Unfähig, sich den ökonomischen Zwängen der Gegenwart anzupassen, bleibt die Ranjewskaja der Vergangenheit verhaftet und sieht ihrem schleichenden Bankrott tatenlos entgegen. Der Kaufmann Lopachin, Sohn eines ehemaligen Leibeigenen, erwirbt schliesslich Gut und Kirschgarten.
Tschechows 1904 uraufgeführte Komödie «Der Kirschgarten» thematisiert auf vielschichtige Weise die gesellschaftlichen Umbrüche, denen das Bürgertum ausgesetzt ist. Im Mittelpunkt steht die Gutsbesitzerin Ranjewskaja, die sich der schleichenden Ökonomisierung aller Lebensbereiche verweigert. Inwiefern kann man sagen, Ranjewskaja steht für uns alle?
In jedem von uns steckt etwas, was auch Ranjewskaja bewegt. Sich neuen Gegebenheiten anzupassen, ist für jeden mit Chancen und Risiken versehen. Das individuelle Leben und die gesellschaftlichen Zusammenhänge verändern sich stets, von Tag zu Tag. Wer sich an diesen Wandel leichter anpassen kann, verschafft sich ein besseres Leben, breitere Möglichkeiten des eigenen Werdegangs. Wer das nicht schafft, katapultiert sich leicht ins Abseits. Aber es gibt noch einen anderen Aspekt, den ich sehr wichtig finde. Wir sind den Umwälzungen nicht zwangsläufig hilflos ausgeliefert, sondern die Art und Weise, wie wir damit umgehen, verschafft uns eine gewisse Autonomie. In konkreten Situationen kann man das Opfer sein, aber man kann auch zum Schöpfer seines eigenen Lebens werden. Nicht immer, aber oftmals geht es auch um eine individuelle Wahl: Ist man vorbereitet oder nicht und welche Konsequenzen zieht man für das eigene Leben?
Der Kaufmann Lopachin, Sohn eines ehemaligen Leibeigenen, der schliesslich den Kirschgarten erwirbt, ist der Vertreter einer neuen, aufstrebenden Schicht. Würden Sie sagen, er ist der Bote einer neuen Zeit?Leute wie Lopachin sind immer die Boten einer neuen Zeit. Aber wie definiert man die Zukunft, was wird sie bringen, Besseres oder Schlimmeres? Und wo wird man selber seinen Platz finden? Das sind die Fragen, auf die jeder von uns eigene Antworten finden muss. Lopachin verkörpert eine neue Energie, er ist ein Aufsteiger, aber es gibt etwas Paradoxes in seinem Benehmen und seinen Taten. Fast alles, was er tut, ist von dem Wunsch bestimmt, den anderen möglichst ähnlich zu werden. Er strebt nach Neuem und möchte gleichzeitig so sein wie die alte Elite.
Das Luzerner Theater kooperiert zu Beginn der Spielzeit mit dem schweizweiten Festival CULTURESCAPES, das den Kulturaustausch zwischen der Schweiz und anderen Ländern fördert. Passend zum diesjährigen Festival-Schwerpunkt Balkan 2013 wirft ein serbisches Inszenierungsteam mit Schauspielern des Luzerner Ensembles und serbischen Akteuren einen heutigen Blick auf Anton Tschechows «Kirschgarten». Der Regisseur Predrag Štrbac widerspiegelt auf vielschichtige Weise gesellschaftliche Umbrüche. Predrag Štrbac, 1970 geboren, gehört zu den innovativsten und bekanntesten Regisseuren Serbiens. Seit 1998 arbeitet er an wichtigen Theatern der Region und ist unter anderem Hausregisseur am Serbischen Nationaltheater Novi Sad.
Deutsch von Angela Schanelec nach einer Übersetzung von Arina Nestieva
Predrag Štrbac (Inszenierung), Vesna Popović (Bühne), Dragica Laušević (Kostüme), Stefan Paul Goetsch (Musik), Cecilia de Madrazo Abad (Choreografie), Peter Weiss (Licht), Marija Karaklajić (Künstlerische Mitarbeit), Carolin Losch (Dramaturgie)
BESETZUNG
Sonja Damjanović, Jörg Dathe, Milan Kovačević, Juliane Lang, Bettina Riebesel, Horst Warning, Samuel Zumbühl
PRODUKTIONSTEAM
Alle Vorstellungen
12.10. | 17.10. | 20.10. | 27.10. | 30.10. | 2.11. | 8.11. | 14.11. | 20.11. | 22.11. | 24.11. | 30.11.2013