Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
GEFANGEN IN SICH SELBST -- "Der Bau" von und mit Max Simonischek im Kammertheater StuttgartGEFANGEN IN SICH SELBST -- "Der Bau" von und mit Max Simonischek im...GEFANGEN IN SICH SELBST...

GEFANGEN IN SICH SELBST -- "Der Bau" von und mit Max Simonischek im Kammertheater Stuttgart

am 14.3.2024

In dieser unterirdischen Welt von Kafkas Erzählung "Der Bau" beklagt der von Max Simonischek sehr plastisch verkörperte Protagonist eine absurde Situation, die er nicht beherrschen kann. Außerdem kritisiert er ein allzu langes Leben in der sinnlosen Freiheit. Glück und Paranoia liegen hier eng zusammen, bestimmen die Ereignisse. Eine Art Menschentier beherrscht hier die Szenerie. Diesem denkenden Tier ist der Ich-Erzähler immer wieder hilflos ausgeliefert.

 

Copyright: privat

Auf der anderen Seite hängt er an seinem Heim: "Ich und der Bau gehören zusammen. Nichts kann uns auf die Dauer trennen." Das seltsame Wesen lebt in einem gedanklichen Labyrinth. Durch diesen Kreuzzug entsteht ein  Ausnahmzustand. Max Simonischek lässt packend deutlich werden, wie stark er sich vor möglichen Eindringlingen und Fremden fürchtet. Er ist gefangen in sich selbst. Da tun sich plötzlich bürokratische Hierarchien auf, die er nicht mehr beherrschen kann. Bei Kafka gibt es einen philosophierenden Hund oder den paranoiden Dachs, der sein Unwesen treibt. So entsteht hier im kargen Bühnenbild von Besim Morina (Kostüm: Menachem Basman) und mit spärlicher Beleuchtung eine beklemmende Parabel über eine Gesellschaft, die nicht beherrschbar ist. Verzweifelt wühlt der Protagonist im Sand, glaubt ständig, das unheimliche Tier zu hören, das sich aus der Erde herausgräbt. Der Realitätssinn geht dabei immer mehr verloren.

Gleichzeitig stellt er aber auch fest, dass das vermeintliche Lybyrinth überwunden sei: "Die Welt ist mannigfaltig und an schlimmen Überraschungen fehlt es niemals".  Einsamkeit, berufliche Fehlschläge und Enttäuschungen prägten Kafkas Leben und haben auch in dieser Erzählung Einzug  gefunden. Man kommt sich stellenweise wie in einem Traum vor, manches erinnert sogar an Dostojewski ("Aufzeichnungen aus dem Kellerloch"), vieles entzieht sich der rationalen Deutung. Kafkas zentraler Konflikt lag zwischen religiöser Veranlagung und skeptischem Intellekt, die Spannung zwischen ihm und seinem despotischen Vater, was auch in der Erzählung "Der Bau" ganz versteckt hervorblitzt. Durch sein  intensives Spiel heizt Max Simonischek noch die Spannung an, macht das Geschehen dadurch umso glaubwürdiger und elektrisierender. Die sachliche und kristallklare Sprache Kafkas wirkt hier suggestiv: "Das schönste an meinem Bau ist aber seine Stille. Freilich, sie ist trügerisch".

Der Bau nimmt im Laufe der Handlung monströse Ausmaße an, denn der Protagonist wirft mit dem Sand um sich. Psychologisch gesehen handelt es sich dabei um einen seelischen Aufstand. "Aber vielleicht gräbt das Tier in seinem eigenen Bau, dann kann ich von einer Verständigung nicht einmal träumen", bekennt der Ich-Erzähler weiter. Dieser innere Monolog behält bei der konzentrierten Aufführung seine Spannung, weil Simonischek unterschiedlichste Stimmungen und Sichtweisen kaleidoskopartig einfängt. Die unvollendet gebliebene Erzählung endet mit dem Satz: "Aber alles blieb unverändert." Der Regisseur Max Simonischek lässt zuletzt wieder das Licht ausgehen, ein gespenstischer Brummton sorgt für Gänsehaut.

Es öffnet sich die absurde Welt von Kafkas "Schloss" oder "Prozess" - als Visionär der modernen Lebensangst tritt der Autor hier grell hervor. Die ausweglose Situation des Menschen unter der Angst greift immer mehr um sich, die Perfektion des Unmenschlichen zeigt sich auch in der ständigen Furcht vor dem unheimlichen Tier, das nicht greifbar ist. So fühlt sich der Ich-Erzähler pausenlos beobachtet: "Wie standen die Dinge zuletzt? Das Zischen war schwächer geworden? Nein, es war stärker geworden". Alles scheint sich in einem unwirklichen, düsteren Traumreich abzuspielen. Aber es ist auch ein traumhafter Höllenweg. Viel Applaus und "Bravo"-Rufe.
 
 

 

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 18 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

EIN TRAGISCHES REISEERLEBNIS -- "Mario und der Zauberer" von Thomas Mann im Studiotheater STUTTGART

Zum 150. Geburtstag von Thomas Mann hatte in Stuttgart "Mario und der Zauberer" nach der gleichnamigen Novelle von Thomas Mann Premiere. Auf konzentriertem Raum lässt die Regisseurin Daniela Urban…

Von: ALEXANDER WALTHER

DER MUSIKKRITIKER LÄSST GRÜSSEN -- "Der Tod, das muss ein Wiener sein" im Renitenztheater Stuttgart

Das Wiener Kaffeehaus als Institution wurde hier gebührend gefeiert. Nikolaus Büchel bereitete das Ganze als Regisseur und gebürtiger Wiener auch kabarettistisch auf: "Wie kommt der Wolf ins…

Von: ALEXANDER WALTHER

SPIEL ZWISCHEN LICHT UNDS SCHATTEN -- "Otello" von Giuseppe Verdi in der Staatsoper STUTTGART

Die Inszenierung von Silvia Costa integriert Videoeinlagen von John Akomfrah, wo die Otello-Tragödie in eindringlichen Bildern nachgezeichnet wird. Der erste Akt ist geprägt von einer Statue und einem…

Von: ALEXANDER WALTHER

ZWISCHEN KLASSIK UND UNTERHALTUNG -- "Heavy Metal aus Schwaben" im Schloss Bietigheim-Bissingen

Das Tuba-Euphonium Quartett des Landesblasorchesters Baden-Württemberg mit Steffen Burkhardt, Peter Teufel, Erich Hermann und Markus Scholl präsentierte einen interessanten Streifzug durch die…

Von: ALEXANDER WALTHER

ZAUBEREI UND KABARETT VERBUNDEN -- Kabarett mit Thomas Fröschle im Glasperlenspiel ASPERG

"Investigative Comedy vom Feinsten" präsentierte Thomas Fröschle im Glasperlenspiel, wobei er auf die Verwechslung mit "Äffle und Pferdle" gleich zu Beginn hinwies. Zauberkunst und Kabarett wurden…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑