Die Unmöglichkeit der direkten Äußerungen über diese das geistige Leben insgesamt infrage stellenden Erfahrung des Holocaust führt bei Peter Ruzicka zu einer Ästhetik des Fragments, am "Rande des Verstummens". Und so wird auch in der Oper "Celan" nicht die Biografie des Dichters Paul Celan vertont, vielmehr umkreist das Werk die Person des Dichters und spiegelt ihn und verschiedene Eckpunkte seines Lebens in vielfältigen Szenen.
Die Musik Peter Ruzickas bildet große sinfonisch angelegte Klangfelder, mit denen sich jeweils Erinnerungen an Geschehnisse aus dem Leben Celans verknüpfen. An zentraler Stelle steht eines der eindrücklichsten Chorstücke der modernen Opernliteratur: in sich flehend und gewaltig aufbauenden Sequenzen evoziert der Chor das himmlische Jerusalem als die Hoffnung aller jüdischen Menschen im Moment der Bedrohung und des Todes.
Der Dichter Paul Celan hat zu Bremen eine ganz besondere Beziehung. Hier erhielt er 1958 den Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen, der ihn einer breiten deutschen Öffentlichkeit bekannt machte und den Anlass für eine der wichtigsten poetologischen Äußerungen des Lyrikers, die „Bremer Literaturpreisrede“, gab.
Paul Celan, der aus der Stadt Czernowitz (heute in der Ukraine gelegen) stammte, wuchs in einem vielsprachigen und literarisch äußerst produktiven Umfeld auf. Celan war Jude und verlor nach der Besetzung Czernowitz 1941 durch deutsche und rumänische Truppen seine beiden Eltern in deutschen Lagern. Ein Leben lang quälten ihn Vorwürfe, die Eltern nicht wie sich selbst vor dem Zugriff durch die Deutschen gerettet zu haben. Celan lebte in Bukarest und Wien, wo er mit seinem ersten Gedichtband "Mohn und Gedächtnis" erste Aufmerksamkeit erlangte. Nach dem Krieg und im Bewusstsein des unfassbaren Grauens der Vernichtung von Millionen Menschen in den KZ's der Nationalsozialisten begriff sich Celan in dem spannungsreichen Paradox, als jemand, der der Vernichtung mit Glück entgangen war, in der "Sprache der Mörder" zu schreiben und zu dichten. Theodor W. Adorno äußerte nach dem Bekanntwerden der Gräuel, es sei "barbarisch", nach Auschwitz noch Gedichte zu schreiben. Gemeint war die schiere Unmöglichkeit, das Wissen um die Möglichkeit solcher Vernichtung in Worte zu fassen. Sprache jedoch, die dieses Wissen nicht beinhaltet, kann nicht vollständig sein. Mit der Veröffentlichung von Celans Gedicht "Todesfuge" (1952) erlebte auch die deutsche Öffentlichkeit eine Art von Sprache, die die Kraft hat, das Grauen zu beschreiben.
Die "Todesfuge" wurde zu einem der wichtigsten und bekanntesten Gedichte der Nachkriegszeit und fand später Aufnahme in deutsche Schulbücher. Diesen Vorgang interpretierte Celan allerdings als Okkupation seiner Sprache durch die Täter und ihre Nachfahren. Eine besonders folgenschwere Demütigung erlitt Celan durch die so genannte "Goll-Affäre". Celan hatte in seiner Jugend Gedichte seines älteren Freundes Yvan Goll übersetzt. In den 60er Jahren warf ihm dessen Witwe Claire Goll vor, Bilder und Worte ihres Mannes entlehnt zu haben - ein Vorwurf, der von der Forschung und historischen Fakten widerlegt worden ist. Dennoch griff die deutsche Presse den Vorwurf auf und bezichtigte Celan des Plagiats. Celan interpretierte diese Kampagne als Versuch, ihm (nachdem man ihn während der Zeit des Faschismus nicht getötet hatte) nachträglich seine Identität zu nehmen und auf diesem Wege als Mensch und Dichter zu vernichten. In späteren Jahren nahmen, nicht zuletzt durch die öffentlichen Demütigungen beschleunigt, seine psychischen Probleme zu. Er lebte zu dieser Zeit, verheiratet mit der Graphikerin Gisèle Celan-Lestrange und Dozent an der Ecole Normale Supérieure, als angesehener Lyriker und Autor in Paris.
Kurz vor seinem Tode im Jahre 1970 besuchte der junge Peter Ruzicka den Dichter in seiner Wohnung in Paris. Die Begegnung, bei der Ruzicka um die Genehmigung zur Vertonung einiger Gedichte Celans bat, gehört zu den bedeutenden Erlebnissen des Komponisten in der Beschäftigung mit Celan, die letztendlich einen wichtigen Impuls zur Komposition der Oper gab.
Paul Celan beging am 20. April 1970 Selbstmord. Er sprang in die Seine und wurde einige Kilometer stromabwärts ertrunken aufgefunden.
All diese biografischen Daten, angereichert um die Liebesgeschichte Celans zu der deutschen Dichterin Ingeborg Bachmann, sind in "Celan" Anlass zu Reflektionen, die den Hörer über die Emotion, über Assoziation und Erfahrung in die Welt des Dichter "Celan" hineinzieht.
"Celan" von Peter Ruzicka wurde uraufgeführt im Jahre 2001 an der Staatsoper Dresden. Peter Ruzicka ist nicht nur bekannt als ehemaliger Intendant der Staatsoper Hamburg und der Salzburger Festspiele, sondern eine ebenso renommierte Künstlerpersönlichkeit als Komponist und Dirigent. Er komponierte große Orchesterwerke, Lieder, Kammermusik und nach "Celan" erst kürzlich seine zweite Oper "Hölderlin", die 2008 ihre Uraufführung in der Staatsoper Unter den Linden Berlin erlebte. Peter Ruzicka wird seine Oper hier in Bremen selbst dirigieren und studiert sie zur Zeit mit dem Bremer Solistenensemble, dem Chor des Theaters Bremen und den in Neuer Musik äußerst erfahrenen Bremer Philharmonikern ein.
Musikalische Leitung Peter Ruzicka
Inszenierung Vera Nemirova
Bühnenbild Stefan Heyne
Kostüme Klaus Noack
Chöre Tarmo Vaask
Celan 1 Thomas E. Bauer
Celan 2 Yaron Windmüller
Christine Nadine Lehner
Hilde Sara Hershkowitz
Rachel Eun-Kyung Um
Der Ober Tomas Möwes
Der ältere Herr/ der Herr/ Ein parkinsonider Wtwer Franz Becker-Urban
Ein anderer/ Ein Freund Celans/ Ein Sportlehrer Christian-Andreas Engelhardt
Ein Intellektueller/ Ein Hooligan/ Ein Yuppie Thomas Scheler
Ein Kommissar/ Ein übler Zeitgenosse Uwe Kramer
Die ältere Dame/ Eine Dame Barbara Hoene
Die Dichterin (Nina Cassian)/ Eine Fremdenführerin Barbara Buffy
Eine Malerin/ Eine Dame im Schneiderkostüm Carla Becker
Die junge Geliebte/ Eine linkische Abiturientin Jung-Ae Noh
Eine werdende Mutter/ Eine häßliche Schwangere Martina Parkes
Termine: 21., 24., 27. und 29. Mai 2009, weitere Termine unter www.theaterbremen.de