Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
Uraufführung in Wien: LEW TOLSTOI: „DIE KREUTZERSONATE“ IM SCHAUSPIELHAUS WIENUraufführung in Wien: LEW TOLSTOI: „DIE KREUTZERSONATE“ IM SCHAUSPIELHAUS WIENUraufführung in Wien:...

Uraufführung in Wien: LEW TOLSTOI: „DIE KREUTZERSONATE“ IM SCHAUSPIELHAUS WIEN

PREMIERE AM 12. SEPTEMBER 2012. -----

Eine Theater-Performance („Vom sexuellen Verlangen als Grund allen Übels und

destruktivem Moment im Zusammenleben der Geschlechter.“) in der Fassung von Nikolaus Büchel

Eine Theater-Performance der besonderen Art feiert im Herbst in Wien Premiere. Nikolaus Büchel,

Schauspieler und Regisseur, seit mehr als drei Jahrzehnten vorrangig in Deutschland tätig, hat eine

beeindruckende und vor allem moderne Bühnenfassung von Lew Tolstois „Kreutzersonate“ erarbeitet, die in Bonn und Stuttgart erfolgreich aufgeführt wurde. Nunmehr kehrt der in Wien Geborene in seine Heimatstadt zurück, um im Herbst in acht Vorstellungen im Wiener Schauspielhaus auch dem österreichischen Publikum seine Lesart des großen Prosawerks vorzustellen. Und obwohl zuerst in Deutschland aufgeführt, hat diese Produktion einen besonderen Österreich- Bezug durch die Mitwirkung so bekannter Künstler wie Paul Gulda für die Musikeinspielung, Moana

Stemberger für die Kostüme und Jürgen Messensee, der für das Bühnenbild seine Arbeit „Portrait

XXL“ zur Verfügung gestellt hat.

 

Zur Dramatisierung

Die Kreutzersonate stellte schon bei ihrem Erscheinen 1890 eine Sensation und einen handfesten Skandal dar. Immerhin wurde Tolstoi vorgeworfen, die Probleme seiner eigenen Ehe öffentlich gemacht zu haben und, weiterführend, die Liebe zwischen Mann und Frau, und insbesondere die körperliche Liebe, als „jenseits von Moral“ in Frage zu stellen. Diese Angriffe erhielten neue Nahrung durch einen Gegen-Roman, den Tolstois Frau kurz darauf publizierte, sowie eine Rechtfertigung Tolstois in Form eines literarischen Nachworts, das nichts zurücknahm, sondern seine Thesen eher noch unbedingter formulierte. Darüber hinaus manifestiert sich der vermeintliche Dissens und Betrug zwischen den Partnern an einem der vehementesten Musikstücke der klassischen Literatur, nämlich Beethovens

Kreutzersonate.

 

Obwohl bereits viele Romane, Filme und andere epische Stoffe auf die Bühnen des deutschsprachigen Theaters Eingang fanden, blieb diese Erzählung bisher davon nahezu ausgeschlossen, wenn man von mehr oder weniger szenischen Lesungen mit Musikbeigabe absieht. Für Büchel legte sich sehr schnell ein klares Bildmaterial wie eine zweite Ebene über den Text - und nahm doch Bezug auf die Figur des Erzählers. Die Ambivalenz dieses Charakters bildet eine Schwierigkeit bei der szenischen Umsetzung. Sehr moderne und wahre Sentenzen und Ansichten stehen kruden Theorien, ja Ideologien gegenüber. Denn aus richtigen Beobachtungen lassen sich eben immer auch (manchmal beabsichtigt) falsche Schlüsse ziehen. Sind wir im Zimmer eines neuen Propheten oder in der Zelle einer psychiatrischen Anstalt? Und ist das überhaupt ein Widerspruch? Wie ja auch in der Rezeptionsgeschichte, je nach Lesart und Interpretation, mal behauptet wurde, der Text sei frauenfeindlich, dann wiederum, er sei ein Vorläufer der Emanzipationsbewegung und vor allem männerfeindlich. Büchel gelingt es, die wunderschöne literarische Sprache Tolstois bei gleichzeitig größtmöglicher und beabsichtigter Direktheit zu erhalten, fast umgangssprachliche Naturalismen, Tautologien und Wiederholungen stehen auf der anderen Seite stark emotionalisierte Begriffe in nur scheinbar beliebiger Abfolge gegenüber.

 

Der in Wien geborene Liechtensteiner Nikolaus Büchel studierte - nach einigen schwächlichen Versuchen, dem Theater zu entkommen (Jura, Marketing, Romanistik und Theaterwissenschaft) - am Mozarteum Salzburg Schauspiel und Regie. Nach diversen ersten Theater-Erfahrungen (hauptsächlich in Wien und München) sowie Film - und Fernseharbeiten (u. a. eine Hauptrolle im „Schüler Gerber“ nach

Torberg, in der Serie „Derrick“, usw.) ging er ab Herbst 1981 mit Peter Eschberg als Schauspieler und Regieassistent nach Bonn. Seit 1985 etwa 80 eigene Inszenierungen u. a. am Schiller-Theater Berlin, Volkstheater Wien, Staatsschauspiel Stuttgart, Schauspiel Bonn, Schauspiel Frankfurt, Staatstheater Saarbrücken und Darmstadt. Daneben hat Büchel immer wieder gespielt - nach eigenem Bekunden, viel zu wenig - aber auch über 30 Bühnenbilder erstellt, im Hauptfach Schauspiel an diversen Akademien und Kunstuniversitäten unterrichtet, sowie mehrfach Theaterleitungsaufgaben übernommen (u.a. in Kiel, Bonn, Sommerspiele Melk/Niederösterreich). Er hat mehrere Stücke und Stoffe bearbeitet (etwa die erste und einzig von der Autorin autorisierte Dramatisierung von Christa Wolfs „Kassandra“), eigene Übersetzungen aus dem Englischen und Französischen erstellt und zuletzt gemeinsam mit Gregor Seberg das böse Kabarett-Stück „Oh du mein Österreich“ entwickelt. Angesprochen auf seine vielen „Theater-Karrieren“ hat er einmal gesagt: „Mein Traum bleibt eben immer das Theater als Gesamtkunstwerk.“

 

Produktion: Sopra Arts

Fassung und Einrichtung: Nikolaus Büchel

Bühne unter Verwendung einer Arbeit von: Jürgen Messensee

Klaviereinspielung: Paul Gulda

Musikalische Einrichtung: Matthias Bauer

Kostüme: Moana Stemberger

Posdnyschew: Nikolaus Büchel

Geigerin: Theresa Lier

Rohübersetzung und Textsupervising: Dr. Jenny M. Alwart

Textcoaching und Regiemitarbeit: Laura Tetzlaff, Leila Müller, Christine Knecht

 

weitere Vorstellungen: Fr. 14.9., Sa. 15.9., sowie

täglich Di. 18.9. bis Sa. 22.9. inklusive).

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 23 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

NÄCHTLICHE PARALLELWELTEN -- Wiederaufnahme "Rusalka" von Antonin Dvorak in der Staatsoper STUTTGART

In der subtilen Regie von Bastian Kraft (Bühne: Peter Baur; Kostüme: Jelena Miletic) wird der schöne Schein im Scheinwerferlicht hervorgehoben. Hinzu kommen die raffinierten Video-Effekte von Sophie…

Von: ALEXANDER WALTHER

DAS GEHEIMNIS DER VERWANDLUNG -- "Lear" von William Shakespeare im Schauspielhaus Stuttgart

Goethe hat kritisiert, dass Lear in Shakespeares Stück die törichte Forderung an seine Töchter hat, ihm ihre Liebe zu bezeugen. Falk Richter hat in seiner Inszenierung gerade diese Szene zu einem…

Von: ALEXANDER WALTHER

FEURIGE MOTIVE -- Camille Saint-Saens' komplette Violinkonzerte bei Berlin Classics

Die junge chinesische Geigerin Leia Zhu beschreibt ihre Beziehung zu den Werken von Saint-Saens als eine lebenslange Entdeckungsreise. Jedes Mal, wenn sie ein Konzert spiele, versuche sie es neu zu…

Von: ALEXANDER WALTHER

DIE MYSTERIEN DES GROSSEN MAKABREN -- SWR Symphonieorchester unter Ingo Metzmacher mit Patricia Kopatchinskaja im Beethovensaal der Liederhalle/STUTTGART

Cluster, reizvolle Tremoli und Klangfarben beeindruckten die Zuhörer bei "Lontano" für großes Orechester von György Ligeti mit dem SWR Symphonieorchester unter Ingo Metzmacher. Lineare und klangliche…

Von: ALEXANDER WALTHER

WECHSELSPIEL DER STIMMUNGEN -- 5. Kammerkonzert "Nordlichter" des Staatsorchesters Stuttgart im Mozartsaal der Liederhalle STUTTGART

Die Natur spielt in den Kompositionen des lettischen Komponisten Peteris Vasks eine große Rolle. In seinem 1977 geschriebenen ersten Bläserquintett erkennt man dies sehr deutlich. Anklänge an Sibelius…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑