Das spielerische Geschehen gipfelt in einer wunderbar spielerischen Aktion mit Shakespeares Narren, die die Bühne mit glutvollem Leben erfüllen. Die Degenkämpfe beginnen zunächst neckisch und ironisch und werden erst dann zu tödlichem Ernst. Auch Romeo und Julia sind zunächst ganz Tänzer und werden dann zu ergreifenden Schauspielern. Dies war die klare Intention John Crankos, der hier ganz in die Welt des Mittelalters eintaucht. Mercutio stirbt lachend - und auch der große Liebes-Pas de deux endet mit einem Lächeln, weil sich Romeo für einen letzten Kuss für Julia noch einmal am Balkon hochbewegt. Das sonnig-lichte Verona entfaltet dabei seinen unbeschreiblichen Zauber, wenn sich das Liebespaar zum ersten Mal begegnet.
Agnes Su als Julia und Adhonay Soares da Silva als Romeo gewinnen eine ungeahnte tänzerische Intensität, die die Klangflächen von Sergej Prokofjews suggestiver Musik geradezu aufsaugt. Russische Melismatik, farbige Harmonik und rauschhafter rhythmischer Taumel wechseln sich auch hier in atemloser Weise ab. Elektrisierende ostinate Rhythmen ergänzen das tänzerische Geschehen. Und man begreift, wie klar die Partitur den Ablauf der Handlung festgelegt hat, man hört genau, was an einer bestimmten Stelle passiert. Das Stuttgarter Ballett folgt den Intentionen der Choreographie präzis. Und John Cranko hört sehr deutlich auf Prokofjews Leitmotive, die sich ständig verdichten. So choreographiert er die Liebe auf den ersten Blick überaus ergreifend. Manchmal getraut Romeo sich auch kaum, Julias Hand zu ergreifen. So gehen die einzelnen Teile und Szenen nahtlos ineinander über - von den Montagues und Capulets zum Mädchen Julia, Bruder Lorenzo, dem Tanz (vivo), dem Abschied Romeos von Julia, dem Tanz der Sklavinnen und der bewegenden Szene an Julias Grab. Die Not Julias, die zu Pater Lorenzo (Marc Ribaud) eilt, der ihr einen Schlaftrunk gibt, wird von Agnes Su ausgezeichnet verkörpert. Romeo und Julia werden zuvor von Pater Lorenzo auch heimlich getraut.
Das Staatsorchester Stuttgart unter der einfühlsamen Leitung von Mikhail Agrest musiziert das Vorspiel zum dritten Akt mit seinen atonalen Dissonanzen und Cluster-Effekten höchst expressiv und mitreissend - und auch die punktierten Rhythmen kommen nicht zu kurz. In weiteren Rollen überzeugen Matteo Crockard-Villa als Graf Capulet, Sonia Santiago als ausdrucksstarke Gräfin Capulet, Martino Semenzato als Tybalt, Fabio Adorisio als Graf Paris sowie Joana Romaneiro Kirn als Julias Amme - dies sind die Protagonisten für das Haus Capulet. Das Haus Montague wird von Vincent Travnicek als Graf Montague, Anouk van der Weijde als Gräfin Montague, Ciro Ernesto Mansilia als Mercutio und Edoardo Sartori als Benvolio würdig vertreten.
Ein dramatischer Höhepunkt der Handlung ergibt sich vor allem bei der dritten Szene des zweiten Aktes, als Mercutio ein Duell mit Tybalt beginnt und von diesem getötet wird. Als Romeo daraufhin Tybalt aus Verzweiflung tötet, ist auch sein Schicksal besiegelt. Denn jetzt treten die verhängnisvollen Verstrickungen in dieser Choreographie auch optisch immer deutlicher hervor. Als Julia zuletzt den Schlaftrunk zu sich nimmt, wird die Szene in ein geheimnisvolles Dunkel gehüllt. Die fassungslose Gräfin Capulet findet Julia und es kommt zu einer berührenden Szene. Aus Trauer über den angeblichen Tod Julias stößt sich Romeo schließlich selbst den Dolch ins Herz und stirbt neben der aufgebahrten Geliebten. Sie erwacht und findet Romeo tot neben sich. John Cranko findet für das letzte Zusammentreffen der Liebenden ergreifende Bilder. Julia tötet sich - den Gatten umarmend.
In weiteren Rollen fesseln an diesem bewegenden Abend Marc Ribaud als Herzog von Verona, Sinead Brodd als Rosalinde, Veronika Verterich, Daiana Ruiz und Elisa Ghisalberti als Zigeunerinnen sowie Noan Alves, Minji Nam, Aoi Sawano, Anton Tcherny und Mitchell Millholin (Faschingstanz).
Tosender Applaus, Jubel.