Tobias Staab stellt diese Fragen in einem Szenario, das durch eine starke sinnliche, materielle Komponente besticht. Seine beiden Performer*innen tanzen über weite Strecken „pur“ und werden am Ende bis an die Grenzen des physisch Machbaren gehen. Gleichzeitig interagieren sie via Motion Capturing mit Technologien, die ebenfalls an den Grenzen des heute Realisierbaren operieren. Die Verständigung zwischen menschlichen Körpern und digitalen Gottheiten erfolgt in Echtzeit. Sie wird nicht nur sichtbar in den eindrucksvollen 3D-Avataren von Luis August Krawen, die durch die Tänzer*innen auf der Kuppel des Planetariums bewegt werden.
Sie findet – und das ist das Besondere dieser immersiven Tanz-Theater-Performance – in gleichem Maße einen akustischen Ausdruck. Denn auch die musikalische Komposition ist im Zusammenspiel mit Algorithmen entstanden. Der Sound wandert dabei zwischen den 64 Speaker-Boxen des Raumklangsystems, die den Rand der Hemisphäre des Planetariums umgeben. Doch so vielfältig die Klänge auch sein mögen – die Komposition geht maßgeblich auf eine menschliche Stimme zurück: die Stimme von Sandra Hüller. Gemeinsam mit Tobias Staab ist sie Mitglied im Performance-Kollektiv FARN..
In einer langen Aufnahme-Session sprach und sang die Schauspielerin bereits im September 2022 Texte ein. Zum einen waren dies Dialoge, die Tobias Staab mithilfe von Chatbots verfasst hatte, auf der Basis des von OpenAI entwickelten GPT-3 Sprachproduktionssystems. Außerdem las sie eine literarische Vorlage, die Erzählung Die kreisförmigen Ruinen von Jorge Luis Borges. Dort erträumt ein Schamane einen Sohn – und will ihn davor bewahren als künstliches Phantom erkannt zu werden. Die Aufnahmen boten auch das Ausgangsmaterial für die Spatial-Sound-Komposition von Benedikt Brachtel – ein Organismus, der mit Sandra Hüllers Stimme atmet, spricht und singt.
AUTONOMOUS AVATAR. Das künstlerische Team
Tobias Staab arbeitet als freischaffender Regisseur, Dramaturg und Kurator. Als Dramaturg arbeitete er unter anderem an den Münchner Kammerspielen, für die Ruhrtriennale und die Opera Vlaanderen in Antwerpen. Mit dem Choreographen Richard Siegal gründete er 2016 die Tanzkompanie Ballet of Difference. Außerdem ist er Mitglied des Performance-Kollektivs FARN.. Als Regisseur entwickelt er – oftmals in einer kollaborativen Praxis mit anderen Künstler*innen – transdisziplinäre Performances zwischen Musik, Tanz, Film und Installation. Zusammen mit Richard Siegal führte er Co-Regie bei der interaktiven Streaming-Performance All for One and One for the Money, die während der Pandemie online Premiere feierte. Gemeinsam mit dem Tänzer Corey Scott-Gilbert und dem Videokünstler Krsn Brasko co-inszenierte er den Tanzfilm Work, der im April 2021 auf ARTE veröffentlicht wurde. Seine jüngste Video-Arbeit TRANS CORPORAL FORMATIONS entstand im Frühjahr 2021 als 5-Channel-Video-Installation. In Zusammenarbeit mit dem Filmkünstler Julian Rosefeldt schrieb Tobias Staab am Drehbuch von dessen neuer Video-Installation Euphoria, die im August 2022 im Rahmen der Ruhrtriennale Premiere hatte. Mit der niederländischen Künstler*in Lotte van den Berg bereitet er derzeit sein Opern-Regiedebüt an der Bayerischen Staatsoper vor. In Bochum schrieb und inszenierte Tobias Staab mit AFTER WORK – A Requiem for the Working (Wo)Man (2020) und O, Augenblick (2019) bereits Arbeiten am Schauspielhaus.
Performance
Regie, Konzept und Text: Tobias Staab
Performance: Corey Scott-Gilbert, Dasniya Sommer
Stimme und Gesang KI: Sandra Hüller
Choreographie: Tobias Staab in Zusammenarbeit mit den Performer*innen
3D-Design: Luis August Krawen
Bühnenbild und Konzept: Nadja Sofie Eller
Musik: Benedikt Brachtel
Kostüme: Annika Lu Hermann
Licht: Matthias Singer
Fulldome Support: Tobias Wiethoff
Creative Developer / Motion Capturing: Warja Rybakova
weitere Vorstellung: Sonntag, 4. Dezember 2022 um 20:00 Uhr
Eine Tourversion für Tanz- und Theaterbühnen ist in Arbeit.