Evgeny Titov hat Shakespeares Königsdrama radikal verkürzt und sich ganz auf das Beziehungsgeflecht zwischen Richard und den Frauen des Könighauses konzentriert. Selbst Lord Hastings hat sein Geschlecht gewechselt.
Da Richard ein wenig einnehmendes Äußeres hat, nicht schön sein kann und sich benachteiligt sieht, will er bösartig sein und bahnt sich skrupellos seinen Weg zur Macht. Zu seinen Gräueltaten bekennt er sich. Es ist ein Faszinosum, wie rhetorisch geschickt er alle umgart und mit Schmeicheleien sogar Lady Anne dazu bringt, seinem Werben zu erliegen, deren Mann er immerhin ermordet hat.
In Titovs Inszenierung werden die Frauen zu Gegenspielerinnen Richards. Sie fallen wie Hyänen sprachlich über einander her, allesamt vergangene Königinnen, die sich in einem Hierarchiegerangel schwertun mit dem Ehr- und Machtverlust. In ihrer Machtgier stehen sie Richard in nichts nach. Aber selbst tätig zu werden, ist ihnen verwehrt, so bleibt ihnen auch nichts Anderes übrig, als mitzumachen um zu überleben oder unterzugehen.
André Kaczmarczyk brilliert als Richard III., zeigt einen facettenreichen Charakter, changiert zwischen durchgeknallt, skrupellos, mit Kalkül anbiedernd und gewitzt; er ist bizarr, schräg und schrill. Äußerlich wird seine Andersartigkeit durch einen über den Kopf gespannten Netzstrumpf gekennzeichnet, der sein Gesicht verformt, und durch seine extrem hohen Plateauschuhe, mit denen er nur auf dem Ballen gehen kann und die ihm den aufrechten Gang ungemein erschweren. Sie erinnern zudem an den Bocksfuß des Teufels, ein anderer bekannter Bösewicht.
Ein Vorteil der extremen Textkürzungen ist, dass Evgeny Titov zum einen die sonst eher am Rande agierenden Frauengestalten um Richard mehr in den Blick nimmt, so deutlich hat man sie noch nie wahrgenommen; zum anderen, dass er die Kraft und Macht der Worte akzentuiert. Dabei entsteht ein anderer, ungewohnter Richard III, der ja ohnehin mit dem historischen Richard III. nichts gemein hat.
Der letzte Kampf findet im Überwachungs- und Serverraum statt. Ein Pferd benötigt Richard hier nicht, seine Frage danach ist reine Reminiszenz an den Urshakespeare. Die Schaltzentrale der Macht wird einfach vom Netz genommen.
Am Ende kam André Kaczmarczyk so schnell nicht aus seinen unbequemen Schuhen heraus: mit Ovationen wurde seine starke Leistung goutiert, ebenso wie die der „Königinnen“.
aus dem Englischen von Thomas Brasch
Besetzung
Richard, Herzog von Gloster, Bruder König Edwards IV.,
später König Richard III.: André Kaczmarczyk
Königin Elisabeth, Frau König Edwards IV.: Judith Rosmair
Königin Margaret, Witwe König Henrys VI.: Friederike Wagner
Herzogin von York, Mutter Edwards IV., Richards III. und Georges, Herzog von Clarence: Manuela Alphons
Lady Anne, Schwiegertochter König Henrys VI., Witwe des Kronprinzen Edward von Westminster, später Frau König Richards III.: Claudia Hübbecker
Hastings, Vertraute Richards III.: Blanka Winkler
Lady Rivers, Schwester Königin Elisabeths: Pauline Kästner
und
König Edward IV.: Jochen Moser / Hans Meyer-Rosenthal
Kinder der Elisabeth:
Prinzessin Elisabeth: Sae Hanajima
Kronprinz Edward: Luke Dopheide
Prinz Richard: Theodor Taprogge / Rafael Wohlleber
Regie: Evgeny Titov
Bühne: Etienne Pluss
Kostüm: Esther Bialas
Musik und Video: Moritz Wallmüller
Licht: Konstantin Sonneson
Dramaturgie: Janine Ortiz