Nun kann sie ausschließlich eine Flucht aus den schicksalhaften Verwicklungen führen. Julia nimmt Gift zu sich, das sie für mehrere Stunden in einen todesähnlichen Zustand versetzt. In Annahme ihres Todes wird sie in die Familiengruft überbracht, aus der sie nach ihrem Erwachen eigentlich von Romeo befreit werden soll. Doch statt einer Nachricht über ihr gemeinsames Entkommen erreicht Romeo die Botschaft vom angeblichen Tod seiner Geliebten. In der Gruft der Capulets, beim leblosen Körper Julias, nimmt er sich das Leben. Im Moment seines Todes erwacht Julia und ersticht sich aus Verzweiflung. Im Angesicht des tragischen Schicksals ihrer Kinder finden die verfeindeten Familien wieder zueinander.
William Shakespeares „Romeo und Julia“
Wie bei vielen Texten nicht nur William Shakespeares, sondern auch zahlreicher anderer Autoren des elisabethanischen Theaters gibt es wenige gesicherte Erkenntnisse rund um die Entstehung der Tragödie „Romeo und Julia“. Für das Drama, das um 1595 entstanden ist und zu den bekanntesten und am häufigsten aufgeführten Bühnenstücken gehört, stützte sich Shakespeare überwiegend auf das Versepos „The Tragicall Historye of Romeo and Juliet“ seines Zeitgenossen Arthur Brooke, das sich wiederum aus italienischen Quellen speist. Shakespeare übernahm den Verlauf der Handlung, die Charaktere und sogar manche Formulierungen, raffte aber die erzählte Zeit von mehreren Wochen auf wenige Tage. Er schuf ein Werk, dass über die Schaulust der Zuschauer in Bezug auf menschliche Schicksale hinausgeht und auf Mitgefühl und Bewunderung gegenüber der bedingungslosen Hingabe der beiden Liebenden abzielt
Im Laufe der Rezeptionsgeschichte wurde das Stück je nach Welt- und Menschenbild mehrfach stark umgearbeitet oder verschwand sogar zeitweise ganz. Den endgültigen Durchbruch erfuhr das Drama im 19. Jahrhundert durch Samuel Phelps, den Intendanten des Londoner Sadler‘s Wells Theatre. „Romeo und Julia“ wurde vielfach in der Literatur bearbeitet, aber auch vertont. Dazu zählen Vicenzo Bellinis Oper „I Capuleti e i Montecchi“, die Fantasieouvertüre „Romeo und Julia“ von Peter Tschaikowsky, Hector Berlioz‘ dramatische Sinfonie „Roméo et Juliette“, Leonard Bernsteins Musical „West Side Story“ und viele andere mehr. Sergej Prokofjew verfasste zu diesem Stoff seine weltberühmte Ballettmusik, die in ihrer vielfältigen Stilistik, üppigen Orchestration und melodischen Leidenschaftlichkeit die Menschen bis heute begeistert.
Sergej Prokofjews Ballettmusik „Romeo und Julia“
Nachdem Sergej Prokofjew 1918 Russland in den Wirren der Revolution verlassen hatte, macht er sich in den USA und Westeuropa einen Namen als Pianist und Komponist und konnte bereits sein Talent im Bereich der Tanz- und Unterhaltungsdramen mit „Le Pas d’Acier“, „L’Enfant Prodigûe“ und „Sur le Borysthène“ unter Beweis stellen. Der ganz große Durchbruch gelang ihm allerdings nach seiner Rückkehr in die Sowjetunion mit seiner Ballettmusik „Romeo und Julia“. Das Stück sollte zunächst für das St. Petersburger Kirow-Theater entstehen, allerdings zog sich die Theaterleitung von dem Projekt zurück, sodass „Romeo und Julia“ von Prokofjew zusammen mit dem Regisseur und Shakespeare-Kenner Sergej Radlow, dem Dramaturgen Adrian Piotrowski sowie dem Musikwissenschaftler und Komponisten Boris Assafjew für das Moskauer Bolschoi-Theater erarbeitet wurde.
Prokofjew knüpfte mit diesem Werk an die Traditionen des klassischen russischen Balletts der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und an die Ausstattungs- und Handlungsballette u. a. von Tschaikowsky und Glasunow an. Zwar findet sich dadurch überwiegend die Tradition der russischen Musik des 19. Jahrhunderts wieder, doch Prokofjew griff immer wieder auch tief in das Instrumentarium moderner Tendenzen und lässt in Situationen höchster Dramatik Atonalitäten oder sogar Cluster erklingen. Das Stück weist darüber hinaus eine überaus umfassende Orchestrierung und komplexe Rhythmen auf.
Während der viermonatigen Arbeit an der Ballettmusik wurden immer wieder auch Überlegungen gehegt, das Ballett glücklich enden zu lassen, was rein choreografische Gründe hatte: Lebende Menschen waren im Tanz besser darzustellen als sterbende. Es blieb allerdings beim tragischen Ende, auch wenn an anderer Stelle der Komponist Umarbeitungen vornehmen musste, um sie choreografischen und tänzerischen Gegebenheiten anzupassen.Nachdem bereits verschiedene von Prokofjew verfasste Klaviertranskriptionen und Konzertsuiten die Musik von „Romeo und Julia“ in die Öffentlichkeit trugen, fand die Uraufführung am 30. Dezember 1938 in Brünn statt.
Luciano Cannitos „Romeo und Julia“Am 14. April feiert auf der Bühne der Oper Chemnitz Prokofjews Ballett „Romeo und Julia“ in einer Choreografie des renommierten italienischen Choreografen und Regisseurs Luciano Cannito Premiere. Seine Fassung des Ballettklassikers hat bereits das Publikum im Teatro Massimo in Palermo, dem größten Theater Italiens und dem drittgrößten Europas, mitgerissen. Für Chemnitz hat er sein Stück noch einmal überarbeitet und an aktuelle Fragestellungen angepasst. Er kreierte ein Ballett, das durch seine Zeitlosigkeit aktueller ist denn je: Die vorurteilsbeladene Begegnung mit dem Anderen prägt unsere Gegenwart und droht Gemeinschaftlichkeit zu zerbrechen. Nur Liebe und Anerkennung können Feindschaft, Hass und Unruhen unterbinden.
Musik von Sergej Prokofjew
Musikalische Leitung: Felix Bender
Choreografie und Inszenierung: Luciano Cannito
Bühne: Italo Grassi
Kostüme: Silvia Aymonino
Video: Maurizio Gaibisso
Mit: Benjamin Kirkman / Milan Maláč / Fernando Moraga (Graf Capulet), Sabrina Sadowska / Tina Vasilaki (Gräfin Capulet), Nela Mrázová / Natalia Krekou (Julia), Natalia Krekou / Nela Mrázová (Amme), Milan Maláč / Benjamin Kirkman (Tybalt), Emilijus Miliauskas / Jean-Blaise Druenne (Romeo), Raul Arcangelo / Yester Mulens Garcia (Mercutio), Ivan Cheranev (Benvolio), Savanna Haberland / Emily Grieshaber (Rosalinde), Fernando Moraga (Escalus), Jean-Blaise Druenne / Emilijus Miliauskas (Graf Paris), Yester Mulens Garcia / Alejandro Guindo Martín (Dr. Lorenzo); Ensemble und Praktikanten des Balletts Chemnitz;
Mitglieder der Opernballettschule; Mitglieder der Statisterie der Oper Chemnitz; Robert-Schumann-Philharmonie