Bei den drei ausgewählten Stücken fällt auf, dass das Licht eine besondere Rolle spielt. Bei "Polyphonia", einem Stück von Christopher Wheeldon im neoklassistischen Stil zu Musik von György Ligeti, wird das Licht nach jeder der zehn Episoden für Sekunden komplett ausgeblendet. Vier Paare in dunkelbauen Kostümen treten zu Beginn und zu Ende auf, dazwischen gibt es Pas des deux, ein Männerduo, aber auch ein Solo, in vielfältigen Variationen von Hebungen und Balancepunkten. Ligetis Prinzip der Phasenverschiebung findet sich besonders ausgeprägt in der ersten Episode wieder. "Polyphonia" ist ein Stück, das Tanzgeschichte geschrieben hat, klar und trotzdem sinnlich überzeugt es durch einen hohen Grad an Ästhetik.
Beim titelgebenden Stück des Abends hat sich Demis Volpi von der 1955 entstandenen kleinen Holzskulptur "One and others" von Louise Bourgeois inspirieren lassen. Diese besteht aus dicht aneinandergedrängt stehenden, einzelnen Holzstelen, schwarz bemalt und teilweise ockerfarbig gemustert, in organischer Form, montiert auf einer Holzplinthe. Und so räumlich eingegrenzt werden auch die Tänzer und Tänzerinnen durch Lichtkegel, die zugleich Räume und Zwischenräume markieren. Das Licht ist diffus, die Tänzer und Tänzerinnen in pastell-grau changierenden Kostümen erscheinen wie durch einen vagen Nebelschleier. Das Geräusch von Lokomotiven, das mitunter in der Musik von Christos Hatzis erklingt, und die Einspielung von Kehlkopfgesang kanadischer Inuit, tragen zur milchigen, mysteriösen Atmosphäre bei. Fünf Paare suchen, umschwärmen, finden einander, versuchen sich als Einzelne zu behaupten, als Gruppe zu bestehen. Von hoher Emotionalität wird auch der Spitzenschuh zum rhythmisierenden Perkussionsinstrument.
Nach den eher besinnlichen beiden Stücken setzt sich zu ohrenbetäubender Techno-artiger Musik in "Salt womb" von Sharon Eyal und Gai Behar ein Muskelprotz in Szene. In Bodybuilder-Posen ist er schlaglichtartig ausgeleuchtet und von starker Präsenz. Dazu blendet das Licht allmählich andere sich Verausgabende auf. Pure Körperpräsenz, die bis zum Exzess herausgefordert ist. Das Sich-Verlieren im Auspowern des Körpers zu hämmernden Rhythmen um Erfahrungen von Ekstase, Rausch, Trance zu erspüren, in sich immer wiederholenden Bewegungsmustern, Menschen die wie Maschinen agieren. Eine Köperverliebtheit, die dennoch in der Gemeinschaft Aufnahme findet. Mit Ovationen wurde diese sogartige, herausfordernde, intensive Arbeit bedacht.
Ein vielfältiger Abend, der auf ganzer Linie überzeugte.
Polyphonia
Uraufführung am 4. Januar 2001, New York City Ballet
Choreographie: Christopher Wheeldon
Musik: György Ligeti
Kostüme: Holly Hynes
Licht: Mark Stanley
Einstudierung: Michele Gifford
Pianistin: Susanna Kadzhoyan
Tänzer*innen
Futaba Ishizaki, Daniele Bonelli, Paula Alves, Damián Torío,
Maria Luisa Castillo Yoshida, Eric White, Marié Shimada, Kauan Soares
one and others
Uraufführung am 13. August 2015, Ballet Nacional de Sodre, Uruguay
Choreographie: Demis Volpi
Musik: Christos Hatzis
Kostüme: Thomas Lempertz
Licht: Claudia Sánchez
Tänzer*innen
Lara Delfino, Dukin Seo, Futaba Ishizaki, Vinícius Vieira, Maria Luisa Castillo Yoshida, Nelson López Garlo, Elisabeth Vincenti, Miquel Martínez Pedro, Rose Nougué-Cazenave, Niklas Jendrics
Salt Womb
Uraufführung am 22. September 2016, Nederlands Dans Theater, Den Haag
Choreographie: Sharon Eyal, Gai Behar
Musik: Ori Lichtik
Kostüme: Sharon Eyal, Gai Behar, Rebecca Hytting
Licht: Alon Cohen
Einstudierung: Léo Lérus
Tänzer*innen
Gustavo Carvalho, Mariana Dias, Wun Sze Chan, Sara Giovanelli, Miquel Martínez Pedro, Paula Alves, Lara Delfino, Doris Becker, Norma Magalhães, Kauan Soares, Marié Shimada, Nelson López Garlo, Niklas Jendrics, Pedro Maricato, Lotte James, Charlotte Kragh, Courtney Skalnik