Viele unglückliche Kinder erfinden sich einen Freund. Renata imaginiert einen Engel, den sie als junge Frau in Heinrich wieder zu erkennen meint und in den sie sich verliebt. Als sie von ihm zurückgewiesen wird, steigert sie sich in erotische Obsessionen und Wahnvorstellungen. Sie begegnet Ruprecht, der sich in sie verliebt und ihr bei der Suche nach Heinrich helfen will. In Prokofjews symbolistischer Oper "Der feurige Engel" treffen christlicher Glaube, Mystizismus und Aberglaube auf Ratio und Eros. Immo Karaman hat in seiner Inszenierung für die Deutsche Oper am Rhein die scheinbar konfuse Handlung in einen schlüssigen Zusammenhang gebracht und selbst für kleine Nebenhandlungsstränge eine sinnvolle Lösung gefunden. So wird etwa der Auftritt Fausts und Mephistos, der in anderen Inszenierungen oftmals ganz gestrichen wird, hier als Bühnenstück präsentiert.
Karaman versetzt die Geschichte vom Ende des Mittelalter in die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts, und damit in die Zeit der Uraufführung des Werkes, in eine Zeit, in der mystische Erfahrungen auf Unverständnis stoßen, sogar als pathologisch gelten und daher behandlungsbedürftig sind. Insofern ist es folgerichtig, dass er die Handlung in eine von Nonnen geführte Heilanstalt verlegt und Ruprecht eher Therapeut als Ritter ist. Für das Bühnenbild haben sich der Regisseur und Aída Leonor Guardia von den zerfallenden Gebäuden der Heilanstalt Beelitz inspirieren lassen, die einen morbiden Charme ausstrahlen. Zum Horrorkabinett eines Wiener Narrenturms mutiert die Szene, wenn Renata mit Elektroschocks behandelt oder medizinisch experimentiert wird. Für beängstigende Effekte sorgen die sich immer wieder schließenden Türen, die stürzenden Wände, die in ihrer Dynamik des Ablaufs an die Ästhetik der Stummfilmära erinnern, und so eine strenge, geradezu zynisch wirkende Atmosphäre in der Anstalt erzeugen. Ruprecht nimmt Renata bei sich zu Hause auf. Sie trifft Heinrich schließlich in einer Tanzbar wieder. Die Auseinandersetzung zwischen Heinrich und Ruprecht erinnert an Jakobs Kampf mit dem Engel. Immer tiefer verstrickt sich Renata in ihren irrealen Vorstellungen und so landet sie wieder in der Klinik, in der sie die anderen Insassen und die Nonnen mit ihrem Wahnsinn ansteckt.
Die vorwärtstreibende Kraft der Musik entfaltet unter dem Dirigat von Wen-Pin Chien einen Sog, in dem die Bedrängnis Renatas nachvollziehbar wird. Svetlana Sozdateleva singt und spielt die Partie der Renata mit beeindruckender Intensität. Boris Statsenko weiß als Ruprecht ebenso zu überzeugen. Die grandiose, faszinierende Inszenierung erhielt beim Publikum einhelligem, begeisterte Zustimmung.
"DER FEURIGE ENGEL" von Sergej Prokofjew
Oper in fünf Akten op. 37
Libretto vom Komponisten nach dem Roman „Ognenny angel“ von Waleri Jakowlewitsch Brjussow
Musikalische Leitung: Wen-Pin Chien
Inszenierung: Immo Karaman
Bühne: Aída Leonor Guardia, Immo Karaman
Kostüme und Choreographie: Fabian Posca
Chorleitung: Christoph Kurig
Licht: Volker Weinhart
Dramaturgie: Hella Bartnig
Ruprecht: Boris Statsenko
Renata: Svetlana Sozdateleva
Wahrsagerin: Renée Morloc
Äbtissin: Susan Maclean
Doktor Agrippa von Nettesheim / Mephisto: Sergej Khomov
Doktor Faust: Sami Luttinen
Jacob Glock: Florian Simson
Mathias: Torben Jürgens
Exorzist / Graf Heinrich: Jens Larsen
Zwei junge Nonnen: Eva Bodorová, Stephanie Lesch
Drei Assistenten: Bo-Hyeon Mun, Manfred Klee, Clemens Begritsch
Drei Zuschaue: Volker Philippi, Ortwin Rave, Karl Thomas Schneider
Insassen und Personal der Heilanstalt / Nonne: Anna Roura-Maldonado, Joeri Burger, Photini Meletiadis, Ulrich Kupas, Francesco Pedone
Ein Junge:Gregor Krosigk
Chor der Deutschen Oper am Rhein
Orchester: Düsseldorfer Symphoniker