Ich muss mein Gesicht vorbereiten, damit ich den Gesichtern begegnen kann, die mir begegnen. (T.S. Eliot)
Der geläufigste und zugleich faszinierendste Anblick, den wir kennen, ist das menschliche Gesicht. Als exponiertes Medium von Wahrnehmung und Kommunikation gibt es Auskunft über Identität und Individualität. So beginnt jeder zwischenmenschliche Kontakt mit dem Blick in das Gesicht unseres Gegenübers, des Anderen, wir nutzen das Gesicht und seine Darstellung als Symbol, das uns Zugang zum Fundus menschlichen Selbstverständnisses verschafft und um das Wesen von Individualität zu ergründen.
Spätestens seit die Menschheit begann, Bilder herzustellen, ist die Darstellung von Gesichtern ein Grundelemente unserer Phantasie und Vorstellungskraft. Geschichte und Archäologie, Literatur und Sprache bezeugen, welche Bedeutung dem Gesicht in unserer Vorstellung zukommt, auch Mythen und Magie lenken die Aufmerksamkeit auf das Gesicht. Dies erklärt, warum das Gesicht seit jeher ein bevorzugter Gegenstand der künstlerischen Auseinandersetzung ist, warum es Thema interpretierender Betrachtungen bleibt.
1839 wird mit der Fotografie ein apparatives und damit scheinbar objektives Medium der Aufzeichnung verfügbar, das gerade in den Porträtstudios seine ersten kommerziellen Erfolge feiert. Jede Aufnahme unterliegt jedoch von Anfang an einer Reihe von Manipulationen, wobei bereits die Übertragung vom Raum in die Fläche eine entscheidende Verfremdung bedeutet. Die Ausstellung Das zweite Gesicht, 2002 im Deutschen Museum München, machte am Beispiel der Porträtfotografie eindrücklich deutlich, dass die Fotografie viel eher ein Medium der Wirklichkeitskonstruktion als der Wirklichkeitsabbildung ist. Und so sind nicht nur das Gesichter, sondern auch sein Abbild machtvolle Symbole, die aus einem komplexen Netzwerk von Gedanken und Gefühlen, Fähigkeiten und Erinnerungen gespeist werden.
Der Frankfurter Fotograf Alexander Paul Englert reiht sich mit dem Projekt Ansichten in die am schauspielfrankfurt begonnene Auseinandersetzung mit dem Theater als künstlerischer Produktionsstätte. Sein Interesse gilt den Schauspielerinnen und Schauspielern, doch nicht als Protagonisten einer Inszenierung, in einer Rolle, sondern, ohne Kostüm und Maske, als Individuum. Seine Porträts werden ab Frühjahr Passanten wie Theatergänger begrüßen, großformatig von der Glasfassade des Theaters aus. Damit tritt der Schauspieler als Mensch auf einer vorgelagerten Bühne der Öffentlichkeit entgegen.
Alexander Paul Englert nähert sich seinem Sujet bis auf eine kurze Distanz, konzentriert sich auf die Grundzüge eines Gesichtes, zeigt die Vielfalt und Komplexität und die Verwundbarkeit. Doch er wahrt auch in dieser intimen Begegnung zwischen ihm und dem Porträtierten den Respekt. Damit hat auch der Betrachter die Möglichkeit, sich dem Bild und damit dem Menschen zu nähern, ohne Voyeur sein zu müssen. Der Blick darf sich öffnen bei der Suche nach der Identität des Anderen, nichts beeinträchtigt sie vorsätzlich. In frontaler Ansicht, unvermittelt, blickt der Fotografierte in die Kamera, offen und neugierig. Trotz dieser formalen Gleichbehandlung, auch in der Lichtführung und im Hintergrund, erregt jedes Gesicht seine eigene Aufmerksamkeit beim Schauen, blickt man nicht auf Typen, sondern auf Individuen. Betrachtet der Besucher das Porträt von innen, aus dem Foyer des schauspielfrankfurt, so begegnet er dem abgebildeten Menschen, wie dieser sich im Spiegel betrachtet. Von außen, vom Willy-Brandt-Platz aus, erfassen wir jedoch das Bild des Menschen so, wie wir dem Menschen auf der Straße, im Gespräch begegnen würden. (Leonore Leonardy)
schauspielfrankfurt