Wie entsteht ein Kunstwerk? Antoine Jully gibt in seiner Choreographie von "Inside" einen Einblick in den künstlerischen Schaffensprozess und beantwortet diese Frage auf unge¬wöhnliche Weise. Ein Künstler sitzt an einem Zeichentisch und führt eine Tänzerin als Pinsel über ein imaginäres Stück Papier. Bald jedoch werden die Bewegungen abstrakter. Die Begrenzung der Malerei auf die Fläche wird hier aufgelöst und findet eine Erweiterung in den Raum. Auf einem Video erscheinen Farbkleckse wie bei den Drippings von Jackson Pollock. Die Farben Gelb, Rot, Blau und Grün werden tänzerisch umgesetzt. Ein Stück mit artistischen Einlagen, virtuos getanzt.
Nach diesem jazzig-beschwingten Einstieg in einen abwechslungsreichen Ballettabend geht es ebenso heiter weiter in "The old man and me". Hier geht jedoch nicht ein alter Mann zum Fischen, wie es in J.J. Cales Lied heißt, sondern eine junge Frau auf Männerfang. Hans von Manen hat das Stück 1996 für zwei Tänzer kreiert. Es erzählt die Geschichte eine Paares vom anfänglichen Finden und Verführen, über die allmähliche Annäherung, die Freude der Gemeinsamkeit und das Ausgefülltsein - bis zum Streit, Abwenden und Sich-Trennen. Das hat Hans von Manen spielerisch leicht dargestellt, Marlúcia do Amaral und Martin Schläpfer zeigen es in Düsseldorf überzeugend: vom anfänglichen scheinbaren männlichen Desinteresse und der weiblich-koketten Überzeugungkraft über das heitere gegenseitige Aufpumpen wie bei einem Luftballon, das die Verliebtheitsphase widerspiegelt, in der man gemeinhin zu solchen "Albernheiten" aufgelegt ist, bis zum heftigen Streiten, zum Abstandhalten, weil man sich nichts mehr zu sagen hat und zur schließlichen Trennung. Einfach zauberhaft, mit welch virtuoser Leichtigkeit Schläpfer und do Amaral dieses Stück tanzen.
Das 2009 uraufgeführte Stück "Lontano" von Martin Schläpfer zur Musik von György Ligeti ist von ihm als Gegenstück zum nachfolgenden "Agon" von George Balanchine konzipiert. In Auseinandersetzung mit diesem Stück findet Schläpfer eine eigene Formsprache, die sich zwar am klassischen Ballett orientiert, - so wird etwa auch auf Spitze getanzt -, aber doch ein modernes Vokabular entwickelt und weit über Balanchines Konzept hinausgeht. Dabei fallen besonders die Trios auf, die mit zu den eindrucksvollsten Passagen von "Lontano" zählen.
Zu George Balanchines "Agon" hat Igor Strawinsky eigens die Musik geschrieben. Es sind einzelne kurze Szenen, die ein Spotlight auf das klassische, von Balanchine jedoch erweiterte, Balletrepertoire werfen. Der Tanz tritt in Dialog mit der Musik, ohne sich ihr zu unterwerfen. 12 Tänzer versammeln sich in wechselnden Konstellationen, nicht um in Wettstreit (so die Übersetzung des Titels) miteinander zu treten, sondern im Streben nach tänzerischer Perfektion. Und diese tänzerische Perfektion ist bei dem Corps de Ballet des Düsseldorfer Opernhauses in höchstem Maße vorhanden. So rief auch dieser zwölfte Balletabend wahre Begeisterungstürme hervor.
Inside (Uraufführung)
Musik: Cantabile aus dem Konzert für Violine und Streichorchester („Distant Light“) von P?teris Vasks und Capriccio für Violoncello und Orchester von Jan Novák
Choreographie, Bühne, Kostüme und Video: Antoine Jully
Musikalische Leitung: Dante Anzolini, Licht: Volker Weinhart
Tänzerinnen: Sachika Abe, Ann-Kathrin Adam / Anna Tsybina, Camille Andriot, Doris Becker, Mariana Dias, Feline van Dijken, Cristina Garcia Fonseca, Yuko Kato / Wun Sze Chan, So-Yeon Kim, Nicole Morel, Louisa Rachedi
Tänzer: Christian Bloßfeld / Paul Calderone / Boris Randzio, Paul Calderone / Martin Chaix / Helge Freiberg, Martin Chaix / Florent Cheymol / Philip Handschin, Florent Cheymol / Marquet K. Lee, Marquet K. Lee / Sonny Locsin, Sonny Locsin / Bruno Narnhammer, Bruno Narnhammer / Bogdan Nicula, Bogdan Nicula / Christian Bloßfeld, Alexandre Simões, Remus Sucheana, Pontus Sundset, Maksat Sydykov
Violoncello: Doo-Min Kim / Nikolaus Trieb
Orchester: Düsseldorfer Symphoniker
THE OLD MAN AND ME
Musik: „The Old Man and Me“ von J. J. Cale, „Circus Polka“ von Igor Strawinsky, Adagio (2. Satz) aus dem Klavierkonzert Nr. 23 A-Dur KV 488 von Wolfgang Amadeus Mozart
Choreographie:Hans van Manen
Musikalische Leitung: Dante Anzolini
Bühne und Kostüme: Keso Dekker
Licht: Joop Caboort
Einstudierung: Mea Venema
Klavier: Cécile Tallec
Tänzerin: Marlúcia do Amaral, Tänzer: Martin Schläpfer
Orchester: Düsseldorfer Symphoniker
LONTANO
Musik: „Lontano“ für Orchester von György Ligeti
Choreographie: Martin Schläpfer
Musikalische Leitung: Dante Anzolini
Bühne und Kostüme: Keso Dekker, Licht: Bert Dalhuysen
Tänzerinnen: Yuko Kato / Ann-Kathrin Adam, Julie Thirault / Wun Sze Chan
Tänzer: Andriy Boyetskyy / Philip Handschin, Marquet K. Lee / Bruno Narnhammer, Sonny Locsin / Boris Randzio, Maksat Sydykov / Pontus Sundset
Orchester: Düsseldorfer Symphoniker
AGON
Musik: „Agon“ von Igor Strawinsky
Choreographie:George Balanchine
Musikalische Leitung: Dante Anzolini
Licht: Volker Weinhart
Einstudierung: Patricia Neary
Tänzerinnen und Tänzer: Claudine Schoch, Marcos Menha, Louisa Rachedi, Alexandre Simões, Doris Becker, So-Yeon Kim, Paul Calderone, Jackson Carroll, Aisha L. Arechaga, Virginia Segarra Vidal, Anna Tsybina, Irene Vaqueiro
Orchester: Düsseldorfer Symphoniker
Premiere 16. Juni 2012 im Opernhaus Düsseldorf