Eine Theater-Performance der besonderen Art feiert im Herbst in Wien Premiere. Nikolaus Büchel,
Schauspieler und Regisseur, seit mehr als drei Jahrzehnten vorrangig in Deutschland tätig, hat eine
beeindruckende und vor allem moderne Bühnenfassung von Lew Tolstois „Kreutzersonate“ erarbeitet, die in Bonn und Stuttgart erfolgreich aufgeführt wurde. Nunmehr kehrt der in Wien Geborene in seine Heimatstadt zurück, um im Herbst in acht Vorstellungen im Wiener Schauspielhaus auch dem österreichischen Publikum seine Lesart des großen Prosawerks vorzustellen. Und obwohl zuerst in Deutschland aufgeführt, hat diese Produktion einen besonderen Österreich- Bezug durch die Mitwirkung so bekannter Künstler wie Paul Gulda für die Musikeinspielung, Moana
Stemberger für die Kostüme und Jürgen Messensee, der für das Bühnenbild seine Arbeit „Portrait
XXL“ zur Verfügung gestellt hat.
Zur Dramatisierung
Die Kreutzersonate stellte schon bei ihrem Erscheinen 1890 eine Sensation und einen handfesten Skandal dar. Immerhin wurde Tolstoi vorgeworfen, die Probleme seiner eigenen Ehe öffentlich gemacht zu haben und, weiterführend, die Liebe zwischen Mann und Frau, und insbesondere die körperliche Liebe, als „jenseits von Moral“ in Frage zu stellen. Diese Angriffe erhielten neue Nahrung durch einen Gegen-Roman, den Tolstois Frau kurz darauf publizierte, sowie eine Rechtfertigung Tolstois in Form eines literarischen Nachworts, das nichts zurücknahm, sondern seine Thesen eher noch unbedingter formulierte. Darüber hinaus manifestiert sich der vermeintliche Dissens und Betrug zwischen den Partnern an einem der vehementesten Musikstücke der klassischen Literatur, nämlich Beethovens
Kreutzersonate.
Obwohl bereits viele Romane, Filme und andere epische Stoffe auf die Bühnen des deutschsprachigen Theaters Eingang fanden, blieb diese Erzählung bisher davon nahezu ausgeschlossen, wenn man von mehr oder weniger szenischen Lesungen mit Musikbeigabe absieht. Für Büchel legte sich sehr schnell ein klares Bildmaterial wie eine zweite Ebene über den Text - und nahm doch Bezug auf die Figur des Erzählers. Die Ambivalenz dieses Charakters bildet eine Schwierigkeit bei der szenischen Umsetzung. Sehr moderne und wahre Sentenzen und Ansichten stehen kruden Theorien, ja Ideologien gegenüber. Denn aus richtigen Beobachtungen lassen sich eben immer auch (manchmal beabsichtigt) falsche Schlüsse ziehen. Sind wir im Zimmer eines neuen Propheten oder in der Zelle einer psychiatrischen Anstalt? Und ist das überhaupt ein Widerspruch? Wie ja auch in der Rezeptionsgeschichte, je nach Lesart und Interpretation, mal behauptet wurde, der Text sei frauenfeindlich, dann wiederum, er sei ein Vorläufer der Emanzipationsbewegung und vor allem männerfeindlich. Büchel gelingt es, die wunderschöne literarische Sprache Tolstois bei gleichzeitig größtmöglicher und beabsichtigter Direktheit zu erhalten, fast umgangssprachliche Naturalismen, Tautologien und Wiederholungen stehen auf der anderen Seite stark emotionalisierte Begriffe in nur scheinbar beliebiger Abfolge gegenüber.
Der in Wien geborene Liechtensteiner Nikolaus Büchel studierte - nach einigen schwächlichen Versuchen, dem Theater zu entkommen (Jura, Marketing, Romanistik und Theaterwissenschaft) - am Mozarteum Salzburg Schauspiel und Regie. Nach diversen ersten Theater-Erfahrungen (hauptsächlich in Wien und München) sowie Film - und Fernseharbeiten (u. a. eine Hauptrolle im „Schüler Gerber“ nach
Torberg, in der Serie „Derrick“, usw.) ging er ab Herbst 1981 mit Peter Eschberg als Schauspieler und Regieassistent nach Bonn. Seit 1985 etwa 80 eigene Inszenierungen u. a. am Schiller-Theater Berlin, Volkstheater Wien, Staatsschauspiel Stuttgart, Schauspiel Bonn, Schauspiel Frankfurt, Staatstheater Saarbrücken und Darmstadt. Daneben hat Büchel immer wieder gespielt - nach eigenem Bekunden, viel zu wenig - aber auch über 30 Bühnenbilder erstellt, im Hauptfach Schauspiel an diversen Akademien und Kunstuniversitäten unterrichtet, sowie mehrfach Theaterleitungsaufgaben übernommen (u.a. in Kiel, Bonn, Sommerspiele Melk/Niederösterreich). Er hat mehrere Stücke und Stoffe bearbeitet (etwa die erste und einzig von der Autorin autorisierte Dramatisierung von Christa Wolfs „Kassandra“), eigene Übersetzungen aus dem Englischen und Französischen erstellt und zuletzt gemeinsam mit Gregor Seberg das böse Kabarett-Stück „Oh du mein Österreich“ entwickelt. Angesprochen auf seine vielen „Theater-Karrieren“ hat er einmal gesagt: „Mein Traum bleibt eben immer das Theater als Gesamtkunstwerk.“
Produktion: Sopra Arts
Fassung und Einrichtung: Nikolaus Büchel
Bühne unter Verwendung einer Arbeit von: Jürgen Messensee
Klaviereinspielung: Paul Gulda
Musikalische Einrichtung: Matthias Bauer
Kostüme: Moana Stemberger
Posdnyschew: Nikolaus Büchel
Geigerin: Theresa Lier
Rohübersetzung und Textsupervising: Dr. Jenny M. Alwart
Textcoaching und Regiemitarbeit: Laura Tetzlaff, Leila Müller, Christine Knecht
weitere Vorstellungen: Fr. 14.9., Sa. 15.9., sowie
täglich Di. 18.9. bis Sa. 22.9. inklusive).