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DUNKELHEIT UND SIEG -- Stuttgarter Philharmoniker unter Anu Tali bei den Beethoven-Tagen im Forum am Schlosspark / LUDWIGSBURGDUNKELHEIT UND SIEG -- Stuttgarter Philharmoniker unter Anu Tali bei den...DUNKELHEIT UND SIEG --...

DUNKELHEIT UND SIEG -- Stuttgarter Philharmoniker unter Anu Tali bei den Beethoven-Tagen im Forum am Schlosspark / LUDWIGSBURG

am 1. Juni 2025

In trotzig-düsterem c-Moll begann und in sieghaftem C-Dur-Glanz endete auch im Forum am Schlosspark die insgesamt überzeugende Interpretation von Ludwig van Beethovens fünfter Sinfonie in c-Moll op. 67 durch die Stuttgarter Philharmoniker unter der einfühlsamen Leitung der estnischen Dirigentin Anu Tali bei den Beethoven-Tagen Stuttgart-Ludwigsburg. Die elementare Gewalt eines Naturereignisses ging bei dieser Wiedergabe der berühmten "Schicksalssinfonie" nicht verloren.

 

Copyright: Kaupo Kikkas, Portrait Anu Tali

Die Sinnfälligkeit der Themen wurde nirgends außer Acht gelassen. Und die schicksalhafte Wucht des Kopfthemas mit seinen vier Noten prägte sich trotz der manchmal zu raschen Tempi tief ein. Übermächtig beherrschte dieses zum Motiv verkürzte Thema den ersten Satz und  verstummte im Bass selbst dann nicht, als die Violinen seinen schroffen Hornruf auffingen und mit einer milden Phrase beantworteten, die in Flöten und Klarinetten ein Echo fand. Bis zum Schluss behauptete sich das Kopfmotiv mit seinem elementaren Rhythmus, den die Dirigentin Anu Tali forsch betonte. Zuversichtlicher Ernst war der Wesenszug des ausdrucksvollen Gesangsthemas, an dem sich die Variationen des zweiten Satzes Andante con moto orientierten. Im Bass klang noch der schicksalhafte Viererrhythmus geheimnisvoll nach, Hörner und Trompeten nutzten wirkungsvoll seine Stoßkraft. Sie gaben dem Motiv energisch die Richtung nach oben, so dass der Satz mit einem gewandelten Tonsymbol ausklang. Der dritte Scherzo-Satz klang bei Anu Tali und den Stuttgarter Philharmonikern erfrischend. Seine Mittler-Funktion zwischen dem zweiten und vierten Satz wurde hier nicht geleugnet. Wie im Finale von Mozarts g-Moll-Sinfonie hob auch dieses Allegro mit einer drängend aufsteigenden Folge der Dreiklangstöne im Bass an. Man kann sagen, dass sich die klangtechnische Qualität dieser Wiedergabe im Finale noch einmal ganz erheblich steigerte. Geheimnisvoll zögernd kam auf diese Frage die Antwort, dann erweckten die Hörner in schneidender Schärfe wieder den schicksalhaften Viererrhythmus. Er hämmerte durch ein neues Thema, bis eine Dur-Episode wieder vom Bass her angesichts der Fugato-Rasanz neue Energien freisetzte. In den Violinen bahnte sich unerhört Neues an: Die mitreissende Fanfare, die sieghaft den Jubel des Schluss-Satzes einleitete. Insbesondere diese Dur-Ekstase  arbeitete die Dirigentin Anu Tali mit den Stuttgarter Philharmonikern hervorragend heraus. Auch das markante Thema in den Hörnern ging nicht unter. Im Fagott klang die dritte Fanfare auf. Immer machtvoller und mitreissender schwoll der Jubel an! 

Nach diesem betont kämpferischen Beethoven fesselte dann aber auch die eher sensible Interpretation von Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr. 6 in F-Dur op. 68 "Pastorale". Nach Beethovens eigenen Worten ist dieses Werk "Mehr Ausdruck der Empfindung als Mahlerey". Er sammelte hier neue Kräfte, was Anu Tali mit den Stuttgarter Philharmonikern sehr gut herausarbeitete. Gleich der erste Satz "Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande" weckte heitere Besinnlichkeit durch das schlichte Eröffnungsthema. Seinen wahren Reichtum offenbarte es erst, als es immer wieder neue Abwandlungen seiner selbst als eigene Themen präsentierte. Der Sonatensatz konnte sich plastisch entfalten. Streichquintett und Holzbläser unterstrichen die bewundernswerte Instrumentationskunst Beethovens, wobei das bestrickende dynamische Wechselspiel in reizvoller Weise hervorstach. Dichter und anschaulicher wurde das Idyll in der "Szene am Bach", einem ausdrucksvoll musizierten Andante con moto. Über dem friedlichen Murmeln des Baches in den Streichern sangen die ersten Violinen eine ruhige Melodie, in der das erste Thema weiterlebte. Die Schatten ferner Harmoniebereiche wurden berührt. Vogelstimmen tönten in die beschauliche Träumerei. In den Trillern der Flöte seufzte die Nachtigall - und der Wachtelschlag der Oboe mischte sich mit dem Kuckucksruf der Klarinette. Im Scherzo ging es  dann beim "Lustigen Zusammensein der Landleute" munter und ausgelassen zu. Dieser Bauerntanz erhielt hier entwaffnende Leichtigkeit. Die Oboenmelodie der Dorfmusik besaß Humor - und die Geigen  gaben monoton den Ton vor, während das Fagott geduldig auf seinen Einsatz wartete. Jedes Instrument erhielt bei Anu Tali seine besondere Bedeutung. In den Celli und Bässen kündigte sich unheimlich ein Gewitter an! Die ängstliche Erregung wurde ausgezeichnet erfasst, ein Höhepunkt dieser Wiedergabe. Und da brach mit Blitz und Sturm auch schon das Unwetter herein! Erfüllt von "frohen und dankbaren Gefühlen nach dem Sturm" konnte der Mensch zuletzt aufatmen. Als Sinfoniker wendete sich Beethoven auch bei dieser Interpretation direkt an die Menschheit. Über leise verschwebenden Streicherfiguren beschloss das Horn zart und behutsam diese "Pastorale". Die raffinierte Verknüpfung von Sonaten- und Rondoform unterstrich Anu Tali mit den Stuttgarter Philharmonikern sehr plastisch. 

"Bravo"-Rufe und viel Applaus für diese Dirigentin, die unter anderem am Staatlichen Konservatorium St. Petersburg studiert hatte. 
 

 

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