„Eigentlich ist die Jugend viel, viel einsamer als das Alter. Die Alten haben ihre Ansichten und brauchen nicht zu schwanken, denn sie wissen, wo’s lang geht im Leben. Für uns junge Menschen ist es doppelt schwer, unsere Meinung zu behaupten in solchen Zeiten, in denen alle Ideale zerbrechen, in denen Menschen wieder zweifeln an Wahrheit, an Gerechtigkeit, an Gott!“ Anne Frank ist 15 Jahre alt, als sie diese Gedanken am 15. Juli 1944 in ihrem Tagebuch notiert. Mit ihrer Familie und Freunden ihrer Eltern lebt sie versteckt im Hinterhaus der Firma ihres Vaters in Amsterdam. Die deutsche Besatzung entdeckt das Versteck. Anne Frank und ihre Schwester kommen im Konzentrationslager Bergen-Belsen um, die Mutter in Auschwitz-Birkenau, wo nur der Vater die Befreiung erlebte.
Ihr Schicksal macht Das Tagebuch der Anne Frank zu einem einzigartigen geschichtlichen und menschlichen Zeugnis. Der russische Komponist Grigori Frid gibt den Aufzeichnungen in einem ebenso intimen wie expressiven Werk für Sopran solo eine Stimme. Sie gehört in der filmischen Umsetzung von Regisseur Patric Seibert der jungen türkischen Sopranistin Ilkin Alpay. Es ist eine Annäherung an das Schicksal von Anne Frank und eine Auseinandersetzung mit der Frage, was die für jüngere Generationen ferne Zeit der Naziherrschaft in Deutschland mit uns zu tun hat und mit uns macht.
Regie führte Patric Seibert-Wolf, seit Spielzeitbeginn Dramaturg für Musiktheater und Ballett am Staatstheater Cottbus. Mit der jungen türkischen Sopranistin Ilkin Alpay erarbeitete er eine ca. 55-minütige Fassung der 1969 vom russischen Komponisten Grigori Frid geschriebenen Oper. Als Libretto wurden allein Anne Franks Texte verwendet, die Musik erinnert an die Klangsprache von Dimitri Schostakowitsch und wird von Virginia Breitenstein am Klavier umgesetzt. Weitere Texte aus dem Tagebuch liest die Schauspielerin Barbara Dussler.
Der Entstehungsprozess der Inszenierung Das Tagebuch der Anne Frank begann bereits im Februar 2020 in Karlsruhe. Ziel war es, gemeinsam mit Schüler*innen eine Oper für junge Menschen zu erarbeiten. Seibert-Wolf, damals Geschäftsführender Dramaturg und stellvertretender Operndirektor am Staatstheater Karlsruhe, übernahm die Regie. Vier Wochen lang wurde geprobt und sehr oft waren Jugendliche der Anne-Frank-Schule in Karlsruhe-Oberreut mit dabei. Sie gaben wertvolle Hinweise und brachten ihre Sicht auf Anne Franks Geschichte ein. Dann kam Corona bedingt der Lockdown und die für Ende März 2020 geplante Premiere konnte nicht stattfinden – eigentlich das Aus für dieses Projekt. Doch es bekam am Staatstheater Cottbus eine zweite Chance. Mit einer Förderung aus dem Fonds „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ wurde eine Koproduktion zwischen den Staatstheatern initiiert und das Projekt in nunmehr filmischer Umsetzung neu entwickelt. Gedreht wurde mit Unterstützung der technischen Gewerke an zwei Tagen in der Kammerbühne des Cottbuser Theaters.