Mit dem Hausherrn und dessen unverheirateten Schwester Léonida spielen der reiche Bauer Colladan, der Apotheker Cordenbois und Félix Renaudier, der ein Auge auf die Tochter des Gastgebers geworfen hat. Selbstverständlich spielt der Steuereinnehmer Baucantin nicht mit, da sich dies für einen Beamten nicht ziemt. Heute nun ist ein großer Tag, denn das Sparschwein, in das ungern aber notgedrungen eingezahlt wurde, muss geschlachtet werden. Der Spielgewinn soll für einen gemeinnützigen Zweck eingesetzt werden. Nach einer heftigen Debatte und nur scheinbar demokratischen Abstimmung, beschließt man das Geld in Paris zu verprassen.
Chambourcy, der auch in seinem Dorf den Ton angibt, übernimmt in Paris sofort die Reiseleitung. Natürlich soll das Sparschweinkapital nicht sinnlos verschleudert werden. Den Provinzlern, die es keinesfalls nötig haben, vom Spargroschen zu leben, wird ihr Geiz zum Verhängnis. In einem Pariser Restaurant lassen sie sich durch eine irreführende Preisgestaltung täuschen: Zu einem angeblichen Dumping-Preis bestellen sie ein üppiges Mahl, bekommen prompt die Rechnung präsentiert, die sie an den Rand des finanziellen Ruins treibt. Die Spielkasse ist bedenklich geschröpft. Jetzt kommt eines zum anderen: Sie werden der Zechprellerei bezichtigt, als vermeintliche Diebesbande verhaftet und landen im Gefängnis, können entkommen und geraten prompt in die Fänge eines zwielichtigen Heiratsvermittlers.
Labiche führt die Gattung Provinzbürger im Urzustand vor. Er lockt sie aus ihrem Provinznest in die Großstadt und mitten hinein ins Chaos. Er jagt die Provinzler von einer Katastrophe in die andere und setzt sie geradezu existenzbedrohenden Situationen aus. Schließlich landen die so sittsamen Bürger auf einem Hinterhof, wo sie ohne Geld, unter freiem Himmel, bei strömendem Regen übernachten müssen. Blanke Überlebensangst erfasst sie. Die Lage scheint aussichtslos…
Eugène Labiche lässt seine Figuren „wie Puppen über Abgründen“ tanzen, so Emile Zola, lässt sie bis an den Rand des Wahnsinns rasen, kurz, seine Komödien gehen weit über den harmlosen Spott hinaus. Das „Second Empire“, das „Zweite Kaiserreich“ bildet den Nährboden für all seine Stücke. Paris wurde zur Hauptstadt Europas, zur Stadt der Theater, der Operette, zur Stadt der maschinengefertigten Luxusgüter. In dieser Zeit etabliert Labiche ein neues Genre, den „Vaudeville-cauchemar“, den „Albtraumschwank“. Labiche spielt mit den Ängsten und Wunschträumen der bourgeoisen Gesellschaft ebenso mit dem Schrecken und der Faszination, welche das verführerische Paris im Bürgertum auslöste. Labiche hält der Gesellschaft einen komödiantischen Sittenspiegel vor, der aber auch schonungslos und unerbittlich die nackte Wahrheit eines auf Heuchelei aufgebauten Lebens widerspiegelt.
Eugène Marin Labiche (1815 bis 1888) schreibt Zeit seines Lebens 175 Lustspiele, Possen und Farcen. Labiche war ein ungeheuer geschäftstüchtiger Autor, denn er engagierte verschiedene Partner, die mit ihm an den Stücken arbeiteten. Als er 1880 Mitglied der Académie française wurde, fand das keinen einhelligen Beifall, denn: „Man gibt doch keinen Akademie-Sessel an eine Firma". Die Uraufführung „Das Sparschwein“ findet 1864 im Théâtre du Palais Royal in Paris statt.
Übersetzung von Sabrina Zwach
Fassung:Thomas Schulte-Michels
Regie und Bühne: Thomas Schulte-Michels | Kostüme: Renate Schmitzer | Musik: Olivier Truan
Mit: Jörg Seyer (Champourcy, Rentier), Eva Derleder (Léonida, seine Schwester), Barbara Behrendt (Blanche, seine Tochter), Georg Krause (Colladan, Landwirt), Thomas Schrimm (Cordenbois, Apotheker), Marc-Philipp Kochendörfer (Félix Renaudier, Notar), Christian Schulz (Baucantin, Steuereinnehmer), Jochen Neupert (Cocarel, Heiratsvermittler), Hannsjörg Schuster (Béchut, Kriminalassistenz), Robert Besta (Sylvain, Colladans Sohn), André Wagner (Benjamin, Kellner), Christoph Wünsch (Joseph, Diener bei Cocarel)
Weitere Vorstellungen: 29.9., 1.10. und 2.10.2010