Robert Schumann nimmt sich mit seinem Schaffen für die Bühne auf den ersten Blick wortkarg und unzugänglich aus: Wohl gibt es die große Schauspielmusik zu Lord Byrons "Manfred" oder die konzertant gedachten "Szenen aus Goethes Faust". Und auch die beiden Oratorien "Das Paradies und die Peri" und "Der Rose Pilgerfahrt" reflektieren - ebenso wie einige Konzertouvertüren und die bedeutenden Chorballaden - dramatische Situationen und Entwicklungen. Aber zu einem eigenständigen musikdramatischen Werk gelangte der allen Selbstzeugnissen nach so Opernbesessene nur ein einziges Mal - in seiner 1850 uraufgeführten Oper "Genoveva". Ganze zwei Vorstellungen folgten der vom Komponisten geleiteten Premiere. Dann gesellte sich Schumanns Vierakter zu jenen prominenten Opernleichen, um die es zwar von Zeit zu Zeit wieder lebendig wird, ohne dass die dabei unternommenen Wiederbelebungsversuche von nachhaltigem Erfolg gekrönt wären.
Dabei gibt es seit der Uraufführung eigentlich keinen Kritiker, der den außergewöhnlichen, ja genialen Rang der "Genoveva"-Musik ernsthaft in Abrede stellen würde. An der Beurteilung des Bühnenwerks als Ganzem jedoch scheiden sich bis heute die Geister. Für die einen gilt, was der einst gefürchtete Wiener Kritikerpapst Eduard Hanslick 1877 so auf den Punkt brachte: "Leider krankt die Musik an dem einen unheilbaren Uebel, undramatisch zu sein. Schumann's ganze Natur, auf ein tief innerliches Arbeiten und ein höchst subjectives, bis zur Grübelei verfeinertes Empfinden gestellt, war undramatisch, unfähig, sich an die Charaktere eines Dramas so zu entäußern, dass diese als lebendige, scharf ausgeprägte Personen vor uns stehen und gehen." Kein Almaviva oder Leporello also, aber auch kein Tannhäuser oder Lohengrin. Die anderen (eher - noch? - eine Minderheit) halten es mit dem Dirigenten Nikolaus Harnoncourt, der das Werk anlässlich seiner fulminanten Neueinspielung (1996) - trotz oder gerade wegen der angeblichen Mängel - als Meilenstein der Gattungsentwicklung, ja sogar als "Neuerfindung der Oper" schlechthin bezeichnete.
Ob "Genoveva" nun als schöne, aber letztendlich unrettbare "Opernleiche" (Schneider) oder als "Hauptwerk der deutschen Opernromantik" (Schreiber) einzustufen ist, kann hier nicht entschieden werden. Wohl aber gilt es, an ein Bühnenwerk zu erinnern, in das sein Schöpfer alle ihm zu Gebote stehende Kunstanstrengung eingebracht hat. Dabei sollte es gut zehn Jahre dauern, ehe der von Schumann seit etwa 1840 geplante Beitrag zur Gattung Oper zu tatsächlicher Aufführungsreife gedieh. Die verschiedensten weltliterarischen Vorlagen wurden in Betracht gezogen, darunter auch fast alle Stoffe, die später von Richard Wagner komponiert wurden. Ein "Tristan-und-Isolde"-Projekt brachte es sogar bis zur Prosafassung des Textbuchs durch ebenjenen Robert Reinick, der dann auch am Libretto zur "Genoveva"-Oper mitwirkte.
Ebenfalls erst recht spät im Sande verliefen die Vorarbeiten für eine Oper nach Lord Byrons "Corsair" (1814). Auf den ihm geläufigen Genoveva-Stoff wurde Schumann durch Ludwig Tiecks Trauerspiel "Leben und Tod der heiligen Genoveva" (1799), vor allem aber durch Friedrich Hebbels Tragödie "Genoveva" (1841) aufmerksam. Auf den im Tagebuch unter dem 1. April 1847 vermerkten "Entschluss" zur Vertonung folgten sogleich die ersten Skizzen für die Ouvertüre. Während die Komposition zügig voranschritt, kam es zwischen Schumann und Reinick immer wieder zu Misshelligkeiten über das Textbuch. Nachdem ein Versuch, Hebbel selbst als Autor zu gewinnen, fehl geschlagen war, blieb es dem Komponist vorbehalten, letzte Hand ans Libretto zu legen.
Die seit dem Oktober 1848 beim Leipziger Stadttheater vorliegende Partitur musste jedoch noch anderthalb Jahre auf ihre Stunde warten und wurde dabei immer wieder zugunsten erfolgversprechenderer Neuproduktionen von Verdi oder Meyerbeer zurückgestellt. Möglich, dass dabei bereits jene Vorbehalte eine Rolle spielten, die "Genovevas" Bühnenleben von Beginn an begleitet haben. Umso erfreulicher für Schumann, dass der von ihm selbst geleiteten Uraufführung am 25. Juni 1850 dann ein recht beachtlicher, wenn auch nicht dauerhafter Erfolg beschieden war. Erst in den 70er und 80er Jahren des 19. Jahrhunderts gelangte die Oper zu weiterer Verbreitung nicht nur auf den deutschen Bühnen, sondern auch im außerdeutschen Sprachraum, ohne allerdings jemals den Sprung ins Repertoire geschafft zu haben.
So etablierte sich schon bald jene konzertante Aufführungsform, wie sie seitdem zur Regel in Sachen "Genoveva" geworden ist. Erst die historisierende Aufführungspraxis und das Interesse für vergessene Partituren verschafften Schumanns "Genoveva" in neuerer Zeit jene Aufmerksamkeit, die ihr gebührt. Als wichtigste Bühneninszenierung des Werks im 20. Jahrhundert gilt übrigens die von Gustav Gründgens (Regie) und André Cluytens (Dirigent) betreute Produktion beim Maggio Musicale Fiorentino von 1951. Bemerkenswert auch die von Achim Freyer erarbeitete Inszenierung bei den Wiener Festwochen 2000 mit Gabriele Ferro am Pult.
Blickt man auf die Handlung des Stücks, so scheinen eigentlich alle Elemente beisammen, um einen zünftigen Opernerfolg zu gewährleisten: Begehren, Liebe, Eifersucht, Mord, Rache, dramatische Zeitumstände. Dabei ist es ein gewisser Golo, der mit ungezügeltem Trieb- und Gefühlsleben die Handlung vorantreibt. Eigentlich soll er ja auf die schöne Gattin seines Herrn, des Pfalzgrafen Siegfried, aufpassen, während dieser an der Seite anderer christlicher Ritter mit den feindlichen Sarazenen beschäftigt ist. Doch sogleich nach dessen Abreise kann er es nicht lassen, die ohnmächtig hingesunkene Genoveva zu küssen. Als wenig später ein ziemlich drastischer Verführungsversuch misslingt, schlägt Gier in Rachsucht um.
Die tugendhafte Schöne fällt einer raffiniert eingefädelten Intrige zum Opfer und steht unversehens vor aller Welt scheinbar als treulose Ehebrecherin da. Eine dubiose Amme, teuflischer Magie ergeben, spielt ihr eigenes Spiel und gießt Öl ins Feuer, indem sie den ahnungslosen Ehemann auf die Schande im eigenen Hause aufmerksam macht. Was folgt, ist die Eifersuchtsraserei des vermeintlich Gehörnten, aber auch die Zuversicht Genovevas, die, in abgeschiedene Waldeinsamkeit verschleppt, betend ihr Schicksal erwartet. Durchs Eingreifen der Geisterwelt schließlich kommt über einige Umwege und in letzter Minute die Wahrheit ans Licht: Genoveva ist gerettet, die Schuldigen werden entlarvt, die Eheleute aufs Neue verbunden.
Soweit der Stoff, aus dem Schumanns Opernträume sind. "Etwas Eigenes, Einfaches, Tiefinnerliches", dabei durchaus Volkstümliches - das war es, was dem Komponist unter einer "deutschen Oper" vorschwebte. Einwände gegen das Textbuch, wie sie der bühnenerfahrene Richard Wagner vorbrachte (vor allem gegen den "unglücklich albernen dritten Akt"), ließ Schumann nicht gelten, fühlte sich dadurch eher sogar noch bestätigt. Auffallend ist auch, wie problemlos sich in der Oper zu einem fast bürgerlichen Happyend rundet, was in den Vorlagen von Hebbel und Tieck noch ganz ausdrücklich als Trauerspiel angelegt war.
Es mag sein, dass Schumann hierbei an Carl Maria von Webers "Freischütz" (1821) gedacht hat, in dem sich die glückliche Wendung ja auch erst ganz am Schluss einstellt, dort allerdings erhebliche Beklommenheit hinterlässt. Was "Genoveva" von diesem Inbegriff der deutschen romantischen Oper unterscheidet, ist (neben vielem anderen) auch der weitgehende Verzicht auf jegliche Dämonie. Zwar ist diese (vermittelt über die Hexe Margaretha und ihren Zauberspiegel) äußerlich durchaus eingreifend präsent, gewinnt jedoch kaum eigenständiges Profil. Welch' ein Gegensatz zwischen den ihr gewidmeten Passagen in Schumanns Partitur und jener grandiosen Wolfsschlucht-Szene bei Weber und ihrer bis dato unerhörten musikalischen Kühnheit!
Und noch etwas: Weber gestaltete die Ouvertüre zum "Freischütz" erst im nachhinein aus Motiven der fast abgeschlossenen Oper. Schumann verfuhr bei "Genoveva" genau umgekehrt, indem er das gesamte Musikdrama aus einem noch vor allem anderen geschriebenen Vorspiel und dessen Motiven entwickelte. Ein solcher gleichsam sinfonischer Ansatz ist symptomatisch für die musikalische Art und Weise, wie die Oper ihre Geschichte erzählt. Im Vordergrund steht letztlich das Orchester und der von ihm vermittelte Eindruck einer alles beherrschenden vorwärtsdrängenden Gefühlsentwicklung: "Das Stück ist wie eine große Symphonie mit Gesang. [...] Ich empfinde diesen symphonischen Fluss wie einen Schicksalsstrom. Die Unerbittlichkeit des Zeitablaufs in der Musik, dass man sie nie zurückdrehen, dass man nie stehen bleiben kann, wird auf diese Weise zum dramaturgischen Prinzip." (Harnoncourt) Einzelne Szenen, Situationen und Konstellation verlieren demgegenüber an Eigengewicht: "Der Text ist kein realistischer Dialog, den die Musik verstärkt und erläutert. Hier wird eine völlig neuartige Verbindung zwischen Wort und Ton versucht: Der Text ist der Auslöser für die Musik." Oder, um es noch drastischer auszudrücken: "Schumanns Musik läuft wie ein inwendiger Kommentar neben dem Außengeschehen entlang, verweigert sich diesem letztlich." (Schreiber)
"Als wenn ein Erzähler diese Vorgänge schildern würde" (Hanslick), so breitet Schumann das Geschehen aus und verzichtet dabei weitgehend auf all jene Momente, die noch für jeden Opernliebhaber das Salz in der Suppe bedeuten: Arien, Duette und Ensembles - eben die ansonsten so köstlich kostbaren Auftritte, in denen das Werk die Bühnenzeit stillstehen lässt, um einen Charakter oder eine Situation auszuloten und sich danach - wie Beifall heischend auch immer - erneut dem Geschehen zu überlassen. Schumanns vorherrschend arios-rezitativisches Verfahren dagegen verweigert sich solch anscheinend unverrückbaren Gattungsgesetzen: Alles zieht gewissermaßen auf gleicher Höhe und in nimmermüder Hurtigkeit vor dem Zuschauer vorüber, alle Details werden mit derselben Wertigkeit versehen, ehe der musikalische Fluss bei den Aktschlüssen zu seinem oft genug fast atemlosen Abschluss kommt. Ob diese Eigentümlichkeit von "Genoveva" dem musikdramatischen Unvermögen ihres Schöpfers zuzuschreiben ist oder einer bewussten "Verweigerungsgeste" gegen die konventionelle Opernmusik entspringt (Schreiber), bleibt schwer zu entscheiden. Tatsache ist jedoch, dass gerade hier die Gründe für die Probleme zu suchen sind, die Künstler und Publikum bis heute mit Schumanns einziger Oper haben.
Dies erscheint umso bedauerlicher, als die Partitur ansonsten von einem musikalischen Einfallsreichtum geprägt ist, der seinesgleichen sucht: Zu den dicht gearbeiteten sinfonischen Klängen, wenngleich sehr viel weniger spektakulär als das Wagnersche Orchester, treten Chorpartien, die meist choralartig behandelt sind. Und obwohl das Werk "ganz bewusst keine Oper für Opernsänger" sein will (Voss), sind die stimmlichen Anforderungen an die Sänger doch hoch: Gefordert ist dabei freilich nicht die große Geste, sondern jener feinfühlige und differenzierte Ausdruck, wie er vom Oratorium, mehr noch vom Kunstlied her, als dessen Meister Schumann ja gilt, bekannt ist. Besonders reizvoll in diesem Zusammenhang das von Genoveva und Golo im 2. Akt gemeinsam gesungene Lied "Wenn ich ein Vöglein wär'", das fast unverändert aus den "Drei zweistimmigen Liedern" von 1840 übernommen wurde!
Allerdings zeigt Schumann auch hier, dass es ihm nicht um eine bloß stimmungsvolle Episode zu tun war, dient doch der intime Zwiegesang als Auslöser, dem Geschehen seine dramatisch böse Wendung zu geben. Und auch die Szene Genovevas aus dem 4. Akt ("Die letzte Hoffnung schwindet") ist weit entfernt von jener Beschaulichkeit, von der die im Biedermeier verbreiteten Darstellungen der Legende (zum Beispiel von Ludwig Richter) künden. Nein, Schumanns "Genoveva" eignet sich weder als populäres Schauermärchen noch als religiöses Traktätchen oder gar als metaphysisches Erlösungsdrama. Aus Mozartschem Geist wurde sie nicht geschaffen, einer Wagner-Heroine mag sie nicht gleichen. Wer es aber versteht, sich den Reizen dieser spröden Schönen hinzugeben, wird in ihr eine Freundin entdecken, die es allemal wert ist, erobert zu werden.
Als Ausgangspunkt für die weitere Beschäftigung mit Schumanns "Genoveva" können die entsprechenden Abschnitte in "Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters" (München 1986) und Ulrich Schreibers "Kunst der Oper" (Ffm. 1988/1991/2000) dienen, denen obiger Beitrag in manchem verpflichtet ist.
In der Reihe über “Schumann und die Bühne” sind weitere Beiträge geplant über die “Schauspielmusik zu Byrons Manfred” und die “Szenen aus Goethes Faust”.