Dies könnte ein Anlass zur Aussöhnung beider Lager sein. Doch ihr Versprechen aneinander wird weiter auf die Probe gestellt: Julia soll einen anderen Mann heiraten, Romeo wird in einen Kampf mit ihrem Cousin gedrängt und zu dessen Mörder. Es folgt Verbannung. Äußerst schwierige Bedingungen. Doch nichts davon bringt die Liebenden davon ab, zusammen sein zu wollen. Sogar die letzte Grenze, die radikalste, weil unumkehrbare Entscheidung, wählen beide, um für immer vereint zu sein.
Nicht erst heute erscheint die Hartnäckigkeit des jungen Paares, unter allen Umständen zusammen sein zu wollen, extrem. Zu allen Zeiten ließen sich Einwände geltend machen: dass ein einziges Treffen eine wackelige Grundlage für eine lebenslange Bindung ist. Oder dass Missbilligung durch die Gesellschaft einem nie endenden Stresstest gleichkommt. Beides gilt nach wie vor. Doch gerade Letzteres ist für unsere westlich liberale Gesellschaft selten geworden. Heiratsregeln sind abgeschafft. Beziehungen gründen in der Regel auf gegenseitiger Anziehung, nicht auf Strategie.
Die Freiheit zur Partnerwahl war nie größer. Und sie ist selbst zur Hürde geworden. Oder zumindest ihre Ausprägungen. Denn der schnelle, oft digitale Match ist auch unverbindlich und ebenso abrupt wieder vorbei. Das große Angebot schafft Vergleichsmöglichkeiten. Also wird das Gegenüber genau unter die Lupe genommen, als Objekt, statt in seiner Einzigartigkeit zu verzaubern. Gerade in der Vergleichbarkeit wird ein Mensch austauschbar. Diese Art von Liebe ist also relativ. Sie bildet in dieser Form den diametralen Gegensatz zu derjenigen von Romeo und Julia. Sie setzen die Liebe zueinander absolut. Nichts hat daneben Platz.
In einer Zeit, in der die romantische Liebe zwar noch als Sehnsuchtsort die Kinokassen füllt, im sogenannten echten Leben oft mit Zynismus quittiert wird; was begeistert also nach wie vor an Shakespeares berühmtestem Liebespaar? Sind Romeo und Julia in ihrer radikalen Selbstaufgabe heute der progressive Gegenentwurf?
Für das Schauspiel Leipzig befragt Regisseurin Pia Richter diesen Klassiker neu. Nach „Ein Berg, viele“ und „Hotel Pink Lulu“ ist es ihre dritte Arbeit am Haus. Richter studierte Theater- und Literaturwissenschaft an der LMU München, bevor sie 2011 in den Studiengang Regie der Otto Falckenberg Schule wechselte. Ihre Inszenierungen führten sie unter anderem an das Theater Regensburg, das Landestheater Schwaben, das Landestheater Tübingen und das Theater Koblenz.
Im Anschluss an die Premiere findet ein Konzert von Voodoo Beach statt und Kleine Hände legt im Foyer 1 auf. (Eintritt frei, aber Konzertbesuch nur mit „Romeo und Julia“-Premierenticket möglich.)
Deutsch von Sven-Eric Bechtolf & Wolfgang Wiens
Regie: Pia Richter
Bühne & Kostüme: Julia Nussbaumer
Musik: Friederike Bernhardt, Johannes Cotta
Licht: Ralf Riechert
Dramaturgie: Marleen Ilg
Theaterpädagogische Betreuung: Amelie Gohla
Mit
Paulina Bittner, Thomas Braungardt, Anne Cathrin Buhtz, Patrick Isermeyer, Roman Kanonik, Dirk Lange, Teresa Schergaut