Und nicht nur das. Aus dem Fernseher tritt plötzlich ein Kind heraus, schwarz und halb verhungert, das sich stumm ins Wohnzimmer stellt, und sich erst recht nicht mehr wegzappen lässt.
Unerklärlich scheinen auch die Vorgänge im Klassenzimmer einer Schule: Eine Lehrerin liest ihren Schülern die Geschichte vom Rotkäppchen vor. Plötzlich verschwindet der schwächste Schüler der Klasse. Hat ihn der Wolf geholt? Oder: Ein Geschäftsmann gründet eine neue Religion und wird deren eigener Messias. Er will durch ein Menschenopfer von seinen Mitarbeitern höhere Leistungen erzwingen.
In der Schluss-Sequenz des siebenteiligen Stücks nehmen Robben im Dienste des ökologischen Gleichgewichts Rache an der Spezies Mensch. Um die Überpopulation an menschlichen Schädlingen zu dezimieren, muss irgendeine arme Robbe die Drecksarbeit machen und Menschen-Babys totschlagen.
Ein Liebespaar, das plötzlich Probleme mit seinem Ehevertrag bekommt, oder ein Unfallopfer, das vergeblich um Hilfe bittet: Esteve Soler wirft in seiner komödiantischen Szenenfolge einen eigenwilligen und sehr ironischen Blick auf den heutigen Menschen. So lustig es ist, wenn ein Elternpaar einen Riesenapfel im Wohnzimmer findet: Wenn sich am Ende herausstellt, dass ihre Kinder Kain und Abel heissen, bekommt die Sache eine existenzielle Dimension.
Schnelle, oft fragmentarische Dialoge im Pingpongstil führen den Zuschauer so rasch durch die Szenen, dass die Sache oft schon vorüber ist, bevor man richtig verstanden hat, um was es geht.
Aufführungsgeschichte
Mai 2008: Szenische Lesung am Berliner Stückemarkt
Mai 2009: Uraufführung am Bayerischen Staatsschauspiel München
Weitere Inszenierungen in Athen, New York, Madrid und am Theater Aachen
Esteve Soler wurde 1976 in L’Hospitalet de Llobregat in Katalonien geboren. Am Institut del Teatre in Barcelona studierte er Regie und Dramaturgie und gehört heute zum Autorenkreis der Sala Beckett. Soler ist Redaktionsmitglied der Theaterzeitschrift Pausa und arbeitet als Filmkritiker für die Tageszeitung Regiò 7 und den Radiosender COMRàdio. Esteve Soler lebt in Barcelona. Bisher wurden folgende Stücke von ihm aufgeführt: „Jo sóc un altre!“ am Teatre Nacional de Catalunya und „Davant de l’home“ im Rahmen der offenen Proben des Teatre Lliure zu Texten von Thomas Bernhard. Ein Jahr nach der szenischen Uraufführung in München kommt nun „Gegen den Fortschritt“ am Theater Biel Solothurn zur Schweizer Erstaufführung.
Das Regieteam
Max Merker (Inszenierung) ist in München geboren und am Bodensee aufgewachsen. Er studierte in Berlin und Freiburg i. Br. Philosophie und absolvierte danach ein Doppelstudium in Schauspiel und Mime/Körpertheater an der Folkwang Hochschule in Essen. Zwei seiner eigenen Stücke sind „Taxi Timbuktu“ und „Tristan_a cocktail called love“ (Preis der Jury, 100 Grad Festival, Berlin sowie Publikumspreis und Preis der Jury ARENA-Festival, Erlangen/Nürnberg). Am Theater Biel Solothurn ist Merker seit der Saison 2007/2008 im Festengagement als Schauspieler. Er inszenierte hier zudem „Parzival (Raubkopie)“ nach Wolfram von Eschenbach, das zum Festival “Eurothalia 2009” in Rumänien eingeladen wurde.
1975 in Brünn geboren, studierte Martin Dolnik (Bühne, Kostüme) Bühnen- und Kostümbild bei Ursel und Karl-Ernst Herrmann an der Akademie der Bildenden Künste in München. Nach dem Studium wurde er als Assistent am Schauspielhaus Bochum verpflichtet. Seit 2005 ist er freischaffend tätig. Bühnenbilder entwarf er etwa für das Schauspielhaus Bochum und das Schauspielhaus Zürich. Daneben war er als Bühnen- und Kostümbildner am Jungen Theater Göttingen, am Schauspielhaus Kiel und an der Kammeroper Schloss Rheinsberg engagiert. Dolnik entwarf in der letzten Spielzeit Bühne und Kostüme für „Parzival (Raubkopie)“ am Theater Biel Solothurn.
„Gegen den Fortschritt“ (Contra el progrés)
Sieben burleske Szenen
Schauspiel von Esteve Soler
Aus dem Katalanischen von Charlotte Frei
Inszenierung Max Merker
Bühnenbild und Kostüme Martin Dolnik
Dramaturgie Silvie von Kaenel
Mit: Barbara Grimm
Katja Tippelt
Günter Baumann
Aaron Hitz
René-Philippe Meyer