Logo of theaterkompass.de
HomeBeiträge
Eugène Labiche, "Das Sparschwein (La Cagnotte)", Badisches Staatstheater KarlsruheEugène Labiche, "Das Sparschwein (La Cagnotte)", Badisches Staatstheater...Eugène Labiche, "Das...

Eugène Labiche, "Das Sparschwein (La Cagnotte)", Badisches Staatstheater Karlsruhe

Premiere 25. September 2010, 19.30 Uhr | Schauspielhaus

 

Man schreibt das Jahr 1864. Im Provinzstädtchen „La Ferté-sous-Jouarre“ trifft man sich einmal in der Woche beim Rentier Champbourcy zum Kartenspiel.

Mit dem Hausherrn und dessen unverheirateten Schwester Léonida spielen der reiche Bauer Colladan, der Apotheker Cordenbois und Félix Renaudier, der ein Auge auf die Tochter des Gastgebers geworfen hat. Selbstverständlich spielt der Steuereinnehmer Baucantin nicht mit, da sich dies für einen Beamten nicht ziemt. Heute nun ist ein großer Tag, denn das Sparschwein, in das ungern aber notgedrungen eingezahlt wurde, muss geschlachtet werden. Der Spielgewinn soll für einen gemeinnützigen Zweck eingesetzt werden. Nach einer heftigen Debatte und nur scheinbar demokratischen Abstimmung, beschließt man das Geld in Paris zu verprassen.

 

Chambourcy, der auch in seinem Dorf den Ton angibt, übernimmt in Paris sofort die Reiseleitung. Natürlich soll das Sparschweinkapital nicht sinnlos verschleudert werden. Den Provinzlern, die es keinesfalls nötig haben, vom Spargroschen zu leben, wird ihr Geiz zum Verhängnis. In einem Pariser Restaurant lassen sie sich durch eine irreführende Preisgestaltung täuschen: Zu einem angeblichen Dumping-Preis bestellen sie ein üppiges Mahl, bekommen prompt die Rechnung präsentiert, die sie an den Rand des finanziellen Ruins treibt. Die Spielkasse ist bedenklich geschröpft. Jetzt kommt eines zum anderen: Sie werden der Zechprellerei bezichtigt, als vermeintliche Diebesbande verhaftet und landen im Gefängnis, können entkommen und geraten prompt in die Fänge eines zwielichtigen Heiratsvermittlers.

 

Labiche führt die Gattung Provinzbürger im Urzustand vor. Er lockt sie aus ihrem Provinznest in die Großstadt und mitten hinein ins Chaos. Er jagt die Provinzler von einer Katastrophe in die andere und setzt sie geradezu existenzbedrohenden Situationen aus. Schließlich landen die so sittsamen Bürger auf einem Hinterhof, wo sie ohne Geld, unter freiem Himmel, bei strömendem Regen übernachten müssen. Blanke Überlebensangst erfasst sie. Die Lage scheint aussichtslos…

 

Eugène Labiche lässt seine Figuren „wie Puppen über Abgründen“ tanzen, so Emile Zola, lässt sie bis an den Rand des Wahnsinns rasen, kurz, seine Komödien gehen weit über den harmlosen Spott hinaus. Das „Second Empire“, das „Zweite Kaiserreich“ bildet den Nährboden für all seine Stücke. Paris wurde zur Hauptstadt Europas, zur Stadt der Theater, der Operette, zur Stadt der maschinengefertigten Luxusgüter. In dieser Zeit etabliert Labiche ein neues Genre, den „Vaudeville-cauchemar“, den „Albtraumschwank“. Labiche spielt mit den Ängsten und Wunschträumen der bourgeoisen Gesellschaft ebenso mit dem Schrecken und der Faszination, welche das verführerische Paris im Bürgertum auslöste. Labiche hält der Gesellschaft einen komödiantischen Sittenspiegel vor, der aber auch schonungslos und unerbittlich die nackte Wahrheit eines auf Heuchelei aufgebauten Lebens widerspiegelt.

 

Eugène Marin Labiche (1815 bis 1888) schreibt Zeit seines Lebens 175 Lustspiele, Possen und Farcen. Labiche war ein ungeheuer geschäftstüchtiger Autor, denn er engagierte verschiedene Partner, die mit ihm an den Stücken arbeiteten. Als er 1880 Mitglied der Académie française wurde, fand das keinen einhelligen Beifall, denn: „Man gibt doch keinen Akademie-Sessel an eine Firma". Die Uraufführung „Das Sparschwein“ findet 1864 im Théâtre du Palais Royal in Paris statt.

 

Übersetzung von Sabrina Zwach

Fassung:Thomas Schulte-Michels

 

Regie und Bühne: Thomas Schulte-Michels | Kostüme: Renate Schmitzer | Musik: Olivier Truan

 

Mit: Jörg Seyer (Champourcy, Rentier), Eva Derleder (Léonida, seine Schwester), Barbara Behrendt (Blanche, seine Tochter), Georg Krause (Colladan, Landwirt), Thomas Schrimm (Cordenbois, Apotheker), Marc-Philipp Kochendörfer (Félix Renaudier, Notar), Christian Schulz (Baucantin, Steuereinnehmer), Jochen Neupert (Cocarel, Heiratsvermittler), Hannsjörg Schuster (Béchut, Kriminalassistenz), Robert Besta (Sylvain, Colladans Sohn), André Wagner (Benjamin, Kellner), Christoph Wünsch (Joseph, Diener bei Cocarel)

 

 

Weitere Vorstellungen: 29.9., 1.10. und 2.10.2010

 

Weitere Informationen zu diesem Beitrag

Lesezeit für diesen Artikel: 19 Minuten



Herausgeber des Beitrags:

Kritiken

NICHT AUF DEN LITURGISCHEN BEREICH BESCHRÄNKT --- Bruckners e-Moll-Messe und Motetten bei BR Klassik

Anders als die frühe d-Moll-Messe blieb die 1866 in Linz komponierte e-Moll-Messe nicht auf den liturgischen Bereich beschränkt. Die alten Kirchentonarten stehen bei der Messe in e-Moll von Anton…

Von: ALEXANDER WALTHER

GLUT UND FEUER -- Jubiläumskonzert 40 Jahre Kammersinfonie im Kronenzentrum BIETIGHEIM-BISSINGEN

1984 wurde dieser für die Region so bedeutende Klangkörper von Peter Wallinger gegründet. Unter der inspirierenden Leitung von Peter Wallinger (der unter anderem bei Sergiu Celibidache studierte)…

Von: ALEXANDER WALTHER

EINE FAST HYPNOTISCHE STIMMUNG -- Gastspiel "Familie" von Milo Rau mit dem NT Gent im Schauspielhaus STUTTGART

Dieses Stück erzielte bei Kritikern zum einen große Zustimmung, zum anderen schroffe Ablehnung. Vor allem die nihilistischen Tendenzen wurden getadelt. Der Schweizer Milo Rau hat hier das beklemmende…

Von: ALEXANDER WALTHER

MIT LEIDENSCHAFTLICHEM ÜBERSCHWANG -- Richard Wagners "Walküre" mit dem Rotterdam Philharmonic Orchestra konzertant im Festspielhaus/BADEN-BADEN

Wagner hatte die Komposition der "Walküre" im Sommer 1854 begonnen, noch vor der Vollendung der "Rheingold"-Partitur. Der Dirigent Yannick Nezet-Seguin begreift mit dem vorzüglich disponierten…

Von: ALEXANDER WALTHER

AUFSTAND DER UNTERDRÜCKTEN -- "Farm der Tiere von George Orwell im Schauspielhaus Stuttgart

"Kein Tier in England ist frei!" So lautet das seltsame Motto von George Orwells "Farm der Tiere", die wie "1984" auch irgendwie eine seltsame Zukunftsvision ist. Die Tiere wie Hunde, Hühner, Schafe…

Von: ALEXANDER WALTHER

Alle Kritiken anzeigen

folgen Sie uns auf

Theaterkompass

Der Theaterkompass ist eine Plattform für aktuelle Neuigkeiten aus den Schauspiel-, Opern- & Tanztheaterwelten in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Seit 2000 sorgen wir regelmäßig für News, Kritiken und theaterrelevante Beiträge.

Hintergrundbild der Seite
Top ↑