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Hier kommt der grosse Zampano

Uraufführung im Theater TIEFROT in Köln: "La Strada - das Lied der Straße"

Es gibt immer wieder Kunstwerke, die im Bewusstsein der Menschen gleichsam über sich selbst hinauswachsen. Sie werden zu besonders geliebten, besonders gültigen Metaphern für unsere Gefühle, Gedanken, Instinkte, für unsere Phantasien, Freuden und Katastrophen.

Im Filmbereich gehört auf jeden Fall Federico Fellinis "La Strada" dazu.

Der Name der männlichen Hauptfigur, Zampano, ist sogar bis heute symbolisch für einen Großkotz, einen Möchtegerntyrannen, einen armseligen aber doch irgendwie liebenswerten Macho.

Die ganze Filmhandlung weckt beim Zuschauer halbverborgene Sehnsüchte. Nach Strassenromantik, Freiheit, Artistenleben, Wildheit, Triebhaftigkeit, Kampf und Tod.

Es geht um den reisenden Artisten Zampano, diesen ältlichen Versager, der mit seinen lausigen Nummern durch die Lande zieht und sein Elend unaufhörlich mit Alkohol herunterspült. Einer verstörten Mutter entreisst er für ein Spottgeld die unbedarfte Tochter Gelsomina. Er richtet sie mit tausend Schlägen zur Ausruferin und Handlangerin seiner idiotischen Kunststücke ab, er schindet, beschläft und betrügt sie in brutalem Wechsel. Einerseits versucht sie zu protestieren, wegzugehen, andererseits kann sie sich nie mehr von der kreatürlichen Anziehungskraft dieses Gewaltmenschen befreien. Ein junger Seiltänzer, dem sie sich anvertraut, bringt Zampanos Wut auf die ganze Welt zum Überkochen. Mord und Totschlag und eine viel zu späte Regung von Einsicht sind die Folge - wie bei vielen Geschichten, die wir so lieben, weil sie ein Brennspiegel unserer eigenen inneren Tragödien sind.

Fellinis "La Strada" entstand 1954, in der traumatisierten italienischen Nachkriegszeit. Ein wunderbarer Film, er wurde weltberühmt, oscargekrönt, Antony Quinn und Giulietta Masina als Hauptfiguren bleiben unvergesslich.

 

Fünfzig Jahre danach hat diese Geschichte nichts von ihrer archaischen Kraft verloren. Und die Lust unserer Theater, schöne Filmstoffe auf ihre Bretter zu bringen oder zu zwingen, konnte natürlich auch vor "La Strada" nicht haltmachen.

Gerold Theobalt adaptierte das Drehbuch für die Bühne. Er ist nicht nur ein versierter Autor, er ist auch geprägt von seiner langjährigen Tätigkeit als Dramaturg an namhaften Häusern. Vor Monaten berichteten wir von Theobalts ebenfalls im Theater TIEFROT uraufgeführten Stück "Bruder Molière", das seinen sicheren Bühneninstinkt beweist und seine Fähigkeit, differenzierte Sachverhalte in eine gutgebaute, spannende Form zu bringen. Das ist nicht wenig und kommt auch seiner "La Strada"-Version zugute. Er verwandelte das Drehbuch in ein tragfähiges, klug konzipiertes Stück, das nicht versucht, die spezifischen Reize des Mediums Film nachzuvollziehen, sondern ganz auf die Intensität der dramatischen Vorgänge zwischen den Individuen setzt, was von jeher die Stärke der Schaubühne ist.

 

Im Theater TIEFROT inszenierte Ali Jalali zusammen mit dem Ensemble ein emotionsgeladenes Spiel. Die räumlichen Möglichkeiten dieses Kellertheaters wurden bis zum letzten Millimeter genützt. Die Handlung entfaltet sich vorwiegend auf zwei durch eine schräge Rampe verbundenen Ebenen mitten im Zuschauerraum. Wir Zuschauer sitzen seitlich und sind nicht nur Zeugen des Dramas sondern auch Dorfpublikum für die Artistennummern, was uns doppelt ins Geschehen zieht. Die kleine Bühne ist mit einem sperrigen Vorhang verschlossen, der aus einer gebrauchten LKW-Plane gefertigt wurde und eindrücklich das armselige Reiseleben der Protagonisten verbildlicht. Selten klappt er für kurze Szenen auf, um die zerschlissene Wohnwagen-Intimität preiszugeben.

Damit sind wir bei der Ausstattung von Thomas Klausmann, die mich mit ihrer rigiden Sparsamkeit beeindruckte. Nur das Nötigste an Raumgestaltung und Requisiten unterstützt die Darsteller, aber treffsicher wie die pittoreske Schäbigkeit der Kostüme. Ein "armes Theater" in ästhetisch durchstilisierter Form.

 

Wie schon in "Bruder Molière" ist Volker Lippmanns Schauspielkunst auch in "La Strada" die leuchtende Sonne des Abends. Sein charismatisches Spiel durchdringt alle Fasern und Regungen der brüchigbrutalen Zampanofigur. Der Hitzegrad seiner Ausstrahlung bingt auch die anderen Darsteller zum Brennen und bestimmt damit die Temparatur der wildbewegten Handlung. So angesteckt bewähren sich Juliane Ledwoch als anrührende Gelsomina, Hans Kieseier als junger Seiltänzer, Renate Dissel als herrliche italienische Mutterfigur und Dada Stievermann als Hure, Nonne und junge Frau.

Eine neue Sehenswürdigkeit auf dem Spielplan des mutigen Theaters TIEFROT.

 

Uraufführung am 31 August 2005 im Theater TIEFROT, Dagobertstraße 32 in Köln

Nächste Termine: 4., 7. - 11. und 14.-16. September

Weitere Vorstellungen siehe www.theater-tiefrot.de

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