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Uraufführung: "Die Judith von Shimoda" von Bertolt Brecht in Wien

Premiere: 11. September 2008 um 19.30 Uhr, Theater in der Josefstadt

Nach einem Stück von Yamamoto Yuzo, in Zusammenarbeit mit Hella Wuolijoki,

Rekonstruktion einer Spielfassung von Hans Peter Neureuter

 

Erst war sie eine Geisha, dann wurde sie eine Heldin. Danach war es aus mit ihr.

Ihr blieben Einsamkeit und Alkohol - der Dank des Vaterlandes. Sie hatte Japan vor amerikanischen Kanonenkugeln gerettet. Am Ende flogen Okichi nur noch die Fetzen um die Ohren. Deshalb stellt Bertolt Brecht in seinem Stück die bange Frage: Was bloß macht die Heldin nach der Heldentat?

Man hatte gedacht, Brechts Werk sei bis auf die letzte Seite auch im Theater durchdekliniert. Aber da wäre noch "Die Judtih von Shimoda", die Geschichte einer Heldin aus dem Volk, auf die er im finnischen Exil stieß. Der japanische Dramatiker Yamamoto Yuzo hatte ihr ein Stück gewidmet, und Brecht hat es zusammen mit der finnischen Schriftstellerin Hella Wuolijoki bearbeitet: Rahmenhandlung, fünf Szenen, den Rest in einer konservierenden Übersetzung.

 

Eine Brecht-Uraufführung! Aber die Zeiten der Brecht-Uraufführungen liegen weit zurück, und jetzt ist keine Ära für Lehrstücke mehr. Was gibt es noch zu erklären oder zu durchschauen? Die Frechheit der Klarheit hat begonnen. Ein Brecht-Theater für heute kann nicht mehr nur das System dahinter zeigen, es geht um die Illusionen und das Leiden davor. Die Geisha ist zwar einerseits ein Beispiel, andererseits und vor allem aber eine Frau mit einem Schicksal, mit Mut, mit Illusionen, konfrontiert mit dem ganzen Katzenjammer unseres Lebens. Der Rest vom klassischen Brecht: der Kommentar, die möglicherweise hilflose Geste des Aufklärens.

Helmut Schödel

 

Zum Inhalt

 

Der japanische Politiker Akimura lässt für seine westlichen Besucher die ersten Szenen eines Stückes über die historische Heldentat der Geisha Okichi aufführen. Doch die Gäste geben sich nicht mit der Erklärung zufrieden, die Heldin habe einfach ihre Tat vollbracht und sei danach wieder in der Masse verschwunden. Szene für Szene fordern sie, dass die Handlung fortgesetzt und die Wahrheit über Okichis gesamtes Schicksal gezeigt wird:

 

Mitte des 19. Jahrhunderts versucht die USA, Japan den Freihandel aufzuzwingen. Weil das Gesetz Kontakte der Bevölkerung mit Ausländern verbietet, hat der amerikanische Konsul Schwierigkeiten, Dienstpersonal zu rekrutieren. Nachdem ihm die japanischen Behörden dabei nicht behilflich sind und auch kein Vertrag mit dem Kaiser zustande kommt, droht er mit dem Angriff auf Japan durch Kriegsschiffe. Daraufhin verpflichtet die Verwaltung von Shimoda die Geisha Okichi, dem Konsul "zu Diensten" zu sein. In der entscheidenden Nacht vor dem Angriff rettet Okichi ihre Heimatstadt, indem sie dem kranken Konsul Milch verschafft und ihn dadurch so beschwichtigt, dass er die schon beschlossene Beschießung aufgibt. Obwohl Okichi Shimoda gerettet hat, wird sie vom Staat fallen gelassen, da das japanische Gesetz verbietet, Kuhmilch zu melken und zu trinken. Die Verachtung ihrer Landsleute gegen eine "Ausländerhure" lassen sie zum Alkohol greifen, ihre Ehe geht in die Brüche und sie verarmt zusehends. Jahre später ist aus ihrer Tat ein Mythos geworden: Ein Straßensänger lobt eine reine, heldenhafte Okichi, die es so nie gab.

 

Die Judith von Shimoda - der Titel bezieht sich auf die biblische Geschichte von Judith und Holofernes - ist ein bisher noch weitgehend unentdecktes Stück, an dem Brecht 1940/41 mit der finnischen Schriftstellerin Hella Wuolijoki arbeitete. Die Grundlage des Stückes war ein 1930 veröffentlichtes Drama des japanischen Autors Yamamoto Yuzo (1887 - 1974), in dem die historisch belegte Geschichte der japanischen Sängerin und Geisha Okichi erzählt wird. In Brechts Nachlass fanden sich nur fünf von elf geplanten Szenen der Bearbeitung, doch der Nachlass von Hella Wuolijoki enthielt eine finnische Gesamtfassung des Stückes, aus der Hans Peter Neureuter eine Spielfassung rekonstruierte.

 

Regie

Heribert Sasse

Bühnenbild und Kostüme

Amra Bergman

Musik

Michael F. Kienzl

 

Okichi

Mavie Hörbiger

Akimura, japanischer Zeitungskönig und Politiker

Peter Moucka

Clive, englischer Orientalist

Friedrich Schwardtmann

Ray, amerikanische Journalistin

Elfriede Schüsseleder

Kito, japanischer Dichter

Mario Hellinger

Der Regisseur des Stücks

Heribert Sasse

Townsend Harris, Generalkonsul der USA

Peter Kern

Henry Heusken, sein Dolmetscher und Privatsekretär

Paul Matic

Inoue Shinano-no-Kami, Mitglied des Magistrats

Alexander Strömer

Makamura Deva-no-Kami, Mitglied des Magistrats

Hans Wolfgang Pemmer

Wakana Miosaburo, Polizeioffizier

Thomas Groß

Matsumura Chushiro, Polizeioffizier

Martin Oberhauser

Saito, Polizeibeamter, später Exzellenz

Heinz Trixner

Fürst Isa

Wolfgang Klivana

Tsurumatsu, Okichis Verlobter

Erich Altenkopf

Omoto, Okichis Schwester

Franziska Singer

Ofuku, Okichis Freundin

Silvia Meisterle

Ein Teehausbesitzer

Wolfgang Klivana

Oshimo, eine Kundin Okichis

Sarah Wimmer

Osai, Tsurumatsus Geliebte

Eva Mayer

Erster Stadtverordneter

Paul Matic

Zweiter Stadtverordneter

Alexander Strömer

Kamekichi, weitläufiger Verwandter Okichis

Wolfgang Klivana

Kamekichis Begleiterin

Eva Mayer

Ein Straßensänger

Erich Altenkopf

in weiteren Rollen

Eva Mayer

Franziska Singer

Sarah Wimmer

Thomas Groß

Emanuel Kastner

Kevin Leppek

Martin Oberhauser

Hans Wolfgang Pemmer

 

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