In Chinchilla Arschloch, waswas der Theatergruppe Rimini Protokoll erzählt Christian Hempel zum Beispiel davon, dass seine Nachbarn damit drohten, ihm das Jugendamt auf den Hals zu hetzen, weil sie seine Tourette-bedingten Schimpfwörter persönlich nahmen. Mit auf der Bühne: der Frankfurter Benjamin Jürgens und der hessische Landespolitiker Bijan Kaffenberger, Menschen von nebenan.
Wenn die Heimat zwar schön, aber erdrückend wirkt, stellt sich oft die Frage: Gehen oder bleiben? So auch für Die Frauen vom Meer des RambaZamba Theaters, eine Stück-Uraufführung von Olga Bach mit einem All-Star-Team um Theater- und Filmlegende Angela Winkler. Ihre Heimat ist ein Haus, ein Geflecht von Geschichte und Familie, aus dem sie nicht so einfach ausbrechen können. Da sind die Performerinnen von Theater Thikwa und dem Künstlerinnenkollektiv hannsjana in Diane for a day wesentlich weiter: Witzig und souverän übernehmen sie die Männerrollen auf der Bühne. Und in Don’t Worry, Be Yoncé verneigen sich Stephanie van Batum und Stacyian Jackson vor dem lässigen Feminismus der Popkönigin Beyoncé – eine augenzwinkernde, rasante Anleitung in zehn Schritten, wie der Star zu werden. Funktioniert übrigens auch für Männer.
Eine Heimaterkundung ganz eigener Art haben Ant Hampton und Rita Pauls unternommen. Sie fragten Menschen in Deutschland:„Was, denken Sie, sollte einmal gesagt werden?“ Die Antworten ergeben eine teils amüsante, teils gruselige Bestandsaufnahme deutscher Befindlichkeiten.
Gibt es eigentlich noch die Willkommenskultur? Die kanadische Gruppe Joe Jack et John schildern in Dis Merci die Vorbereitungen zu einer Willkommensparty, um Geflüchteten zu helfen, im neuen Land eine Heimat zu finden. Bei den vielen Hakeleien und Machtkämpfen der selbsternannten Menschenfreunde zeichnet sich in dieser schwarzhumorigen Komödie das Bild einer egoistischen Gesellschaft ab, die sich gerne einen freundlichen Anstrich gibt.
Heimat hat viel mit Geschichte zu tun. Auch mit ihren dunklen Seiten. Eine Auseinandersetzung damit wagt i can be your translator in Das Konzept bin ich. Die Gruppe mit behinderten und nicht behinderten Performer*innen hat sich auf sehr unterschiedliche Arten dem Thema Euthanasie in Deutschland genähert. Ähnlich kritisch setzt sich die Bühne für Menschenrechte in ihren NSU-Monologen mit Heimat und Geschichte auseinander. Das Dokumentartheater erzählt direkt und berührend von Menschen, deren Heimat sie plötzlich wie Bürger zweiter Klasse behandelte.
Eine Erfahrung, die auch etliche Menschen mit Behinderung in ihren Heimatländern und Gemeinden machen. Jackie Hagan hat für ihr Solo This is Not a Safe Space Beispiele dafür gesammelt, was Menschen mit Behinderung schlimmstenfalls erwartet: Behördenterror, Papierkrieg, ein Gerangel um jede einzelne Maßnahme. Peeling der britischen Dramatikerin Kaite O’Reilley zeigt, dass in lokalen Geschichten oft Tragödien griechischen Ausmaßes stecken. Während ihre Protagonistinnen mit den Rollen fremdeln, die sie spielen müssen, haben die Performer*innen in Into the Light vom Hijinx Theatre ihre Heimat auf der Bühne gefunden. Dass man manchmal die Heimat verlassen muss, um ihre Werte in sich selbst zu finden, davon erzählt das „verhinderte Musical“ Oz, Oz, Oz! (W)Rap the Wizard! vom Theater Thikwa. Das gilt auch für die Journalistin in Dennis Seidels neuem Stück Zehn Meter in den Wilden Westen, die sich hemmungslos in ihrer Romanhandlung von schnell schießenden Cowgirl-Heldinnen verheddert. Auch der Western ist ja eine Art Heimatroman (oder -film) – und zugleich schönste Fiktion.
Wo wir uns beheimatet fühlen, wollen wir uns aber auch frei bewegen können. Da ist gerade an den Theatern oft viel Luft nach oben. Im diesjährigen Festival-Symposium Theater barrierefrei gestalten berichten Expert*innen mit und ohne Behinderung von ihrer gelebten Erfahrung mit der barrierefreien Gestaltung von Theater, diskutieren über Audiodeskription, Gebärdensprachdolmetschen, Leichte Sprache, Rollstuhlzugänglichkeit und Relaxed Performances.
Wie immer wird es auch darüber hinaus Einführungen, Gespräche und die Möglichkeit geben, die Abende gemeinsam ausklingen zu lassen. Schauen, diskutieren, feiern Sie mit!
Zum 10-jährigen Jubiläum der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention lädt Deutschlands ältestes inklusives Theaterfestival zum Symposium über Barrierefreiheit im Theater. Am 20. und 21. September können Interessierte mit und ohne Behinderungen in Vorträgen, Workshops, in den Pausen und beim Experten-Speed-Dating lernen, sich austauschen und konkrete Vorschläge ausarbeiten.
Zu einer guten Heimat gehört die Barrierefreiheit. Die Festivalveranstaltungen finden an barrierearmen Orten in entspannter Atmosphäre statt. Wie immer gibt es Einführungen, Gespräche und die Möglichkeit, die Abende gemeinsam ausklingen zu lassen. Hören, schauen, diskutieren, feiern Sie mit!
Alle Infos www.grenzenlos-kultur.de