Ein Mann steht mit dem Rücken zum Publikum auf der Bühne, unbeweglich, breitbeinig, von einem großen Spot beschienen, während ihn die Drehbühne langsam dem Publikum zuwendet. Er trägt die Insignien der Coolness; dessen, der sich nicht in die Karten gucken lässt: dunkler Anzug, Hut, schwarze Sonnenbrille und spitze Macker-Lackschuhe. Dann aber breitet der Mann sein ganzes Blatt vor dem Publikum aus, mit allen Jokern und Trümpfen. Wie funktioniert Theater? Was tun die Teilnehmer in diesem Spiel – Schauspieler, Regisseure, Techniker, Zuschauer und Kritiker? Was ist das für ein „Ereignis“?
Während der nächsten 80 Minuten wird Carola von Seckendorff als „der Schauspieler“ die Funktionen und Rollen aller Beteiligten analysieren, jedoch nicht demontieren, sondern sämtliche Tricks meisterhaft einsetzen. Warum spielt der Schauspieler nach Regieanweisungen vor „fremden Menschen“? Warum arbeitet er daran, jeden seiner Züge als echt erscheinen zu lassen, obwohl alle wissen, dass jede Sekunde konstruiert ist? Der Text: vorgegeben, Wort für Wort. Die Bühnen-Atmosphäre: ein Knopfdruck des Licht-Technikers. Alles spontan und zufällig Wirkende: einstudiert. Betonung, Pausen, Tempo, jede Geste, jeder Blick, jedes Minenspiel: vom Schauspieler erdacht und von der Regie gebilligt.
Mit bissiger Selbstironie illustriert von Seckendorff die abgebrühte Routine des Spiels. Nahe der völligen Gleichgültigkeit gegenüber dem „Ereignis“ zeigt sie es als Groteske, wenn sich der Schauspieler dabei zusehen muss, wie er sich in fast mechanischer Manier „Abend für Abend selbst nachahmt“. Hier klingt in John Clancys Text Kleists Schrift „Über das Marionettentheater“ an: Sie beschreibt die Verzweiflung eines Jünglings, der zufällig in einer kurzen Bewegung die reine Grazie seines Körpers gesehen hat, deren Nachahmung ihm aber nicht mehr gelingen will, so oft er sie auch versucht. Die reine Grazie könne nicht bewusst gebildet werden und sei deshalb allein Gott oder aber der Marionette vorbehalten, schließt Kleist.
Der Schauspieler eine Marionette? Seine Verzweiflung, sein Sich-Abarbeiten für das Publikum, sein Durchbrechen von Regie und Text: es könnte die pure Koketterie sein. Wie können wir Zuschauer jemals sicher sein darüber, was zum Stück gehört und was nicht, wo es beginnt und endet? Was können wir überhaupt sagen über das Augenblickliche hinaus?
Von Seckendorff kostet die Abgründe und Höhenflüge des Theaters von dieser einmaligen Meta-Ebene her voll aus, berichtet ungehemmt vom mal beglückenden, mal abgekarteten Spiel zwischen Schauspielern und Publikum. Dabei erzeugt sie das Wohlgefühl gegenseitigen Einverständnisses, sogar der Verschworenheit; so großes Verständnis bringt ihr „Schauspieler“ auf, dass es scheint, er wechsle die Seiten. „Das hier ist so’n Meta-Ding“, raunt sie eindringlich und krabbelt auf allen Vieren dicht an die erste Zuschauerreihe heran, „Sie können ruhig nach Hause gehen, wirklich!“ Aber auch das gehöre zum Ereignis, unterrichtet sie gleich weiter. Gefangen sind sie alle im Theater mit ihren fest verteilten Rollen, untrennbar und verwoben.
So konzentriert John Clancys brillantes Stück dieses Zusammenspiel fasst, so tief pflanzt von Seckendorff uns Zuschauern immer wieder die Ahnung ein, dass es hier im Grunde genommen nicht um das Theater geht, sondern um das Leben. „Event“ ist eine Parabel auf das komplex codierte Miteinander, in dem wir mit allseits bekannten Tricks und Bluffs miteinander spielen. Und so verlassen wir das „Ereignis“ sehr amüsiert und mit einer Prise des Gefühls, durchschaut worden und selbst nur ein Zug im vorgegebenen Pokerspiel zu sein. Dies allerdings wiederum im kalkulierten, gegenseitigen Einvernehmen.
Regie: Kathrin Mädler
Premiere: 14.03.2013
Nächste Termine: 25.03., 11.04., 9.5., 22.5. jeweils 19:30 Uhr