„Im Dickicht der Städte“ (1927) bietet dem Theater eine völlig neue Dramaturgie, die dem Boxkampf näher steht als Aristoteles:
Der malaiische Holzhändler Shlink, halb Geschäftsmann, halb Gangsterboss, ist der erste Mann im Rotlichtviertel Chicagos. Auf der Höhe seiner Macht und seines Reichtums wird er seiner emotionalen Verödung, seines Lebensekels gewahr. Er setzt seine Existenz aufs Spiel – als er seinen Kampf eröffnet gegen den jungen Garga, Sohn einer armen Farmerfamilie, die es vom Land in die Großstadt verschlagen hat.
Nachdem Shlink vergeblich versucht hat, George Garga, Aushilfsjobber in einer Leihbibliothek, seine Meinung über ein Buch abzukaufen, wählt er ihn zum geeigneten Gegner. Er eröffnet den Kampf, indem er Gargas Entlassung provoziert. Der ersten Runde folgt sogleich die nächste; Garga stellt sich der Kampfansage, das Opfer will zurückschlagen. Der Besitzende Shlink tauscht mit dem Besitzlosen Garga die Rolle, schenkt ihm seinen Holzhandel, den dieser sofort ruiniert. Die Kampfzone wird ausgeweitet, Schlag um Schlag werfen die Kontrahenten, indem sie ihren materiellen Besitz, die Familie, persönliche Bindungen, sogar die Freiheit opfern, ihre frühere Existenz als Spieleinsatz oder als Kampfmittel dem anderen vor die Füße, um ihn in die Knie zu zwingen. Der mit heruntergelassenem Visier und zunehmender Unerbittlichkeit geführte ‚metaphysische’ Wettstreit hinterlässt Kollateralschäden am sozialen Umfeld. Gargas Familie wird gesprengt, die soziale Deklassierung seiner Schwester und seiner Frau wird in Kauf genommen.
Claudia Bauers Inszenierung konzentriert sich auf die Anatomie einer Feindschaft, deren Reibungshitze der atomisierten Gesellschaft die Kälte austreiben soll. Sie offenbart die tiefer liegende Motivik dieses Kampfes, und zwar aus der Perspektive des sozialen Randes, der heute überall gesellschaftliche Realität ist. Wenn Geld allem und jedem im Tausch Warencharakter verleiht, ist alles auf dem Markt für Geld zu haben: Meinungen, Körper, Intimität. Sozialen Bindungen werden auf ein unpersönliches, anonymes Tauschprinzip reduziert. Claudia Bauers dramatische Tableaus verdichten den Markt- zum Kampfplatz, auf dem die Kontrahenten ihre un- und antiökonomischen’ Kampfformen von Verausgabung, Verschwendung, Selbstentäußerung ins Feld führen, um Entfremdung und Entzweiung zu überwinden. Sie zeigt die Feindschaft als Inversion einer Liebesgeschichte, die sich nur auf einem Schlachtfeld abspielen kann, und deren innerer Widerspruch einem finalen Akt der Desillusionierung bzw. Selbstzerstörung entgegen zu laufen droht.
Inszenierung: Claudia Bauer
Bühne: Patricia Talacko
Kostüme: Bernd Schneider
Musik: Smoking Joe
Dramaturgie: Sven Kleine
Mit: Sophie Basse, An Kuohn, Juliane Pempelfort, Anne-Catherine Studer, Thomas Braus, Daniel Breitfelder Holger Kraft, Andreas Ramstein, Lutz Wessel
Weitere Vorstellungen sind am 15. und 18. Oktober 2009 im Opernhaus