Die Flucht, die Peer von seinem norwegischen Dorf aus antritt, dem sozialen Nichts davoneilend, um endlich ein Jemand zu werden, Kaiser am besten, führt ihn zu Trollen und Kranken, zu Affen und Sklaven, durch die Wüste und aufs Meer. Einen Lebensentwurf nach dem anderen streift er ab wie die Schlange die Häute, nach jedem Scheitern ersteht er an neuem Ort wieder auf. Ein ruheloser Weltdurchquerer, (fast) unsterblicher Ego-Shooter ist er, festgelegt nur in seinem unverbrüchlichen Credo: Um mich muss es sich drehen, mein ganzes Leben. Seine Reise – ein großer Budenzauber, ein verzweifeltes Erlebnis-Zapping, eine Ansammlung von hybriden Ich-Entwürfen und Gesten des Menschenverschleißes, die um ein schwarzes Loch kreisen: Wer ist Peer?
In Peer Gynt steckt das – männlich geprägte – Prinzip einer marktliberalen Welt, die in jeden Winkel grapscht, alles auf seinen Mehrwert prüft, zum eigenen Vorteil benutzt und dann verwirft. Doch zugleich handelt Ibsens Phantasmagorie von einem sozial Deklassierten, der sich in verschwenderischen Lügen und Wegwerfgesten dem Gesetz seiner Welt anpasst und einen Umweg nach dem andren nimmt, um zur Erkenntnis zu kommen – denn "das Paradies ist verriegelt und der Cherub hinter uns; wir müssen die Reise um die Welt machen und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist" (Heinrich von Kleist).
Der Regisseur Dušan David Pařízek, der zuletzt am Schauspielhaus Bochum Iphigenie nach Euripides und Elfriede Jelinek inszenierte, entlarvt in Peer Gynt männliche Herrschaftsgesten, torpediert feste Geschlechtergrenzen und schüttelt mit einem Schauspiel-Ensemble rund um Anna Drexler in der Titelrolle und mit viel Musik das Stück einmal kräftig durch. Selbst der westliche Dramenkanon kommt nicht ungeschoren davon.
Peer Gynt
nach Henrik Ibsen
unter Verwendung eines Interviews mit der ghanaischen Autorin Ama Ata Aidoo und eines Abgesangs auf den westlichen Dramenkanon von Anne Rietmeijer
Regie, Bühne: Dušan David Pařízek
Kostüme: Kamila Polívková
Mitarbeit Kostüme: Mara Zechendorff
Musik: Peter Fasching
Lichtdesign: Bernd Kühne
Dramaturgie: Angela Obst
Peer Gynt: Anna Drexler
Aase / Herr von Eberkopf: Michael Lippold
Solveig: Anne Rietmeijer
Matz Moen, der Bräutigam / Hoftroll / Junge / Master Cotton / Kapitän: Lukas von der Lühe
Die Grüngekleidete / Monsieur Ballon / Koch: William Cooper
Der Dovre-Alte / Anitra: Mercy Dorcas Otieno
Trolljungfer / Begriffenfeldt / der fremde Passagier / Knopfgießer: Konstantin Bühler