Faust ist hier kein Wissenschaftler, der über die menschliche Erkenntnismöglichkeit meditiert, sondern ein einsamer Mann auf der Suche nach Liebe: „Anders als beim deutschen Welterklärer Goethe interessiert sich der französische Faust von Gounod nicht für Helena, sondern für das schöne Gretchen am Spinnrad, das mit Schmuck und Luxus beeinflussbar ist. Das ist nicht die deutsche Schwermut – es geht darum, das Leben zu genießen“, so Regisseur Frank Castorf. „Paris um 1860 steht für etwas Neues, den Aufbruch, für Mode und Luxus – aber eben auch für Entpolitisierung des Bürgertums. Die Forderungen der französischen Revolution wurden nicht umgesetzt. In Anbetracht dieser Situation ist der Teufel derjenige, der einen guten Lebensstandard ermöglicht. Und unter dem Überzug der Wohlanständigkeit Gretchens brodelt die Hölle des Triebes.“
In Gounods Version bekommen darüber hinaus Nebenfiguren wie Gretchens Bruder Valentin und Fausts Schüler Siebel mehr Gewicht und erlauben es, die jedem deutschen Abiturienten vertraute Geschichte aus neuer Perspektive zu erleben: Französische Kriegsbegeisterung vermischt sich mit einem unerfüllbaren Ideal von „Unschuld“; simple Freude an Theaterzauberei trifft auf eines der tiefsinnigsten Dramen der Literaturgeschichte; eine intime Liebesgeschichte wird zur großen Choroper.
In Stuttgart war Charles Gounods Oper Faust zuletzt im Jahr 1952 in einer Neuinszenierung zu sehen. Nun präsentiert Frank Castorf, einer der wirkungsmächtigsten Regisseure des Gegenwartstheaters, über 60 Jahre später am Sonntag, 30. Oktober 2016, um 18 Uhr mit seiner Inszenierung dem Stuttgarter Publikum eine neue Sicht auf das Werk. Frank Castorf wird damit erstmals eine Oper in Stuttgart inszenieren. Die Musikalische Leitung liegt in den Händen von Marc Soustrot. Die Bühne entwirft Aleksandar Denić, Adriana Braga Peretzki zeichnet für die Kostüme verantwortlich. Beide verbindet eine langjährige und überaus erfolgreiche künstlerische Partnerschaft mit Castorf; u. a. arbeitete das Trio bei Castorfs Neuinszenierung von Wagners Ring des Nibelungen bei den Bayreuther Festspielen 2014 und bei seiner vielbeachteten Neuinszenierung von Andrej Platonows Revolutionsroman Tschewengur am Schauspiel Stuttgart im Jahr 2015 zusammen.
Die Neuproduktion von Gounods Faust ist hochkarätig besetzt: Neben Iris Vermillion als Gast in der Rolle der Marthe Schwerdtlein debütieren die Stuttgarter Ensemblemitglieder Mandy Fredrich als Margarethe, Atalla Ayan als Faust, Adam Palka als Mephistopheles und Gezim Myshketa als Valentin.
Musikalische Leitung Marc Soustrot
Regie Frank Castorf
Bühne Aleksandar Denić
Kostüme Adriana Braga Peretzki
Licht Lothar Baumgarte
Video-Liveschnitt Martin Andersson
Chor Johannes Knecht
Dramaturgie Ann-Christine Mecke
Faust Atalla Ayan
Mephistopheles Adam Palka
Valentin Gezim Myshketa
Wagner Michael Nagl
Margarethe Mandy Fredrich
Siebel Sophie Marilley / Josy Santos (11. | 17. Nov)
Marthe Schwerdtlein Iris Vermillion / Fredrika Brillembourg (21. | 30. Jan)
Staatsopernchor Stuttgart
Staatsorchester Stuttgart
Weitere Vorstellungen: 03. | 06. | 11. | 17. November 2016 || 16. | 21. | 30. Januar 2017