Ein bombastisches Trommel-Crescendo, gewaltige Bläser-Einwürfe und eruptive harmonische Entladungen eröffneten dieses Werk, das viele Merkmale eines klanglichen Rausches in sich vereinigt. Akustische Halluzinationen verbanden sich im Beethovensaal mit Tremolo- und Flageolett-Sequenzen der Streicher sowie reizvollen Ostinato-Effekten. Immer neue Klangräume wurden so erschlossen, was zu einer aufregenden akustischen Entdeckungsreise führte. Antoine Tamestit (Viola) beschwor zusammen mit dem SWR Symphonieorchester unter dem einfühlsamen Dirigat von Teodor Currentzis magische Klangskulpturen, wobei sich der Zauber orthodoxer Weisen allmählich herauskristallisierte. Neben eindrucksvollen Cantus-firmus-Effekten bestach auch immer wieder eine seltsam irisierende Klangfläche, die den Zuhörer in sphärenhafte Bereiche entführte. Pulsierende Rhythmen und Loops waren stets minuziös nachvollziehbar.
Kühne Thematik beherrschte anschließend die grandiose Wiedergabe der Sinfonie Nr. 13 in b-Moll op. 113 ("Babi Jar") für Solo-Bass, Männerchor und Orchester von Dmitrij Schostakowitsch. Aber auch die kunstvolle lineare Verarbeitung der Themen kam in der suggestiven Wiedergabe von Teodor Currentzis nicht zu kurz. Klanglichen Ballungen folgten ungeheure Steigerungen. Und der ritornellartige Aufbau des ersten Satzes blitzte wirkungsvoll hervor. Momente lyrischer Intensität verfehlten ihre Wirkung ebenfalls nicht. Alexander Vinogradov (Bass) und der Estnische Nationale Männerchor (geleitet von Mikk Üleoja) bildeten das fulminante gesangliche Fundament zwischen lyrischer Versenkung und eruptiven Ausbrüchen. Als markantes Scherzo kam dann der zweite Satz "Der Witz" daher, der auch bewegende Verzweiflungsausbrüche besaß. Der dritte Satz "Im Laden" überzeugte als berührendes Adagio - eine bemerkenswerte Huldigung an die sowjetischen Frauen. Der vierte Satz "Ängste" entpuppte sich bei der fast apokalyptischen Wiedergabe durch Teodor Currentzis und das SWR Symphonieorchester als Klage über Spitzeltum und die Machenschaften der Geheimpolizei, denen Schostakowitsch im Stalin-Regime zeitlebens ausgesetzt war.
Ausgezeichnet wurde auch das attacca einsetzende Finale musiziert, "Karriere" überschrieben. Doch das Gegenteil ist hier gemeint: Man sollte lieber seinen Überzeugungen treu bleiben und keine Karriere machen. Geigen-Sequenzen vermischten sich hier reizvoll und fast tänzerisch verschwebend zu verschiedenen Klangmischungen und sphärenhaften Durklängen der Streicher und der Celesta. Schostakowitsch verarbeitete dabei Verse des russischen Dichters Jewgenij Jewtuschenko, das den Tod von jüdischen Gefangenen als Massaker in der Kiewer Schlucht Babi Jar anprangerte. 33.000 Juden wurden damals ermordert. Es gelang Teodor Currentzis mit dem SWR Symphonieorchester in erschütternder Weise, den Schrecken dieses ungeheuerlichen Geschehens einzufangen. Man spürte gleichfalls die enorme kompositionstechnische Sicherheit Schostakowitschs als Vertreter der Rimskij-Korssakoff-Schule. Berührungspunkte waren hier auch zu Strawinsky und Prokofieff herauszuhören. Die überlegene Beherrschung der Form und des polyphonen Satzes verfehlten ihr Ziel ebenfalls nicht, denn Currentzis begriff Schostakowitsch im Beethovensaal als absoluten Musiker. In der Al-fresco-Technik wurde Gustav Mahler erkennbar, selbst Tschaikowsky machte sich bemerkbar. Die Harmonik arbeitete dabei auch deutlich mit den Mitteln der Romantik, ohne sich Kühnheiten zu versagen. Und das Gedicht Jewtuschenkos bildet Bezüge zu historischen Judenverfolgungen vom alten Ägypten über den Dreyfus-Skandal bis zu Anne Frank. Der erstaunliche Sinn für dynamische Kontrasteffekte blitzte bei dieser hervorragenden Wiedergabe jedenfalls immer wieder auf. Dieses Meisterwerk ist ein glühendes Bekenntnis zur Menschlichkeit zwischen Pizzicato-Passagen und geheimnisvollen Wagner-Anklängen. Jubelstürme und Ovationen des Publikums folgten.
Als Nach(t)musik spielten Musiker des SWR Symphonieorchesters anschließend noch wahre Perlen der Kammermusik. Schwungvoll kam die Ouvertüre über hebräische Themen für Klarinette, Streichquintett und Klavier op. 34 von Sergej Prokofjew daher, wobei die russische Melismatik triumphierte. Von Bela Kovacs erklang dann atemberaubend und rasant das reizvolle Stück "Shalom Alekhem" für Klarinette Solo, Viola Solo, Streichquintett, Klavier und Akkordeon bearbeitet von Anton Hollich sowie der ebenfalls atemlos und rhythmisch ausgelassen dargebotene "Klezmer-Tanz" von Serban Nichifor für Klarinette, Streichquintett, Tamburin und Klavier. Antoine Tamestit (Viola), Anton Hollich (Klarinette), Felix Borel und Harald Paul (Violine), Andreea Alcalde Polo (Viola), Christoph Heesch (Violoncello), Valentin Vacariu (Kontrabass), Markus Maier (Akkordeon und Tamburin) sowie Christoph Grund (Klavier) sorgten aufgrund ihres überaus mitreissenden Musizierstils für große Begeisterung im Beethovensaal.