Doch es kommt anders: Als Maria schwanger wird, wendet sich das ganze Dorf gegen die Familie. So kann die "Bagage" nur sich selbst helfen. Die Autorin Monika Helfer begibt sich dabei auf die Spuren ihrer Vorfahren: "Die Erinnerung muss als heilloses Durcheinander gesehen werden. Erst wenn man ein Drama daraus macht, herrscht Ordnung." Maria wird schwanger mit Grete, die von ihrem Vater Josef nie beachtet werden wird. Es gibt Gerüchte im Dorf, dass ein Mann aus Deutschland Maria besucht hätte, während der Vater im Feld war. Diese Grete (Margarethe) ist die Mutter von Monika Helfer. Man sieht Maria in der facettenreichen Darstellung von Nathalie Imboden, die zur Musik von Richard Wagners "Lohengrin"-Vorspiel über die Welt und ihr Leben philosophiert: "Maria träumte sich in die Oper. Ihr Herz klopfte für Gesang."
Da heißt es dann auch: "Ihre Schwester hatte Maria vorgeschwärmt, schon als sie beide Schulmädchen waren, dass sie einmal eine ganz große Liebe erleben werde, eine gewaltige, die sie vom Boden wegreiße." Nathalie Imboden schlüpft dann auch eindringlich in die Rolle des heimgekehrten Josef Moosbrugger, der sich wie einst Odysseus mit seiner Umgebung und insbesondere mit dem ehemaligen Bürgermeister Gottlieb Fink anlegt, der früher immer wahnsinnig gut aufgelegt war. Aber sie mimt auch eindringlich Tante Kathe. Elias Widmann spielt gekonnt den neunjährigen Lorenz Moosbrugger, der den Brügermeister schließlich mit der Schrotflinte bedroht, nicht nur weil er Maria in die Hand gebissen hat. Gundi-Anna Schick gelingt es ausgezeichnet, sich in die teilweise explosiven Charaktere von Monika Helfer, dem Postadjunkten, Gottlieb Fink, Georg und dem Pfarrer hineinzuversetzen.
Der Roman von Monika Helfer reicht vom Ersten Weltkrieg bis in die Gegenwart, was die Inszenierung von Lisa Wildmann präzis verdeutlicht. Die Armut dieser Familie wird hier immer wieder grell beleuchtet: "Mit siebzehn hatte ihr Josef einen Heiratsantrag gemacht. Sie war zufrieden mit diesem Mann, er hatte ihr Leben verbessert. Nicht ökonomisch. Er war sogar ärmer, als Maria von Haus aus war..." Eine prägende Begegnung mit dem Philosophen Karl Jaspers wird geschildert. Vor- und Rückblenden beleuchten geschickt die große seelische Not dieser Menschen: "Die Verzweiflung war nicht zu Ende. So, dass man sich fragte, woher könne so viel Verzweiflung kommen."
Der Bürgermeister besuchte Maria dann jeden Tag. Und die Eifersucht des Ehemannes bleibt nicht aus: "Hast du's gern gehabt, dass er dich belästigt hat?" Zuletzt erfährt man, dass der Vater im Krieg das Schmusen verlernt habe. Lorenz bestiehlt schließlich aus Not seinen Freund und dessen Eltern, bringt alle Lebensmittel an sich. Maria und Josef sterben früh. Das Ende ist trist. Monika Helfer zieht ein klares Resümee: "Wir wollten nie etwas Besonderes sein. Auch meine Großmutter wollte das nicht. Aber wir waren etwas Besonderes. Ich habe mich gebogen vor Scham...Ich befinde mich bei der Aufstellung neben meiner stummen Mutter, auf der Herzseite stehe ich. Neben mir steht meine Tochter Paula, die auch nicht mehr unter den Lebenden ist, sie war die Lebhafteteste von uns allen...Lebhaft war vor hundert Jahren eine Art Vorwurf..."
Lisa Wildmann gelingt es als Regisseurin, ein ganzes Jahrhundert in rustikalen Bildern auf der schlichten Bühne Revue passieren zu lassen (Ausstattung: Klaus-Peter Platten). Auch die Erbarmungslosigkeit der Dorfkirche wird anhand der brutalen Figur des brüllenden Dorfpfarrers drastisch gezeichnet, der von Maria aus dem Haus gewiesen wird. Für Gundi-Anna Schick ist es eine Glanzrolle.
"Bravo"-Rufe, viel Beifall (Sounds: Julia Klomfaß).