Man könnte diese Formel – nur so zum Spaß – aber auch einmal umkehren: Vielleicht gibt es die Realität ja nur, um all jenen einen Ort zu geben, die aus der Welt der Illusionen schockiert zurückkehren? Oder mehr noch: Ist es nicht sogar so, dass unsere vermeintliche Realität von zahlreichen Fiktionen strukturiert wird, also von Regeln, Vorstellungen und Fetischen, ohne die wir gar nicht in ihr leben könnten? So dass Realität und Illusion gar keine Gegensätze im engeren Sinne wären?
In Naked Lenz nimmt Regisseur Martin Laberenz die Auseinandersetzung mit Georg Büchners Fragment Lenz und David Cronenbergs Filmadaption von William S. Burroughs‘ Naked Lunch zum Ausgangspunkt, um über das Verhältnis von Wirklichkeit und Illusion im Theater nachzudenken. Daraus leitet er Fragen an unsere gegenwärtige Gesellschaft und ihre spezifischen Wahnvorstellungen ab. In beiden Werken steht ein Schriftsteller im Mittelpunkt, dessen Ich sich zwischen Wirklichkeit und Illusion aufzulösen beginnt: Büchners Lenz hört die Stimmen der Felsen, und in der Sonne sieht er ein „blitzendes Schwert“, das durch die Landschaft schneidet – es ist, „als jage der Wahnsinn auf Rossen hinter ihm“. Und der Dichter William Lee aus Naked Lunch wird in einer Serie von Rauschzuständen in die Welten gesogen, die er selbst aufschreibt: Er bleibt hängen in der „Interzone“, eine Welt irgendwo zwischen Wirklichkeit und Illusion, in der er in ein merkwürdiges Netz aus Sexualität, Spionage, Drogen und Literatur verstrickt wird.
Martin Laberenz (*1982) inszenierte u. a. für das Maxim Gorki Theater Berlin und das Centraltheater Leipzig. In Dortmund setzte er zuletzt die Theateradaption von Takashi Miikes Film Visitor Q in Szene, die 2011 zum NRW-Theatertreffen westwärts in Wuppertal eingeladen wurde.
Regie: Martin Laberenz
Ausstattung: Oliver Helf
Kamera: Daniel Hengst
Dramaturgie: Alexander Kerlin