Annette von Droste-Hülshoff (12. Januar 1797 - 24. Mai 1848) ist uns heute bekannt durch ihre Prosatexte, vor allem "Die Judenbuche", und besonders durch ihre Gedichte wie z.B. "Im Grase" und "Der Knabe im Moor". Dass sie auch als Komponistin tätig war, einige Libretti ("Babilon" zwischen 1820 und 1837, "Der blaue Cherub" um 1837, "Der Galeerensklave" um 1837) verfasste, und versuchte, Theaterstücke zu schreiben, ist weniger bekannt. Clara Schumann bat sie sogar in einem Brief vom 17. Juni 1845 darum, ein Libretto für eine Oper Robert Schumanns zu schreiben. Dem Angebot kam sie jedoch nicht nach. In der Zeit zwischen 1813 und 1819 beschäftigte sie sich mehrfach mit dem Verfassen von Theaterstücken, die jedoch Fragmente blieben.
Im Hause Droste-Hülshoff wurde fleißig gelesen und vorgelesen, wobei auch Theaterstücke der Lektüre dienten. So ist aus Briefen und Tagebuchnotizen bekannt, dass z.B. im April 1809 "Hamlet", 1810 Kotzebues "Das Strandrecht" gelesen wurde. Kotzebues Lustspiele wurden oft im Theater gegeben und auch von zahlreichen Laienbühnen gespielt. Er war d e r Bühnenautor der 1810- bis 1820-er Jahre.
Theateraufführungen wurden ebenfalls recht häufig besucht, für den Winter und das Frühjahr 1810 ist z.B. der Besuch zahlreicher Komödien verzeichnet. Selbst Laien¬aufführungen fanden das Interesse der Familie. Ein erster eigener Auftritt der 13-jährigen Droste in einer Theateraufführung fand im Winter 1810 im Hohenholter Damenstift statt und muss derart aufsehenerregend gewesen sein, dass Friedrich Leopold von Stolberg in einem Brief an Therese von Droste-Hülshoff, die Mutter der Droste, am 25.3.1810 die folgenden moralischen Bedenken äußerte:
"Ich habe gehört, dass Fräulein Nette in gesellschaftlichen Kreisen Komödie spiele. Für Männer und Frauen ist, meiner innigsten Überzeugung nach, diese Übung wenigstens gefährlich; für Jünglinge noch mehr; für junge Mädchen noch weit mehr, und eben für Fräulein Nette mehr noch als für andere. Ich habe lange und mehr als mir lieb war, in der großen Welt gelebt, wo eben diese Übung eingeführt worden. Ich habe keinen und noch weniger e i n e gesehen, welche nicht merklichen Schaden dadurch gelitten hätte [...] wiewohl ich es wiederholen muß, dass ich solche Komödien nicht kenne – so ist doch das bloße Vo r s t e l l e n jeden Menschen, mehr als Männern den Frauen, mehr als diesen den Mädchen und vor allem s o l c h e n nicht nur gefährlich, sondern gewiß schädlich, welche gereizte Nerven und einen phantastischen Schwung des Geistes haben".1
Auch Reisepläne wurden an der Qualität von Theatern fest gemacht. So heißt es in einem Brief an Jenny von Lassberg geschrieben nach dem 7. Juli 1830 über Mannheim: "das Theater ist gut. d.h. etwa wie das C a s s e l e r, aber du weißt selbst, daß ich etwas geizig mit Theatergeld bin und blos wenn ich Etwas ganz B es o n d e r e s könnte zu sehen bekommen, wie z.b. in Mailand,
F l o r e n z, Wien, Paris ET CET würde ich mein Geld zuweilen daran wenden, aber für ein Theater wie das C a s s e l e r oder M a n n h e i m e r gewiß nicht öfter wie 2-3 Mahl im ganzen Jahr."2
Das alles spricht von einem starken Interesse an Theateraufführungen, wobei jedoch ihr große Liebe eindeutig der Oper und anderen musikalischen Vorstellungen galt.
Ihre eigenen dramatischen Versuche beginnen mit "Bertha oder die Alpen", einem fragmentarischen Trauerspiel (begonnen ab 1813, beendet vor 1819) und es bleibt als Trauerspiel auch das einzige. Als ursprünglicher Titel war Laura vorgesehen und der Schauplatz war zuerst in Italien angesiedelt. Die Verlegung des Schauplatzes nach Deutschland, d.h. nach Westfalen, führte dann dazu, dass sie den gesamten Plan vollständig änderte. Zu der ursprünglich vorgesehenen Liebesgeschichte kam ein zweiter Hand¬lungsstrang hinzu, eine politische Verschwörung, was auch zu einer Erweiterung des Personenregisters führte. Thematische Vorbilder waren sicherlich Schiller und Goethe, die durch Lektüre bekannt waren, und deren Arbeiten im häuslichen Kreis vielfach diskutiert wurden, wobei die Schiller-Lektüre auch zeitweilig, auf Einfluss der Mutter hin, verboten war. Das Stück gedieh immerhin bis zum 2. Akt, 6. Szene.
"Das Rätsel" (geschrieben zwischen 1813 und 1819) ist ein dramatischer Scherz. Geschildert wird in dem überlieferten Fragment eine kleine Szene um einen Freier, der nach dem Anpreisen der heiratsfähigen Tochter durch die Mutter am liebsten die Flucht ergreifen möchte. Auch sprachlich wird hier eine kleine Genreskizze geliefert.
Bei dem Fragment "Szenen aus Hülshoff" (Herbst 1817) handelt es sich um eine anschauliche, lebhafte Schilderung des gesellschaftlichen Lebens auf Burg Hülshoff, dem ersten Wohnsitz der Droste, wobei der Musikausübung, d.h. dem Gesang eine besondere Rolle zukommt. Vom komisch-kritischen Autoportrait wurde noch nicht einmal die erste Szene vollendet.
Von "Hedwig und Sophie oder Verzweiflung und Rache" (entstanden nach 1819) ist nur der Entwurf mit dem Beginn der ersten Szene vorhanden, die in einem Ballsaal spielt.
Fast zwanzig Jahre lang befasste sich die Droste nicht mehr mit dem Schreiben von Theaterstücken, bis ihre Verwandtschaft in Abbenburg (der Kreis um August von Haxthausen, ihrem Onkel) von ihr etwas "Humoristisches" einforderte:
"man spannt hier wieder alle Stricke an, mich zum HUMORISTISCHEN zu ziehen, spricht von "Verkennen des eigentlichen Talents" ET CET – das ist die ewige Leyer hier, die mich denn doch jedesmahl halb verdrießlich, halb unschlüssig macht, - ich meine der HUMOR steht nur Wenigen, und am seltensten einer weiblichen Feder, der fast zu engen Beschränkung durch die (gesellschaftliche) Sitte wegen – und Nichts kläglicher als HUMOR in engen Schuhen – für jetzt kann ich überall mahl gar nicht daran denken – Heute eine Schnurre, und Morgen wieder ein geistliches Lied! das wäre was Schönes! – solche Stimmungen ziehen sich nicht an und aus wie Kleider, obwohl Manche das zu glauben scheinen."3
Im Brief an Christoph Bernhard Schlüter vom 26.4.1840 geht sie dann noch einmal auf die Vorschläge ihrer Verwandten ein:
"daß ich, des seit zwanzig Jahren bis zum Ekel wiederholten Redens, über Miskennung des eignen Talents, müde, mich zu Etwas entschlossen habe, was mir im Grunde widersteht nämlich einen Versuch im komischen zu unternehmen, - so dränge ich dann jeden Trieb zu Anderm gewaltsam zurück, und scheue mich doch vor jener gleichsam bestellten Arbeit wie das Kind vor der Ruthe, - nicht daß ich meine sie werde völlig mislingen, - es fehlt mir allerdings nicht an einer humoristischen Ader. Aber sie ist meiner gewöhnlichen und natürlichsten Stimmung nicht angemessen, sondern wird nur hervor gerufen durch den lustigen Halbrausch, der Uns in zahlreicher und lebhafter Gesellschaft überfällt, wenn die ganze Atmosphäre von Witzfunken sprüht und Alles sich in Erzählung ähnlicher Stückchen überbietet".4
So entstand um 1840 das einzige vollendete Theaterstück, die Komödie "Perdu! Oder Dichter, Verleger, und Blaustrümpfe", eine Persiflage auf ihre dichterisch tätigen Bekannten, wobei
Herr Speth: Langewiesche
Sonderrath: Ferdinand Freiligrath
Seybold: Levin Schücking
Willibald: Wilhelm Junkmann
Claudine Briesen. Luise von Bornstedt
Frau von Thielen: Annette von Droste zu Hülshoff
Ida: Elise Rüdiger
Johanna von Austen: Henriette von Hohenhausen
zugeordnet werden können.
Wer sich mit dem Briefwechsel der Droste auskennt, wird darin unschwer die o.g. Personen wiedererkennen, die durchaus typisch charakterisiert sind, wie sie auch selbst zugibt: "so werden meine Personen immer Westphalen bleiben, und sich, trotz aller Vorsicht, hier und dort INDIVIDUELLE Züge einschleichen."5
Das Stück selbst spielt in einem Verlagskontor. Der Verleger klagt über säumige Dichter, die Druckkosten, die mäßigen Verkaufszahlen, seine Investitionen, die sich verflüchtigen (perdu!). Der Dichter Willibald beklagt sich, dass er in seinen Abendblatt eine Rezension abgedruckt habe, die seinen bei ihm verlegten "Abendhain" grob kritisiere. Nach und nach treffen die lokalen Dichter und Dichterinnen in dem Kontor aufeinander und es wird über diverse Rezensionen gesprochen, die man jeweils nicht gelesen haben will. Wechselseitig lästert man übereinander, versucht einander zum Schreiben von Gegendarstellungen und Gelegenheitsgedichten zu überreden, beschäftigt sich kritisch mit den Texten und versucht dabei einige Fettnäpfchen zu umgehen. Der lang erwartete "Starautor" Sonderrath trifft endlich ein, entwindet sich aber den Forderungen des Verlegers sehr geschickt und entflieht alsbald. In der Schilderung lehnt sich die Droste an den Ärger des Verlegers Langewiesche mit Ferdinand Freiligrath an, der die versprochene Fortsetzung des "Malerischen und romantischen Westfalen" nicht ablieferte. Das alles ist durchaus amüsant zu lesen, weil es den Verlagsalltag und die menschlichen Eitelkeiten sehr genau wiedergibt. Als Lesestück wird es im Freundes- und Verwandtenkreis der Droste sicherlich viel Gelächter hervorgerufen haben, sind doch einige Charakterisierungen überaus treffend.
Im Kreis von Elise Rüdiger wurde "Perdu!" ausgiebig kritisiert, diente doch eben dieser Kreis dem Stück, obwohl die Droste das scheinbar abstreitet, als Vorlage. Sie schreibt dazu in einem Brief an August von Haxthausen vom 20.7.1841:
"mein Lustspiel, worin höchstens E i n e r Persönlichkeit (der Bornstedt) zu nahe getreten seyn konnte, ist auch von meinem Kreise förmlich gesteiniget, und für ein vollständiges PASQUILL auf sie alle erklärt worden, und doch weiß Gott wie wenig ich an die guten Leute gedacht habe – Schücking und die Rüdiger waren die Einzigen die nichts Anstößiges daran fanden, obwohl Beiden auch ihre Rollen zugetheilt wurden, und zwar Letzterer eine höchst fatale."6
Inwieweit sich Annette von Droste-Hülshoff von Kotzebues Lustspielen für das Schreiben von "Perdu!" anregen ließ, ist fraglich. Jedoch spricht dagegen "dass ihre Stärke, die Charakterzeichnung, Kotzebues Schwäche war, und dessen Vorzug, die Berechnung des theatralischen Effekts, ein wesentlicher Mangel ihres Stücks ist."7 Die Droste meinte zudem, dass Kotzebue zu Übertreibungen in der Menschendarstellung neige.
Für die Aufführungspraxis scheint "Perdu!" trotz des immer noch aktuellen Themas, der geplagten Verleger und eitlen Autoren, dennoch wenig geeignet. Bernd Kortländer hält das Stück für eher blass, das "lag sicher in der Hauptsache an der Wahl der Gattung. Denn das Lustspiel fordert neben der komischen Charakterisierung, wovon sich in Perdu! einige recht gekonnte Beispiele finden, eben ganz besonders das Umsetzen der Komik in das Spiel auf der Bühne, und genau daran scheiterte die Droste, was schon Fontane mit dem sicheren Blick, des Theaterkritikers"8 erkannte.
Tatsächlich sind denn auch die Theaterversuche der Annette von Droste-Hülshoff eher von geringerer Bedeutung für ihr poetisches Schaffen. Was diese Fragmente dennoch interessant macht, ist dass sie uns einen kleinen Einblick in die Zeit Anfang des 19. Jahrhunderts gewähren.
1 Zitiert nach Walter Gödden, Annette von Droste-Hülshoff. Leben und Werk. Eine Dichterchronik.
Bern, Berlin, Frankfurt am Main, New York, Paris, Wien, 1993, S. 55.
2 Winfried Woesler (Hg.): Annette von Droste-Hülshoff. Sämtliche Briefe. Historisch-kritische Ausgabe.
München 1996. Briefe 1805-1838, S. 110.
3 Brief an Wilhelm Junkmann, 26.8.1839. In: Ebd. Briefe 1839 – 1842, S. 64.
4 Ebd. Briefe 1839 – 1842, S. 98.
5 Ebd. Brief an Schlüter vom 26.4.1840, Briefe 1839 – 1842, S. 99.
6 Ebd. Briefe 1839-1842, S. 250.
7 Bernd Kortländer, Annette von Droste-Hülshoff und die deutsche Literatur. Kenntnis - Beurteilung –
Beeinflussung. Münster 1979, S. 125.
8 Ebd., S. 57.