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Scheinheilig -- "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" von Bertold Brecht im Schauspielhaus Düsseldorf

Premiere am 3. Mai 2025

Eine Maschine die alles vereint: Fleischwolf, Transportband, Verbrennungsofen, multifunktional, dominiert die Bühne im Düsseldorfer Schauspielhaus. Aus ihren zwei großen Röhren, quellen ganz langsam Menschen in fleischfarbenen, hautengen Ganzkörper-kostümen hervor. Wie ein Menetekel steht hier bereits die Maschine, die sich die Fleischfabrikanten erträumten, um noch profitabler zu wirtschaften und die Personalkosten senken zu können. Für die Arbeiter dagegen ist es eine wahre Höllenmaschine, bedeutet sie doch Arbeitslosigkeit oder schlechtere Arbeitsbedingungen.

 

Copyright: Thomas Rabsch

In komprimierter Fassung ist derzeit Bertold Brechts "Die Heilige Johanna der Schlachthöfe" in einer Inszenierung von Roger Vontobel im Schauspielhaus Düsseldorf zu sehen. Vontobel beschränkt sich auf den einen Handlungsstrang, der sich mit den Marktmechanismen beschäftigt, und verzichtet auf die Episoden mit den Schwarzen Strohhüten. Das hat zur Folge, dass die ohnehin schon dominierende Figur des Pierpont Mauler unversehens fast ganz in den Mittelpunkt rückt und einige Charakterzüge und der Erkenntnisweg der Johanna etwas umgedeutet werden. 

Brechts Kapitalismuskritik legt dar, wie dank Insidertipps, der Markt manipuliert werden kann, u.a. mittels Warenfluten, Überproduktion, künstlicher Verknappung, geschickt ausgehandelter Kontrakte, die, egal wie sich der Markt entwickelt hat, bedient werden müssen. Pierpont Mauler ist so ein Profiteur, der vorgeblich Mitleid mit Mensch und Tier zeigt, aber gnadenlos seine Partner und Konkurrenten in den Ruin treibt. Als Gegnerin tritt ihm von ganz anderer Seite Johanna entgegen, die an sein Gewissen appelliert und ihn zu Zugeständnissen bewegt, nicht ahnend, dass diese ihm ebenso zu Nutzen sind. Um ihr vorzuführen wie schlecht die Menschen sind, benutzt Mauler die Vertuschung eines tödlichen Arbeitsunfalls: die arme Witwe des Opfers bewegt er zum Stillschweigen, er bietet ihr befristetes Kantinenessen, hier steht Essen gegen Moral, ein Brecht'sches Thema.

Die Inszenierung von Roger Vontobel arbeitet stark mit Typisierungen, die sich in der Farbsymbolik der Kleidung (Kostüme: Jana Findeklee und Joki Tewes) widerspiegelt, die Wirtschaftsbosse sind jeweils in einfarbigen Anzügen von mattmetallischem Rot, Grün, Blau und Violett gekleidet. Sie werfen sich in markante Posen: Sebastian Tessenow als blauer Graham breitbeinig mit Cowboy-Hut, Claudia Hübbecker als grüner Cridle mit tiefer Stimme und maskenhaftem Gesicht, Thomas Wittmann als gelber gebeutelter Viehzüchter, der unerbittliche, dienstbare Makler Slift (Moritz Klaus) in Violett, Heiko Raulin als der Fleischkönig Mauler in teuflischem Rot. Mit Pokerface gibt er den ruhigen, gewieften Geschäftsmann. Er spielt den konzilianten mitleidsvollen Menschen, der scheinbar Konzessionen eingeht, dennoch seine Partner in die Knie zwingt und ausbluten lässt. Wiederkehrend gibt er die Geschichte zum Besten, dass er aus Mitleid mit dem Vieh aus dem Fleischgeschäft aussteigen will, eine schöne Anekdote. Im Gegensatz dazu steht Caroline Cousin als Johanna Dark, eine Jeanne D'Arc im blutbesudelten, weißen, plüschigem Anzug. Sie ist jetzt keine Heilsarmee-Vertreterin mehr, sondern wortgewandte, naive Aktivistin, die die Welt verbessern möchte. Mit ihrem Saxophon klagt sie an und schreckt auf. Eine seltsame Anziehung herrscht zwischen den beiden so Gegensätzlichen, ein Faszinosum, das sich in wunderbar choreografierten Fingerbewegungen ausdrückt. Ganz eindrucksvoll sind auch die Fleischwesen choreografiert, die verschiedentlich auftauchen und die abstrakten, verbal verhandelten Geschäfte versinnbildlichen.

Die Maschine pufft, nebelwabert, spuckt flammwerferartiges Feuer. Sie ist nicht nur visuell ein starkes Stück, sondern steht als Symbol für die Entfremdung der Arbeit und die Ausbeutung der Arbeiter. Am Ende scheitert Johanna eklatant, die Arbeitsbedingungen haben sich im Gegenteil noch verschlechtert, die Armut hat zugenommen. Einzig der perfide Mauler geht aus dem Desaster als Gewinner hervor, seine Mitstreiter sind bankrott. Johanna legt sich erschöpft zu Boden.

Begeisterten Beifall spendete das Publikum für diese auch visuell beeindruckende und schauspielerisch hervorragende Interpretation eines Brecht Klassikers.

Besetzung
Johanna Dark: Caroline Cousin 
Mauler, Fleischkönig: Heiko Raulin 
Cridle, Fleischfabrikan:t Claudia Hübbecker 
Graham, Fleischfabrikant: Sebastian Tessenow 
Viehzüchter: Thomas Wittmann 
Slift, ein Makler: Moritz Klaus 
Das Fleisch (Chor): Raphael Abilgaard, Sibylle Florin, Charlotte Krause, Lena Leppert, Alexandra Peschke, Thien Kim Phan, Maya Rosch, Florian Scheller

Live-Musik: Keith O’Brien 
Regie: Roger Vontobel 
Bühne: Olaf Altmann 
Kostüm: Jana Findeklee und Joki Tewes 
Musik: Keith O’Brien 
Licht: Jean-Mario Bessière 
Sounddesign: Peer Seuken 
Dramaturgie: Robert Koall 
Choreografische Mitarbeit: Takao Baba, Charlotte Krause 

 

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