus der Gesellschaft ausgestoßen wurden. Henrik Ibsen war zu dem Zeitpunkt gerade einmal acht Jahre alt. Die schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse erzwangen, dass er relativ früh zum Broterwerb eine Apothekerlehre absolvieren musste. Später studierte Ibsen in Oslo Medizin. In dieser Zeit wurde er auch politisch aktiv und betätigte sich zunehmend literarisch. 1851 wurde er künstlerischer Leiter des neuen Theaters in Bergen und sammelte praktische Erfahrungen in der Dramaturgie. Viele seiner Stücke wurden hier aufgeführt. Ab 1857 war er Direktor des „Norske Teatret“ in Oslo. Als das Theater 1862 zusammenbrach, war Ibsen nicht nur wirtschaftlich stark geschädigt. Er verbrachte danach fast 30 Jahre im Ausland, in Rom, Dresden und München, bevor er 1891 nach Norwegen zurückkehrte.
Ibsens Anliegen war es die Normalität, die Realität in Ehe, Familie und Gesellschaft so genau wie möglich nachzubilden um so durch genaues Hinsehen den Blick auf den Nihilismus unter der Oberfläche freizugeben. Tendenzen in der Darstellung oder das Hervortreten des Autors im Stück vermied er. Ibsens Forderung nach vollkommener Naturwahrheit in inhaltlicher Ausführung und Sprachgebung – so werden Figuren durch ihre spezifische Sprache, den „Soziolekt“ charakterisiert - erfasste auch die Art der schauspielerischen Darstellung.
Er verlangte die Enttheatralisierung des Theaters zu Gunsten einer vollkommenen Illusion. Der Zuschauer sollte das Geschehen auf der Bühne als reales Geschehen erleben. Statt wie bisher Texte in Form der Paraderolle zu deklamieren, forderte er von den Darstellern größtmögliche Natürlichkeit. Seine Spielerführung kannte keine zentralen Lichtgestalten im Vordergrund der Bühne und eine Komparserie im Dunklen. Die Schauspieler sollten sich vollkommen und über die gesamte Spielzeit in ihre Rolle hineinfühlen, gleichberechtigt und natürlich auf der Bühne agieren. Jede einzelne Szene musste zum Spiegel der Wirklichkeit werden. Denn das Geschehen auf der Bühne sollte das Publikum nicht amüsieren, sondern vielmehr als erlebte Wahrheit bedrängen und zu kritischer Aktivität aufrufen.
Am Ende der Stücke Ibsens sind die Probleme nicht gelöst und schon gar nicht harmonisiert. Henrik Ibsen wurde mit seinen Themen, der sprachlichen Wirklichkeitstreue und der Technik des offenen Schluss zum Vorbild des deutschen naturalistischen Dramas und nahm in gewisser Weise sogar Brechts episches Theater vorweg, indem er wie dieser vom Zuschauer die Leistung des Entscheidens verlangte.
Die berühmtesten Dramen sind:
Peer Gynt (1867)
Die Stützen der Gesellschaft (1877)
Nora oder Ein Puppenheim (1879)
Gespenster (1881)
Ein Volksfeind (1882)
Die Wildente (1884)
Rosmersholm (1886)
Die Frau vom Meer (1888)
Hedda Gabler (1890)
Literaturhinweis:
Gerd E. Rieger: Henrik Ibsen. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Rowohlt Tb.